Gedankenzelle

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„Es ist so kalt.", hörte ich seine Stimme an mir vorbei in die Wohnung huschen. Ich schüttelte lächelnd den Kopf, während ich mich etwas unbeholfen durch die Haustür quetschte und, da meine Hände von unzähligen Einkaufstüten belagert waren, die Tür mit meinem Fuß zu schob, welchen ich kurz darauf mit komischen Zappelbewegungen von meinem Schuh befreite. „Du hättest übrigens echt gern beim Tragen helfen können!", rief ich in Richtung des Wohnzimmers, wo ich ihn vermutete, während ich meine Schlüssel, die ich irgendwie noch mit zwei Fingerspitzen zu umklammern schaffte, auf der Kommode ablegte. Jetzt musste ich die Küche nur noch mit den unversehrten Einkäufen erreichen. Erfolgreich dort angekommen stellte ich die Tüten zügich auf der Theke ab und atmete erstmal erleichtert durch. Nach einem kurzen Umweg über den Flur, wo ich endlich meine Winterjacke abstreifen konnte, suchte ich das Wohnzimmer auf. Er würde sich nicht vor der Einkaufsverstauung drücken können, dachte ich mir schelmisch grinsend und betrat sein Verstecksterritorium. Meine grinsenden Lippen fielen und ich verharrte sofort in meiner Bewegung, als ich ihn zusammengekauert vor dem flackernden Kamin erblickte. Mit seinem zu mir gedrehten Kopf präsentierte er seine grün-leuchtenden Augen. Dieses unschuldige, traurige Grün. Mein Atem stoppte.

Diese grünen Augen, die ich jeden Tag nicht anders konnte als schmerzlich zu bestaunen. Die ich jeden Morgen auf dem Weg zur Arbeit unter erbärmlichen Bedingungen ruhen sah. Die mich jeden Abend gnadenlos auf dem Nachhauseweg heimsuchten. Diese so wunderschönen, leidenden Augen.

„Ich hätte beim Tragen geholfen, aber mir war wirklich kalt...", nuschelte er leise in seine Decke und wandte den Blick ab, riss mich damit aus meiner angespannten Starre. Er hatte sich in eine flauschige Wolldecke, extra nah vor dem brennenden Kamin, eingekuschelt. Ich leistete ihm auf dem kühlen Laminatboden Gesellschaft und richtete meinen Blick auf den, mit bunten Nikolaussocken dekorierten, Ofen.

Schweigend hockten wir nebeneinander, während wir langsam in den tanzenden Flammen versanken. Leises Knistern des abbrennenden Holzes war alles was in dem, lediglich von flimmernden Orangetönen beleuteten, Wohnzimmer zu hören war. „Du brauchst von jetzt an keine Angst mehr haben.", sagte ich vorsichtig mit sanfter Stimme. „Ich bin bei dir.", ich zögerte etwas, war mir unsicher ob ich ihn damit überfordern würde. Doch es war extrem wichtig, für ihn und mich. „Willkommen in der Familie.", ungewollt hatte ich meine Stimme gesenkt und kaum hatte ich es ausgesprochen, spürte ich wie sich meine Wangen erhitzten. Als ich es wagte meinen Blick vom chaotischen Feuertanz zu lösen, wurde ich mit etwas Unerwartetem konfrontiert: Tränen.

„Kann ich dir helfen?". Perplex schnellte mein Kopf in seine Richtung, ich musterte ihn überfragt. Das waren damals genau meine Worte gewesen, stellte ich überrumpelt fest. Ich glaubte, die kitzelnden Schneeflocken noch immer auf meiner ausgestreckten Hand landen zu spüren. „Also, mit dem Einkauf.", fügte er hinzu und lächelte mich schief an. So ein ansteckendes Lächeln wie seines hatte ich zuvor noch nie gesehen. „Einkauf? Ah, ja klar, gerne..", stammelte ich herum, meine Gedanken brachten mich heute wirklich viel zu schnell aus dem Konzept. Wir erhoben uns vom Boden, er musste sich erst einmal aus der wirren Decke, in die er eingewickelt war, befreien. Gemeinsam begannen wir dann die Einkäufe zu verstauen.

Prüfend lag sein misstrauischer Blick auf meiner Hand, als sei ich ein gefährliches Raubtier, dass nur auf den richtigen Moment wartete, um zuzubeißen. Ich versuchte seine Nerven mit einem Lächeln zu besänftigen, allerdings ohne Erfolg. Sein hübsches Gesicht, dessen Schönheit durch kleine Schrammen und Kratzer gestört wurde, ertrank in Sorge. Meine Angst schien sich in seinen furchtverzerrten Gesichtszügen wiederzuspiegeln. Als würde ich mein Spiegelbild betrachten, dachte ich. "Du kannst mir vertrauen.", das war ja wohl mit Abstand der glaubwürdigste Satz, den ich hätte wählen können, innerlich schüttelte ich den Kopf. Ich ging in die Hocke, um mit ihm auf Augenhöhe sprechen zu können und bemühte mich, meine Ausdrucksweise dieses Mal durchdacht zu bestimmen. „Ich kann verstehen, dass du keinen Grund hast mir zu vertrauen, allerdings bin ich mir ziemlich sicher, dass du den Winter niemals nur mit dem dünnen Stofffetzen überleben wirst und mir wärs lieb, dich nicht tot aufzufinden.".

"Was hast du denn mit dem Reis im Kühlschrank vor?", lachte er plötzlich neben mir auf, weshalb ich erschrocken zusammenfuhr. "Was..? Reis.. wird doch sonst schlecht..", versuchte ich, auf schon peinlich primitive Weise, meine selbst mir unerklärliche Handlung, irgendwie weniger fragwürdig aussehen zu lassen. Wo stand mir heute nur der Kopf. "Roher Reis wird schlecht?", belustigte Beunruhigung schwang in seiner Stimme mit. Er nahm mir die Packung aus der Hand, legte sie vorerst zurück auf die Küchentheke. Ich stand weiterhin vor unserem Kühlschrank, den ich inzwischen geschlossen hatte und beobachtete wie er seinen weichen Handrücken an meine Stirn presste. "Fieber scheinst du nicht zu haben.", diagnostizierte er mich, "Hast du sonst noch irgendwelche Beschwerden?". "Mir geht es hervorragend, Herr Doktor.", versicherte ich ihm scherzend. "Herr Dr. Dr. Prof. wenn ich bitten darf.". "Oh, ich bitte um Verzeihung euer Majestät.", ich deutete eine Verbeugung an, bei welcher ich übertrieben mit meinen Armen wedelte. Damit gab ich den Startschuss unseres Gelächters, das war genau das, was ich gerade brauchte.

Wenn diese Erinnerungen bereits in der Lage waren mich so stark zu belasten, wollte ich mir gar nicht erst vorstellen, wie unerträglich ihn die rückblickenden Gedanken quälen mussten. Was er überhaupt schon alles durchgemacht haben musste. Rasch verbannte ich den Gedanken aus meinem Kopf. Seine vorherige, bedauerliche Situation sollte am besten weiterhin Tabu-Thema bleiben, denn selbst wenn er bereit sein sollte, über diese traumatischen Erlebnisse zu sprechen, ich bin noch nicht bereit sie zu hören.

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