Optio Lurio

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„Er beschwört die Wüstendämonen", erklärte einer der Männer seinem Vorgesetzten mit merklich beklommener Stimme.

„Was für ein Unsinn", rief Lurio, zog sein Schwert und hielt es Silas an die Brust. 

„Du", herrschte er ihn an. „Erzählst du diesen Schwachsinn?" Silas musterte den römischen Anführer. Die Klarheit seiner Augen und die Strenge in seinen Gesichtszügen sagten ihm, dass er ein Mann war, den man mit Geistergeschichten nur schwerlich beeindrucken konnte. Silas musste also seine Strategie ändern.

„Aber nein, Herr", erwiderte er und schenkte dem Optio das selbstsicherste Lächeln, das ihm angesichts des unmittelbar bevorstehenden Todes nur irgendwie gelingen wollte. Kurz ließ er seinen Blick über die Gesichter der Männer streifen. Würden sie ihn verraten? Nein, sie standen nur stumm da. Mutter hatte also Recht, dachte Silas. Wenn du mit dem Lügen Erfolg haben willst,  dann musst du schamlos sein.

„Ich frage mich nur", fuhr Silas langsam fort.

„Was fragst du dich, verfluchte Ratte? Ich hab nicht den ganzen Tag Zeit!" Die Stimme des Optio überschlug sich. Der Gladius in der Hand des Römers vibrierte und durch den Stoff seiner Tunika spürte Silas allzu deutlich den kleinen Kreis, den dessen harte Spitze auf seiner Brust beschrieb. Wie viele Menschen sind heute durch dieses Schwert gefallen, überlegte er. Doch zugleich ermahnte er sich. Denn es war ganz sicher nicht der passende Moment für Sentimentalitäten.

„Ich frage mich, ob ihr überhaupt wisst, wer der Mann ist, den ihr töten lassen wollt." Dabei zeigte er auf Jonathan, der unterdessen wieder bewusstlos geworden sein musste. Zumindest hatte er zu beten aufgehört und kauerte gekrümmt, den Kopf des toten Knechtes in seinem Schoß, am Boden. „Nein, ihr wisst es wohl nicht. Und ihr werdet auch nicht wissen, was sein Tod für Folgen für euch haben wird."

„Wer ist er denn?", herrschte ihn der Optio an. „Sprich!"

„Er ist der Sohn des Schlomo ben Ahitub, des Oberpriesters und Verwalters des Tempelschatzes."

Einen Moment blieb es still. Lurio ließ die Spitze seines Schwertes noch etwas höher wandern, jetzt berührte es die bloße Haut, drückte leicht, aber bestimmt in die Grube zwischen den beiden Schlüsselbeinen. Schlomo ben Ahitub. Es war ihm, als habe er den Namen bereits gehört. Im Zusammenhang mit dem unfähigen jüdischen Thronfolger, diesem Hyrkan vielleicht, den sie einen Hohenpriester nannten. Lurio zögerte. Er war an einem wichtigen Punkt in seiner Karriere angelangt. Nachdem der Zenturio durch sein unkonventionelles Vorgehen das Geschick der Truppe in Gefahr gebracht hatte, war es ihm gelungen, die zahlenmäßig unterlegenen Römer doch noch zum Sieg zu führen. Der Zeitpunkt war ideal für eine Beförderung. Es durfte ihm jetzt nur kein Fehler unterlaufen.

„Und wenn du nicht die Wahrheit sprichst", fragte er Silas, nun mit gefasster Stimme.

„Prüft meine Worte, Herr", entgegnete der ungerührt.

Lurio blickte forschend in die blauen Augen des jungen Kriegers. Was für eine Verschwendung, dachte er, einen dummen kleinen Bastard mit solch himmelblauen Augen auszustatten. Aber warum sollte er sich nicht gewarnt sein lassen? Er brauchte nur einen Boten nach Jerusalem zu schicken. Dann würde er schnell wissen, ob ihn das Bürschchen belogen hatte.

„Wenn du nicht die Wahrheit sprichst", sagte er leise, aber bestimmt und drückte die Spitze des Schwertes noch etwas fester in die weiche Haut des jungen Mannes. Der zuckte kaum merklich mit den Wimpern. Da das Schwert über und über mit Blut bedeckt war, konnte der Optio nicht erkennen, ob er mit der Spitze bereits in die Haut eingedrungen war. „Wenn du nicht die Wahrheit sprichst", widerholte er, „werde ich dir ein Ende bescheren, wie du es deinem schlimmsten Feind nicht wünschst."

„Gewiss, Herr", antwortete Silas und atmete endlich wieder etwas freier, denn der Optio zog nun langsam sein Schwert zurück. „Dafür seid ihr Römer schließlich bekannt", fügte er hinzu und ärgerte sich im selben Moment über seinen Irrsinn. Aber es war der Stachel in ihm, der ihn in den bewaffneten Kampf gegen die Besatzer getrieben hatte und der auch jetzt angesichts ihrer Niederlage noch nicht ganz verstummt war. Doch der Optio stieß nur ein kleines trockenes Lachen aus. 

„Wir werden sehen, Bürschchen", sagte Lurio und deutete einem seiner Soldaten zu ihm zu kommen.

„Azad, den dort lässt du am Leben", befahl er trocken. „Und den anderen auch!" Dabei zeigte er auf Silas und fügte wie zur Erklärung hinzu: „Mit ihm werde ich mich vielleicht noch unterhalten." Dann machte er sich auf den Weg zurück in die Befestigungsanlage, wo er für den Boten einen Bericht verfassen wollte.

Priester und KönigeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt