>>》Brüchige Hoffnung 《<<

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Heiß.
Mir ist so entsetzlich heiß.

Flammen züngelten sich an den Häusern hinauf, fraßen sich gierig durch die Straßen und verschlangen erbarmungslos alles, was ihnen in den Weg kam. Ein starker Windstoß riss sie von den Füßen und sie schlug hart auf dem Boden auf, nur wenige Zentimeter von einem Brandherd entfernt. Die sengende Hitze der Glut brannte ihr in den Augen und reflexartig schob sie sich weg. Weg von dem Ursprung allen Übels.

Mühsam zog sie sich über den ausgedörrten harten Boden, versuchte voranzukommen, versuchte aufzustehen, doch ein Beben ihrer beiden Lungenflügel hinderte sie daran. Ihre Brust zog sich qualvoll zusammen und ein trockenes Husten verließ ihre Lippen. Das sich schnell zu einem heftigen Anfall entwickelnde, versuchte Absondern des giftigen Rauches, betäubte ihre Sinne. Sie hatte schon längst die Orientierung verloren. Das Dorf, dessen kleinste Winkel sie ursprünglich einmal kannte, glich nur noch einem lebenden Labyrinth. Einem geifernden, nach Tod und Zerstörung lechzenden, Monster. Das Ungetüm dürstete nach ihrer Angst. Sie fürchtete sich jedoch nicht vor den Flammen, nicht vor dem Rauch und auch nicht vor dem Tod.

Nein.

Sie fürchtete sich vor dem Leiden. Wenn sie sterben sollte, dann sollte es schnell gehen und kein langsamer und schmerzvoller Prozess sein. Allerdings war sie noch nicht bereit und wehrte sich mit aller Macht dagegen. Das war noch nicht das Ende, sie würde jetzt definitiv noch nicht ins Gras beißen.

Mit letzter Kraft rappelte sie sich auf und bahnte sich ihren Weg durch das Chaos. Ihre Beine zitterten heftig und einzig allein ihr Lebenswille war es, der sie auf den Beinen hielt. Entschlossen stolperte sie vorwärts und presste sich ein dickes Halstuch auf Mund und Nase, während sie sich den anderen Arm schützend vor ihre obere Gesichtspartie hielt. Plötzlich erfüllte ein ohrenbetäubendes Ächzen die von knackenden Lauten dominierte Atmosphäre und nur wenige Meter von ihr entfernt krachte ein schwerer Holzbalken zu Boden, dessen glühende Splitter in alle Richtungen flogen und sich tief in ihr zähes Fleisch bohrten. Ein schriller Schrei entwich ihrem vor Schmerzen verzogenen Mund und Tränen benetzten ihre rötlich schimmernden Wangen. Hätte sie den Arm nicht präventiv vor sich gehalten, wäre sie nun entweder blind oder tot. Doch ungehindert ihrer Verletzungen schleppte sie sich weiter. Nun noch verbissener, am Leben zu bleiben. Es war nicht mehr weit, die Häuser waren bereits kleiner und instabiler geworden. Dass dies am fortgeschritteneren Zerfall liegen musste, kam ihr in diesem Moment nicht in den Sinn. Man erkannte es ganz deutlich an den vollständig mit Ruß bedeckten Steinen, die verloren in der Gegend herum lagen. Doch ihr Blick war stur nach vorn gerichtet.

Leben.
Ich muss überleben.

Der dichte Rauch verflüchtigte sich, wurde vom Sturm fortgetragen. Die starken Böen, die ihr wenige Minuten vorher noch schier das Atmen verwehrten, verhalfen ihr nun zu frischem Sauerstoff, der in ihren gereizten Atemwegen schlimmer als die Hölle brannte. Dennoch dürstete es ihr nach dem rettenden Gas und sie unternahm mehrere tiefe Atemzüge, die von weiterem Husten und anschließendem Erbrechen begleitet wurden. Als ihr Magen nichts mehr hergab und nur noch ein saurer Nachgeschmack zurückblieb, gingen auch ihre letzten Kraftreserven zur Neige und sie sank erschöpft auf die Knie in das stachelige, kurze Gras. Der Anblick, der sich ihr bot, war geprägt von wüster Zerstörung und Willkür. Ihr Dorf, ihre Heimat, stand lichterloh in Flammen und wurde erbarmungslos vernichtet. Einzelne, bereits verkohlte, Balken stachen unnatürlich aus dem Grell hervor und warfen lange gespenstische Schatten. Das Flackern der Flammen hauchte diesen dunklen Stellen Leben ein und es schien, als würden bösartige Gestalten einen Teufelstanz der Freude aufführen. Als würde es ihnen Vergnügen bereiten, dass sie ihr die Lebensgrundlage nahmen.

Eine einsame Träne entrann ihrem Augenwinkel und tropfte ihr Kinn hinab. Eine zweite folgte nicht. Im Grunde gab es nichts, worum sie zu weinen einen Grund hatte. Es stimmte zwar, dass es ihre Heimat gewesen war, doch wie ein Zuhause hatte es sich nie angefühlt. Es war ein fristloses Dasein gewesen, ein Dahinvegetieren ohne jeden Anreiz. Sie kannte es immerhin nicht anders, doch besonders glücklich war sie nie damit gewesen. Vielleicht war dieser Brand das endgültige Zeichen, dass sie einen anderen Weg einschlagen sollte, auch wenn ihr nach dieser Tragödie ohnehin nichts anderes mehr übrig blieb. Die Flucht nach vorn war der einzige Weg zu überleben.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Jan 07, 2022 ⏰

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