KAPITEL 1👤. nick 👽
____________________________________hey
kannst du aufhören mich zu ignorieren
keine ahnung was letzter zeit mit dir los ist?ich ignoriere dich nicht
mir gehts gut wieso?? hör auf mich anzulügen
irgendwas hast du ich weiß esich hab nichts was ist dein problem
wenn ich was gemacht habe dann sag mir was ich getan habe aber dass du mich ignorierst tut weh bin ehrlich
hat nichts mit dir zu tun
gelesen: 16:53————————————————————————
Wütend schmiss er sein Handy beiseite. Dies machte einen dreifach-Salto und eine ganze glamouröse Schraube auf seiner Matratze.
Juan vergrub seinen Kopf auf sein Kissen. Tief einatmend, blickte er auf die Decke. Sein Playboi Carti Poster starrte ihm nur so entgegen. Er fühlte förmlich wie sein Hals immer dicker wurde, als hätte man eine Kugel hineingesteckt die einem am Atmen behindern würde. Die Augen wurden feucht, und dann kullerte auch schon die erste Träne der Frustation.Seit nun fast 2 Monaten ging das so.
Die Konversationen zwischen ihnen wurden immer langweiliger und abgehackter. Mal um 10:26 geschrieben, antwortete der andere 10 Minuten später.
Gott, ich hasse sowas. Schreib halt gleich gar nicht zurück.
Antworten wie „ok" oder „hahaha" wurden immer häufiger. Gespräche in der Schule dafür immer seltener.„Was war Hausaufgabe?"
„Seite 176."
„Alles?"
„Ja."
Als letztes kam noch ein bestätigendes Brummen. Das war's.
Aber schließlich ist das alles hier nur seine Schuld. Natürlich hat es absolut nichts mit ihm zu tun.Und ob was das mit dir zu tun hat.
Er war wütend. Sehr wütend. Aber nicht auf ihn, sondern auf sich selbst.Es ist schwer damit umzugehen.
Man hat ein wenig davon gehört, es von Personen vielleicht erlebt, aber eigene Erfahrungen passieren damit eher selten. Manche wollen sie auch garnicht erleben.
Manche sind sogar angeekelt.
Vor allem in Bereichen wo so ein Thema ein riesengroßes Tabu ist.
Religion beispielsweise.Wieso ist es eigentlich ein Tabu?
Aber es ist dann am schwierigsten damit umzugehen, wenn er es selber nicht versteht.
Wieso?
Wie ist das eigentlich passiert?
Hm.
Das ist das einzige was ihm im Kopf herumschwirrt.
Das Gefühl von konstanter Verwirrung macht einen verrückt. Es enttäuscht einen immer wieder, wie man sich erfolgreich selber anlügt, aber eigentlich weiß, dass man die vorgelogene Ausrede nicht glauben kann und man dies wohl oder übel akzeptieren muss.
Von ständig neu aufkommender Hoffnung wird doch immer wieder die grausame Realität gewinnen, indem sie uns auf harte Art und Weise die Wahrheit ins Gesicht klatscht. Du rennst davon, aber sie holt dich ein, denn sie bestimmt wie schnell du rennst.Wieso hat er für seinen besten Freund Gefühle entwickelt? Das ist so komisch. Er ist nicht schwul. Er war nie schwul. Er hat sich auch nie zu Jungs hingezogen gefühlt, und plötzlich aus dem nichts crusht er auf seinen besten Freund?
Davor war doch auch nichts. 16 Jahre Freundschaft vielleicht im Müll. Juan weiß genau was er hören wird. Vielleicht auch spüren. Man weiß nie wie seine Freunde auf Homosexualität eingestimmt sind. Klar, anschwulen ist schon lustig. Jeder Junge macht das. Aber viele meinen es nicht ernst. Und viele sind in dem Fall fast alle.„Scheiße." seufzte er vor sich hin.
Ich will mich umbringen. Besser als das hier.
In seinen Gedanken versunken, klopfte es plötzlich an seiner Zimmertür.
„Was?" kam es nur unfreundlich aus dem Zimmer.
„Halt's Maul." kam es noch fast wütender zurück.
Ach du Scheiße. Seit wann hat Sofia so eine große Klappe?
Angepisst stand er auf und öffnete hasch die Tür- nur damit er Nick gegenüber ihm stehen sah. Juan hatte seine kleine nervige Schwester erwartet, aber garantiert nicht ihn.
„Wir reden. Sofort." Nick guckte Juan nur böse an.
Für den Bruchteil einer Sekunde fühlte sich Juan von seinem autoritären Ton angetan, aber verwarf diesen Gedanken so schnell wie er auch gekommen ist.
Heilige Scheiße. Ich fühle mich wie 'ne Schwuchtel.
Nick betrat das unaufgeräumte Zimmer.
„Alter. Wie wär's mal mit Fenster aufmachen?" Peinlich berührt stand Juan da wie eine Straßenlaterne.
Wie ist er innerhalb von 10 Minuten hierhergekommen?
