Ein Exempel

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Die römische Abordnung hatte unterdessen die ersten Hütten des Dorfes erreicht. Optio Hirrus, der drei Contubernia Soldaten befehligte, musterte mit Verachtung die alten Männer, die in sich zusammengesunken im Schatten einer Strohhütte saßen und in ihrer Unbeweglichkeit der Hitze des Tages zu trotzen schienen. Neben Hirrus stand der einzige Zivilist im Gefolge der Römer. Wie für einen Mann von Rang üblich, trug er einen krummen Dolch, die kunstvoll verzierte Hülle, mit der das Sica an seinem Gurt befestigt war, die feinen Stoffe seiner Tunika und die schweren goldenen Armbänder an seinen Handgelenken verrieten seinen Reichtum. Ansonsten führte er keine anderen Waffen mit sich, seine Haltung und Mimik erweckten aber den Eindruck, als wäre er es gewesen, der die Soldaten in die Siedlung geführt hatte.

„Nun gut, Eleazar", sagte der Optio förmlich. „Hier sind wir. Bleibt zu hoffen, dass deine Informationen zutreffend sind, denn auf den anstrengenden Marsch von Jerusalem hierher hätte ich gut verzichten können."

Die Soldaten, die allesamt aus einer gallischen Hilfseinheit stammten und erst seit einigen Monaten in Jerusalem stationiert waren, standen geordnet und leicht angespannt in zwei Reihen hinter dem Kommandanten. Der Schweiß stand ihnen auf der Stirn, die Köpfe waren gerötet von der Hitze, die sich während dem Marsch unter ihren bronzenen Helmen gestaut hatte.

„Wie armselig diese Hütten sind", stieß Eleazar ben Alon herablassend aus und setzte sich damit über den Seitenhieb des Optio bewusst hinweg. „Du kannst anfangen", fügte er knapp hinzu. Einen Moment war Hirrus wie vor den Kopf gestoßen, denn schon zum wiederholten Mal an diesem Tag schien es ihm, als hätte sich sein jüdischer Begleiter dazu erdreist, ihm einen Befehl zu erteilen, obwohl ihm dies zweifellos nicht zustand. Dennoch entschied der Optio die Anmaßung des Eleazar zu ignorieren. Immerhin war er der Vertraute des Strategos Antipater, ein Mann also, den man besser nicht zum Feind haben sollte. Mit einem Nicken wandte Hirrus sich der ersten Reihe seiner Soldaten zu:

„Ihr wisst, was zu tun ist. Wir sind hier, um den Bauerntölpeln zu zeigen, was mit Verrätern passiert. Wir machen keine Gefangene."

Während sich die Mehrzahl der Soldaten geübt zu Dreiergruppen formierte, positionierte sich eine Abteilung bei der letzten Hütte der kleinen Siedlung und blockierte damit den einzigen Fluchtweg. Inzwischen hatte sich eine Gruppe von Dorfbewohnern beim Brunnen versammelt und beobachtete die Bewegungen der Eindringlinge mit einer Mischung aus Neugierde und Angst. Die alten Leute, die Frauen und Kinder sowie eine Handvoll Männer, welche die wärmsten Stunden des Tages im kühlen Dunkel ihrer Hütten verbrachten hatten, standen mittlerweile vor den Soldaten. Aus den Augenwinkeln beobachtete der Optio die Bewegung seiner Leute, und als diese ihre endgültige Stellung eingenommen hatten, machte er ein paar gemächliche Schritte auf einen der greisen Männer zu. Der Alte stand krumm auf einen Holzstock gestützt, sein langer Bart verschwand unter einem Turban, der einmal vielleicht weiß gewesen sein mochte. Der Optio musterte ihn, der Greis senkte unterwürfig den Blick. Langsam, beinahe andächtig berührte Hirrus den rauen Stoff der Tunika, rieb ihn prüfend zwischen Daumen und Zeigfinger, ganz als ob er sich von der Qualität des Gewebes überzeugen wollte.

„Wir suchen einen Mann namens Menachem. Man nennt ihn einen Maskil", sagte er bedächtig. Der Alte schwieg, die Szene war wie versteinert. Da holte der Optio plötzlich mit der linken Hand aus und schlug dem Alten mit dem Handrücken ins Gesicht. Eine Frau stieß einen entsetzten Schrei aus, der Greis taumelte nach hinten, stolperte und fiel zu Boden.

„Er ist weitergezogen", hörte man von weiter hinten Josef, dessen Stimme merklich zitterte. „Wir haben nichts mit ihm zu tun."

Der Optio jedoch schenkte seinen Worten keine Beachtung. Mit einer einzigen Bewegung zog er sein Schwert und stieß es in den Bauch des Alten. Er drehte die Waffe zuerst nach links, dann nach rechts, bevor er ihre Spitze gekonnt nach oben lenkte, um auf diese Weise das Herz seines Opfers zu durchbohren. Dann zog er ebenso gewandt, als handelte es sich um ein Spiel, das Schwert aus dem blutüberströmten Leib, holte abermals aus und führte die Kante der Waffe in einer Gleitbewegung gegen den Hals eines weiteren alten Mannes, der wie die anderen Dorfbewohner auch ungläubig die Hinrichtung seines Nachbarn beobachtet hatte. Der Gladius zerschnitt das Fleisch, blieb aber, da der Hieb nicht kräftig genug war, zwischen den Halswirbeln stecken. Spritzend schoss das Blut aus der Wunde, es färbte den Unterarm des Optio rot. Der stieß den linken Fuß gegen die Brust des Alten und zog die Waffe zurück. Leblos sackte der malträtierte Körper in sich zusammen.

