Das gespielte Leben

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Der letzte Akt der Szenerie begann damit, dass die Scheinwerfer, welche die bis eben noch so hell erleuchtete Bühne bestrahlten, in eine mystische Dunkelheit reguliert wurden, die Bühnenbilder sich in einen Kreis aufstellten und eine Art "griechisches Theater" bildeten. Der rote Vorhang, zur Seite geschoben, lies die Bühne offen wirken. Eine unangenehme Leere, welche das Publikum einnahm, folgte.

Anders als die anderen Auftritte, wirkte diese Szenerie wie etwas kaltes, als hätte eine unbekannte mächtige Person, eine die über uns allen stehen würde, sämtliches Glück, sämtliche Freude und jede Farbe aus unseren Köpfen genommen und uns in einer Welt aus Furcht, Hass und Elend gelassen, der wir nicht entfliehen konnten.

Das Stück schien in diesem Augenblick noch wie das berühmte 'Schwarz-Weiß-Denken'. Entweder war es sonderlich positiv, was es bis zu diesem abscheulichen Moment war, oder überaus negativ, schwarz und dunkel, wie wir in diesem Augenblick sehen konnten.

Es fühlte sich so an, als würde uns dieser Auftritt, diese kommende Handlung verändern. Als würde sie uns zu anderen Menschen machen und unser ganzes Verhalten, unser "Ich" um einiges verändern. Die Menschen hatten Angst. Keine Angst vor der kommenden Szene, ihrem beklemmten Herzen, ihrer Luftnot oder der furchtbaren Stille. Nein, sie hatten Angst vor sich selber, vor der Konfrontation mich ihrem "ich".

Gewiss war mir, dass die ersten Menschen im Saal das Stück vorzeitig verlassen würden.

Der Orchestergraben wurde deutlich leiser, als eine Person lächelnd den Raum betrat. Es schien, als sei sie es, die diese bittere Atmosphäre erschaffen hätte.

Mit einem verachtenden Blick trat der Mann in die Mitte der nun wenig ausgeschmückten Bühne, zündete sich geschmackvoll, ohne großes Gerede und nach allen Regeln der Kunst eine Zigarette an, steckte seine rechte Hand in seine Sakkohose und pustete mittlerweile das erste Mal seinen Zigarettenrauch ins Publikum. Er handelte, als würde er keine Regeln kennen, selbst wenn, er würde sie nach allen Maßstäben verletzen.

Ich war mir sicher, es wäre egal gewesen, wie lange die bunten, fantasievollen und fröhlichen Szenen sich vor dieser, sich gerade abspielenden Handlung gezeigt worden wären, sie hätten die jetzige nicht vergessen und nicht als weniger beklemmend empfunden. Es erschien zu perfekt um wahr zu sein. Diese Auftritte voller Freude, Spaß und Glückseligkeit - es schien wie Dreck. Es schien wie eine Lüge, wie etwas was nicht hätte wahr sein dürfen und können. Es war einfach unreal.

Während das Publikum diesem Mann zuhörte, wie versprach und wie er hieße, blickten die Leute hinter seine Kulisse, die einzig wahre Kulisse in diesem Stück. Sie blickten hinter sein Talent, hinter seine Gabe die perfekte Maske aus Illusion und Selbstakzeptanz zu präsentieren. Das interessante an ihm war jedoch, dass er nur zwei mickrige und zum verachten verurteilte Sätze sprach.

Er sagte, wie er hieß. Er sagte wie hässlich er war

und stand danach nur auf der Bühne um seinen Zigarettenqualm den Leuten ins Gesicht zu pusten. Dies war mittlerweile seine Existenz, er stand auf der Bühne, sprach kein Wort, aber pustete mit solcher Kraft, dass die Menschen vor ihm erzitterten. Sie brachen, wie ein Spiegel in tausend Stücke, ein Glas in tausend Scherben. Sie zerbrachen in ihre Einzelteile.

Er wollte niemals rauchen, jetzt tat er es und fühlte sich gut dabei. Gut dabei, andere zu erniedrigen um sich selber besser zu fühlen, ein trauriger Vorsatz. Aber das war er. Das war der Protagonist, er war der Protagonist. Niemand anderes.

"Ein herzloses Arschloch, was es nicht anders verdient hätte."

Wie oft hatte er sich diese Wörter auf der Zunge zergehen lassen. Sie in sich aufgenommen und verschlungen. Während er darüber nachdachte, musste er lachen und pustete erneut seinen vernichtenden Rauch in die Menge, welche sich duckte. Welche sich versteckte vor einer harmlosen Rauchwand. Lieber wären sie gestorben, als zu zerfallen und sich neu zu ordnen.

Zum Schluss schnippte er seinen letzten, zurückgebliebenen Stummel in die Menge und verließ die Bühne. Einige hätten mit Sicherheit nicht 40 Goldstücke zusammengespart um so etwas zu sehen, hätte man den Verlauf in der Vorschau präsentiert. So war das Leben. Geheimnisvoll und überraschend, wer hätte anderes erwartet?

Ob das Publikum geklatscht hatte? Ich glaube nicht. Es waren vereinzelte, die ihre Hände benutzt haben, anstatt ihren Kopf. Es waren vereinzelte, die das Stück nicht verstanden haben.

Hätte der Protagonist sich ein Klatschen erwünscht? Nein, warum sollte man bei einer solchen Szenerie klatschen? Sich den alten Gepflogenheiten hingeben, wie eine Marionette am längst gerissenen Faden? Das war nicht die Aussage des Stückes.

Was war es eigentlich, das Stück? Eine aufmerksamkeitssuchende Heulsuse? Ein Stück, was das Leben nicht verstanden hatte?

War das Leben doch nicht so geheimnisvoll und überraschend? War das Leben eher trist und grausam, hatte jeder mit seiner eigenen Last zu kämpfen?

Entscheidender war es, so denke ich, ich der dieses kleine Stück an dieser Schreibmaschine schrieb und eben vollendet hatte doch, was man selber interpretiert und nicht das, was einem die Anderen vorgeben.


So frage ich dich, was denkst du?

*

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Vielen Dank im Voraus. :-)

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