Er guckte Nick dabei zu wie er seine Jacke auf seinen Stuhl schmiss, und sich daraufhin aufs Bett setzte.
„Mein Zimmer ist ein wenig unaufgeräumt. Sorry." murmelte Juan schnell vor sich hin. Er räumte unnütze Gegenstände schnell irgendwo hin, aber er merkte schnell das dies jetzt absolut nichts mehr nützen würde.
Er ließ seinen Blick nervös durchs Zimmer schweifen und nahm tief Luft.
Gibt es einen schlechteren Zeitpunkt??
„Ich merks." konterte Nick nur seufzend zurück.
Er saß mit verschränkten Armen da wie ein Lehrer, der seine Klasse den schlechtesten Schnitt mitteilen muss den er seit 10 Jahren erlebt hat.
Beide schwiegen eine Weile und Nick guckte bloß auf seine Füße.
Er kam erneut zur Sprache. „Was ist los?" fragte er ihn. „Was habe ich gemacht?"
Diesmal sah Juan Traurigkeit in Nicks Augen.Er konnte es ihm nicht verübeln.
Seit dem Sandkasten kennen sie sich. Sie sind zusammen in die Grundschule gegangen, haben sich gegenseitig die ersten Milchzähne gezogen, und das erste mal über Mädchen geredet.
„Denkst du sie haben einen...Penis?"
„Wie meinst du das? Klar haben die einen!"
„Was?! Meine Mama hat gesagt, dass Mädchen was ganz anderes da unten haben."
„..."
„Aber was?"
„Wollen wir es herausfinden?"
Ihre Freundschaft überstand jede Krise. Egal wieviele Up's und Down's sie hatte, am Ende entschuldigten sich beide und spielten Super Smash Brothers zusammen mit Dinosaurier-Nuggets. Aber seit 2 Monaten entfernte sich Juan komplett von Nick. Sprach immer weniger, machte auch weniger in seiner Freizeit mit ihm. Dieser lässt das natürlich nicht auf ihn sitzen, denn ihm sind 16 Jahre Freundschaft zu groß, um sie einfach zu vergessen. Aber was ihm am traurigsten machte, ist dass Juan absolut keine Anstalten machte ihm überhaupt zu sagen wieso er das alles hier tat.
Ist das hier alles doch meine Schuld? War ich irgendwie ein schlechter Freund in letzter Zeit?Nick guckte Juan ins Gesicht.
„Hast du Scheiße gebaut die du mir nicht erzählen willst?" kam es von ihm unerwartet.
„Drogen oder so Zeug?"
Juan guckte ihn überrascht an. „Was? Nein! Ich bin in letzter Zeit bloß...gestresst."
Ahh. Gestresst. Das ist das beste Argument was du benutzen kannst.
„Gestresst. Aha." misstrauisch starrte Nick ihn nur ungläubig an.
„Gestresst. Deine Mutter gestresst. Willst mich eigentlich verarschen?" Sein Tonfall wurde wütender. „Du hast nichts! Überhaupt nichts! Wenn du nicht mehr mein Freund sein willst, dann sag mir das! Wenn ich uncool bin oder sonstiges, dann sag mir das! Wenn du bessere Freunde gefunden hast, dann-"
„Halt die Klappe!" unterbrach Juan ihn sauer. „Du hast garkeine Ahnung! Es hat nicht alles nur mit dir zu tun!"
„MIT WAS DANN?" schrie Nick.
Er hatte die Schnauze voll. Von ihm. Von allem. Aber von Juan ein für alle mal.
„IST DIR DIESE FREUNDSCHAFT ÜBERHAUPT WICHTIG?" schrie er nochmals wutentbrannt.
„ABSOLUT NICHT!" brüllte Juan zurück. „MEIN PROBLEM WÄRE NICHT DA WÜRDEST DU NICHT EXISTIEREN!"
Das war einer zuviel.
Nick saß sprachlos auf dem Bett. „Du bist so armselig." brach er monoton hervor.
„Was wirst du tun?" höhnte Juan. „Wirst du anfangen zu heulen?" Spöttisch starrte Juan zurück.
Die beiden starrten sich mit purem Hass an.
„Ist das was du von mir denkst?"
„Ziemlich." rutschte es zu schnell aus ihm heraus.
Es herrschte Totenstille in Juans Zimmer.
„Diese 16 Jahre waren die größte Zeitverschwendung meines Lebens. Ich hasse dich." entgegnete er angewidert.
„Dann verpiss dich." zischte Juan und funkelte ihn nur feindselig an.
Er stand ruhig auf und zog seine Jacke vom Stuhl. Mit einem letzten Blick starrte er Juan hasserfüllt an und lief zur Tür.
Juan starrte auf die Stelle wo Nick gerade saß.
Die Tür hinter sich zuknallend, hörte er noch wie Nick die Treppen runterging.
Die Haustür fiel ins Schloss.
Ich werde dich garantiert nicht vermissen. Niemand würde das.