Da endlich setzten sich die anderen Soldaten in Bewegung, sie zogen ihre Schwerter und begannen gezielt, die versammelten Dorfbewohner, welche noch immer in einer Art ungläubigen Starre das Geschehen verfolgten, niederzumetzeln. Eine junge Frau war die erste, die schreiend, ihr Kindchen an die Brust gepresst, zu flüchten versuchte. Sie war noch kaum ein paar Schritte weit gekommen, da wurde sie schon von einem Schildstoß zurückgeworfen. Sie verlor das Gleichgewicht und fiel gemeinsam mit dem Säugling in ihren Armen zu Boden. Ihr Schreien verwandelte sich in hysterisches Kreischen, das sich zu überschlagen begann, als sie mitansehen musste, wie einer der Soldaten den kleinen Körper des Kindes mit einem kräftigen Fußtritt gegen die steinerne Einfassung des Brunnens schleuderte. Während die Frau auf den Knien versuchte, den leblosen Leib des kleinen Jungen zu erreichen, stieß ihr der Römer sein Schwert in den Rücken.

Zwei andere Soldaten waren inzwischen dabei, drei weitere junge Frauen und ein Kind abzuschlachten. Das Kind, es war ein Mädchen, war aber noch am Leben und kroch stöhnend, schwer verletzt und ohne erkennbares Ziel am Boden herum, unter sich eine Blutspur ausbreitend. Aus den Hütten, die unterdessen von einer anderen Gruppe von Soldaten durchkämmt wurden, drangen gedämpfte Hilferufe ins Freie, die immer wieder abrupt verstummten. Etwas abseits stand Eleazar, der die Szene mit einer Art Genugtuung beobachtete. Kurz schien er in seiner Ruhe gestört, denn ein schwer verletzter Mann, der mit seinen Händen versuchte, die Eingeweide, die aus dem aufgeschlitzten Bauch hervorquollen, zurückzupressen, machte einige hilflose Laufschritte auf Eleazar zu. Doch noch bevor der von seiner Waffe Gebrauch machen konnte, verließen den anderen die Kräfte und er brach hilflos, einige Schritte von Eleazar entfernt, zusammen.

Zwei der Juden hatten sich inzwischen mit hölzernen Mistgabeln bewaffnet und stellten sich todesmutig einer Gruppe von Soldaten in den Weg. Die bildeten sogleich eine enge Formation, die Schilder dicht aneinander, und wehrten ohne Mühe die ersten Stöße der Mistgabeln ab, die nach und nach am eisernen Überzug der Rundschilder zerbrachen. Im gleichen Augenblick wurde der erste Mann von einem römischen Kurzschwert getroffen, der zweite drehte sich um und versuchte zu fliehen, wurde aber von einem anderen Soldaten eingeholt, zu Fall gebracht und am Boden liegend mit einem gezielten Stoß in den Brustbereich getötet. Vor dem Eingang der letzten Hütte lagen die Leichen von einem Jungen und einem kleinen Mädchen, die Glieder unnatürlich gebogen, ein Arm durchtrennt.

Ein bulliger Soldat mit hochrotem Kopf hatte gerade das Kleid der Mutter zerrissen und presste ihren Oberkörper mit einer Hand auf den Boden, während er kniend, ihr Gesäß zwischen seinen Beinen damit beschäftigt war, sich mit der anderen Hand seines Subligaculums zu entledigen. Der Optio schritt mit gezogenem Schwert auf ihn zu und rammte die Klinge des Schwertes ohne zu zögern in die nackte Brust der Frau, um den Soldaten unmittelbar danach mit einem Fußtritt zur Seite zu schleudern.

„Weiter machen, du Dreckstück!" fuhr er ihn an. Und als der Untergebene, der sich stöhnend und einigermaßen fassungslos am Boden krümmte, nicht sofort reagierte, fügte er mit drohender Stimme hinzu: „Wir sind nicht zum Vergnügen hier, sondern zur Arbeit!"

Langsam verstummten die letzten Schreie, keinem der Dorfbewohner war die Flucht gelungen. Die Soldaten wischten das Blut von ihren Schwertern, einige hatten begonnen, Hühner einzufangen und für den Transport auf Holzstange aufzuspießen. Das Fleisch für ihr Nachtmahl war gesichert.

Wie mit einer eisernen Kralle hielt Schimon mit seiner Hand noch immer Silas Unterarm fest, war der doch in dem Moment, als der Optio den ersten Mann getötet hatte, aufgesprungen, um den Menschen in der Siedlung zu Hilfe zu eilen. Doch Schimon hatte schnell reagiert. Die andere Hand auf den Mund seines jungen Begleiters gepresst, hatte er ihn leise zischend beschworen: „Du kannst nichts tun. Wir sind zu weit weg. Bis du dort bist, sind schon alle tot und du bist nichts als ein weiteres willkommenes Opfer." Während seinem Reden hatte er gespürt, wie der Widerstand des anderen langsam nachgelassen hatte und so war es Schimon schließlich gelungen, Silas mit sanfter Gewalt zurück in sein Versteck zu zwingen. Jonathan und der Maskil hatten die Szene stumm beobachtet, der eine insgeheim bereit, gemeinsam mit dem Freund gegen jede Vernunft zurück zu eilen, der andere unverständliche Worte murmelnd, vielleicht ein Gebet. „Unsere Zeit wird kommen", hatte Jonathan Schimon raunen hören und etwas, das wie „El Zadik", Gott der Gerechtigkeit, klang. Doch die Worte waren einerlei, denn aus der Siedlung drangen unbarmherzig und anklagend die Schreie der Sterbenden zu ihnen herauf.

Priester und KönigeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt