WarriorCats-Das Geheimnis der Sonne

28. Kapitel

Das Moos unter Schmutzpfotes kleinen Tatzen war vollgesogen mit schlammbraunem Wasser, das bei jedem ihrer Schritte hervorquoll und ein Geräusch von sich gab, das klang, wie ein sterbender Frosch. Die SumpfClan-Schülerin war ganz am Rand des Territoriums, an einem Ort, wo sie eigentlich noch nie gewesen war war. Hohe Nadelbäume mit dunkler Rinde ragten über ihr auf, ihre Nadelspitzen mit glitzernden Regentropfen besetzt. Die ausladenden Äste der Bäume spannten sich in einer scheinbar unendlichen grünen Decke über ihren Kopf. Unter anderen Umständen wäre Schmutzpfote wahrscheinlich an den Stämmen hochgeklettert um die Sicht zu genießen, doch momentan war ihr überhaupt nicht danach.

Warum bin ich so traurig? Ich...Ich versteh das nicht...

Eigentlich müsste sie sich gut fühlen. Sie hatte geholfen, einem Jungen das Leben zu retten. Wäre Schwanenpfote an ihrer Stelle, würde sie damit angeben und allen davon erzählen. Warum fühlte sie selbst sich dann so elend?

Die Tigerkätzin ließ den Kopf hängen und tappte noch ein paar Katzenlängen weiter, bevor sie sich nahe der Grenze zum SeeClan unter einem der Nadelbäume niederließ. Sie war sowieso schon überall bis auf die Haut durchnässt, also war es auch schon egal, dass matschbraunes Wasser von unten herauf in ihr Bauchfell hineinkroch. Sie legte den Kopf auf die Pfoten und versuchte, sich dazu zu zwingen, an etwas anderes zu denken, doch ihre Gedanken wurden nur noch düsterer. Sonnenstrahl. Was sollte sie nur mit ihm anfangen? Sie gab es nicht gerne zu, aber sie begann tatsächlich ihm zu vertrauen, obwohl sie sich immer wieder einzuschärfen probierte, es nicht zu tun. Hätte Sonnenstrahl sie an diesem Tag nicht aus dem Wasser gezogen, wäre sie jetzt wahrscheinlich nicht mehr hier. Der Gedanke, in dem eisigen, graublauen Wasser zu ertrinken jagte ihr einen Schauer über den Rücken. Ihr Mentor war gar nicht so wie sie ihn als Junges wahrgenommen hatte. Seit sie gemeinsam klettern gewesen waren wirkte er viel fröhlicher, als wäre er vorher in einer Depression gefangen gewesen. War er vielleicht doch nicht die Katze aus der Prophezeiung?

Aber da war Schneeschweifs Geist im Gebüsch...ich habe es gesehen. Sonnenstrahl hat mit ihm geredet!

Schmutzpfote knurrte frustriert. Der SternenClan war furchtbar gut darin, seine Nachrichten in verdrehte Rätsel zu verpacken und sie offensichtlich an der Nase rumzuführen...oder taten sie das nicht? Verflucht!

Auf einmal schien sich etwas in der Umgebung zu verändern. Schmutzpfote wusste nicht, was es war, aber sie hob den Kopf und blickte sich um. Nein...da war niemand. Aber irgendetwas war anders. Es regnete immer noch, sie war noch immer tropfnass. Aber Moment. Sie spürte keine Regentropfen mehr auf ihrem Pelz und ihren Ohren. Verwirrt hob sie den Blick in den Himmel, hinauf zu den verschlungenen Ästen. War das ein Schweif?

"Hey du!" Irgendwie kam ihr die Stimme bekannt vor, die von der Silhouette kam, die dort direkt über ihr in den Zweigen hockte und den Regen von ihr fernhielt. Dicke Tropfen flogen auf sie hinunter, als die Gestalt sich ihren Weg nach unten bahnte. Der schwere Geruch von Fisch legte sich drückend über ihre Nase. Eine SeeClan-Katze? Erst als sie im Pelz des Katers viele graue Flecken erkannte, ging ihr ein Licht auf.

"Graupfote?"

Tatsächlich. Der große Kater sprang vom letzten Ast herunter und kam schwerfällig am Boden auf.

"Ja, das bin ich. Und du bist Schmutzpfote, oder?" Der Schüler grinste sie freundlich an, doch Schmutzpfote schaffte nur ein leichtes Nicken.

"Was...Was machst du auf unserer Seite der Grenze?", fragte sie schließlich und biss sich sofort auf die Zunge. Konnte sie nicht etwas höflicher sein?

Graupfote warf einen kurzen Blick hinüber zum See.

"Ich habe den Auftrag bekommen, die Kinderstubenkuppen zurückzuholen. Die ist aus Schilf, deswegen schwimmt sie, weißt du? Dann hab ich dich hier liegen sehen und du sahst so niedergeschlagen aus, deswegen dachte ich, ich schau mal vorbei und frage, ob alles in Ordnung ist", plapperte der ältere Schüler gut gelaunt und sah sie mit seinen fast schon unnatürlich smaragdgrünen Augen erwartungsvoll an.

