Ganz klein und vorsichtig beginnst du es zu sehen, wahrzunehmen was passiert. Das Licht frisst sich durch den dichten Nebel und legt offen, was du so lange nicht sehen konntest und wolltest. Das Eis unter deinen Füßen beginnt zu knacken und die tiefen Risse hallen durch die großen Massen, huschen über die gewaltige Fläche auf der du ganz allein stehst.
Die Fäden in deiner Hand, wie gefrorene Spinnweben sehen sie aus. Einst stark und unzerstörbar, sind sie jetzt nur noch ein Schatten ihrer selbst und kurz davor, in deinen Händen zu brechen. Aber es ist nicht ihre Schuld, sondern deine.
Das Eis zerspringt nach und nach, nicht etwa weil es so dünn und du so dick bist, nein. Es bricht weil DU darauf stehst und auf seine alles aushaltende Kraft hoffst, die es dir jedoch nicht schenkt. Du bist der Grund und deine Tränen, so kalt sie dir auch übers Gesicht laufen, lassen das Eis nur noch lauter knacken.
Die Sicht verschwimmt wieder, doch du siehst das empfindliche Netzwerk, was du in deinen Händen zu beschützen versuchtest, wie Glas zerspringt. Glitzernd und schwach fallen sie auf das Eis, was sich nun auftut und dich ohne ein lautes Geräusch aufnimmt.
Dunkelheit umgibt dich.
Deine Tränen vergehen im eisigen Wasser, ohne dass du sie spüren kannst und du beginnst wie ein Stein zu sinken. Verzweifelt schluchzend versuchst du wieder nach oben zu kommen, doch deine Kraft verlässt dich und von der Realität eingeholt gibst du dich auf. Was wolltest du denn überhaupt da oben? Du warst doch sowieso allein und konntest das Netz nicht mehr reparieren. Über dir kannst du beobachten wie sich das Eis entspannt und erholt, da du es nicht mehr belastest. Es so in seiner ganzen Schönheit von unten zu betrachten, gibt dir innere Ruhe.
Deine Hand hebt sich plötzlich und hält dich davon ab, von der Dunkelheit endgültig verschlungen zu werden. Ein Faden ist geblieben, du kannst ihn im Wasser aufblitzen sehen. Er hält dich mit all seiner Kraft, obwohl du schon längst nicht mehr dazu in der Lage bist etwas zu tun und vielleicht zu helfen, um seine Last zu verringern.
Eine Bewegung.
Du kommst dem Eis immer näher, das Licht wird immer greller und blendet. Du schließt deine Augen und findest dich, wenig später, in den wärmenden und vertrauten Armen deines Retters wieder.
Wer ist dein Retter?
Von all der Geborgenheit überwältigt öffnest du die Augen um ihm ins Gesicht zu schauen. Doch du kannst es nicht sehen. Es ist zu dunkel und zu kalt. Deine Lippen bilden ein letztes Lächeln über den Traum, der dir wohl deinen Willen zum Kämpfen wieder schenken sollte. Aber es ist zu spät. Da ist nichts, kein Faden der dich hält, nicht einmal das Eis ist noch zu sehen und die Dunkelheit hat dein Herz bereits eingenommen.
Da ist nichts um dich herum, da ist nichts mehr in dir und nun verstehst du es. Du bist zu einem NICHTS geworden.
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Die Fäden in deiner Hand
Short StoryEine Kurzgeschichte die mit Symbolen die Zerbrechlichkeit von Hoffnung versucht darzustellen.