"Das ist lieb von dir, aber es geht mir gut." Beschwichtigend schüttelte Schmutzpfote den Kopf. Wenn ihr Clan herausfand, dass jemand wegen ihr die Grenze überschritten hatte,war sie in ziemlichen Schwierigkeiten.

"Wirklich?" Graupfote legte den Kopf leicht schief, die Pinsel an seinen Ohren knickten zur Seite. Obwohl der Schüler im Grunde ein Fremder war, war er unfassbar gut darin, ihre Lüge zu durchschauen.

Schmutzpfote seufzte.

"Nein...Glanzjunges ist tot...das nimmt mich irgendwie mit und ich verstehe nicht warum."

"Warst du bei der Patrouille dabei, die Fliederjunges und Grasjunges aus dem See gefischt hat?", fragte Graupfote überrascht, er setzte sich.

"Ja. Wir...Wir haben eine Kette gebildet um Fliederjunges zu holen", murmelte Schmutzpfote und umging absichtlich, dass sie das Junge von dem Felsen geholt hatte. Sie wollte keine Anerkennung für etwas, dass sie nicht nur unfreiwillig getan sondern auch fast vermasselt hatte. "Ich weiß, ich hätte nichts für Glanzjunges tun können, wir wussten nicht mal, dass sie auch im Wasser ist, aber trotzdem fühlt es sich an, als wäre ich Schuld, dass sie gestorben ist."

Die junge Schülerin wusste nicht genau, warum sie das überhaupt erzählte, aber es war, als würde Graupfote ihr direkt in die Seele starren und jede Unwahrheit sofort herausfiltern.

"Ich glaube, ich kenne das Gefühl, das du hast", sagte Graupfote schließlich und sah wieder zum See zurück.

"Achso? Woher denn?" 

Ich weiß wie du dich fühlst. Das war meistens nur eine lose Aussage, damit sich jemand besser fühlte, aber sie glaubte nicht, dass der SeeClan-Schüler sie anlog oder nur beruhigen wollte.

"Ich habe dir doch meinen Bruder vorgestellt, bei der Großen Versammlung. Zitterpfote? Nun...er wurde mit einer Krankheit geboren, die Reiherflügel nicht heilen kann. Manchmal da fängt er unkontrolliert zu zittern an und kann sich nicht mehr bewegen."

Schmutzpfotes Augen weiteten sich überrascht ein bisschen. Man hatte Zitterpfote gar nichts angemerkt.

"Das tut mir leid", miaute sie leise.

"Ist schon gut. Er will kein Mitleid haben. Jedenfalls...als wir noch Junge waren, hatte ich die Aufgabe, auf Zitterpfote aufzupassen, während wir im Schilf gespielt haben. Auf einmal hat er einen Anfall bekommen und ist im seichten Wasser ganz untergegangen. Ich hatte so Panik, dass ich ihm nicht helfen konnte, hab mich im Schilf verfangen. Im Grunde habe ich ihm beim Sterben zugesehen."

Schmutzpfote setzte sich nun auch. Graupfote hatte schon als Junges so viel Verantwortung tragen müssen und etwas Schreckliches erlebt, und trotzdem erzählte er davon so offen, als hätte er sich für seine Fehler in dem Moment verziehen, in denen er sie begangen hatte.

"Hechtsprung hat ihn dann aus dem Wasser gezogen und dem SternenClan sei Dank hat er überlebt, aber es ging ihm eine Zeit lang sehr schlecht und ich habe mich miserabel gefühlt", endete der große, gefleckte Kater seine Geschichte. "Aber meine Familie hat mir klar gemacht, dass es nicht meine Schuld war."

Schmutzpfote nickte bestätigend. "Du warst nur ein Junges. Du konntest doch nicht vorhersehen, dass das passieren würde."

"Das sagt Zitterpfote auch immer."

Kurz saßen die beiden schweigend nebeneinander. Schmutzpfote fühlte sich leichter, nachdem sie ihre Zweifel geäußert hatte.

"Du bist ein echt guter Zuhörer..."gab die getigerte Kätzin verlegen zu, aber zu ihrer Enttäuschung sah Graupfote sie gar nicht mehr an. Als sie sich nach hinten beugte, um zu sehen, was er sich anschaute, zuckte sie zusammen. Ihnen näherte sich eine Kriegerin des SeeClans, Fleckengesicht. Die Kätzin, die ein sehr breites Gesicht hatte, das von einem schwarzen Fleck verdeckt wurde, kam immer näher und schien nach jemandem zu suchen.

Auf einmal sprang Graupfote auf.

"Ich muss los!"

Bevor er zu seiner Clan-Gefährtin rannte, wirbelte er noch einmal mit wehendem Schweif zu ihr herum. "Tut mir leid. Aber das war ein gutes Gespräch. Weißt du was, wir treffen uns einfach morgen Nacht wieder und reden in Ruhe weiter wenn ich Zeit habe. Ja? Gut."

Und schon war er verschwunden.

Schmutzpfote blieb mit leicht offenem Maul zurück. Was war das denn gewesen?