Ein eisiger Wind peitschte durch die trotz des schlechten Wetters mit Menschen überfüllten Gassen. Überall wurde gedrängelt und gequetscht, gehastet und geschubst. Die verschiedensten Läden wurden aufgesucht um Bekannten und Freunden ihre Weihnachtswünsche zu erfüllen. Panisch suchte Fedòr den gepflasterten Boden der zugeschneiten Fußgängerzone ab. Gerade eben hatte er ihn doch noch in seinen kleinen Händen gehalten und versucht, den nächsten Wunsch des Mädchens aus der Lilienstraße zu entziffern. Ein heftiger Windstoß hatte den handgeschriebenen Zettel, den er auf der Fensterbank der kleinen eingesammelt hatte, zu Boden wirbeln und verschwinden lassen. Der gehetzte Blick des Wichtels blieb an jenem zerknitterten und durchweichten Stück Papier hängen, dass sich nach genauerem Betrachten als Kassenzettel herausstellte. Verärgert warf Fedòr ihn fort und richtete seine eisblauen Augen wieder auf den Grund. Er wechselte die Hand, welche die Tüte mit den bereits gekauften Geschenken festhielt, damit sie nicht verkrampfte. Die Andere steckte er in seine Manteltasche, wohin der pfeifende Wind ihr nicht folgen konnte. Die ständige Veränderung des schneebedeckten Bodens, durch die Schuhsohlen der frierenden Leute die Stück für Stück die weißen Flocken überall verteilten, machte die Suche nicht leichter. Fedòr wühlte sich durch die Passanten, bis zu dem ausgeschalteten Springbrunnen, wo er die Plastiktüte abstellte. Er rieb sich die Augen und versuchte sich zu erinnern, welche Wünsche noch auf der Liste standen, außer denen die er bereits besorgt hatte und denen die unmöglich zu besorgen waren, wie zum Beispiel Frieden. Er lächelte in der Erinnerung als er gelesen hatte dass ein kleines 7 jähriges Mädchen sich Frieden wünscht. Tief in seinen Überlegungen versunken, fuhr er mit seinem Finger das Tattoo über seiner linken Pulsschlagader nach. Ein simples Abbild eines Mistelzweiges, verflochten in das Geweih eines Elches. Dieses Symbol zeichnete ihn als Weihnachtswichtel aus, bis es mit der Zeit verblasste.Das war davon abhängig, wie gut er seine Aufträge ausführte. Inzwischen war es 7 Winter her, dass man ihm das Bild auf die Haut gedruckt hat, und er hoffte dass es noch einige Zeit zu sehen sein würde. Er hatte sich so sehr auf seine Gedanken konzentriert, dass er erst viel zu spät den Schneeball entdeckte, der wenige Herzschläge später hart auf seinen Brustkorb prallte, sodass ihm für kurze Zeit die Luft wegblieb. Keuchend sah er sich um, bis er in die blitzenden Augen von Balày, einer Arbeitskollegin sah, die jetzt amüsiert lächelnd auf ihn zu kam. Aber leider war sie nicht nur irgendeine Kollegin, nein. Sie war die Stellvertreterin des Weihnachtsmannes höchstpersönlich. Er rollte mit den Augen, denn er konnte sie auf den Tod nicht ausstehen. In ihren hochhackigen Schuhen, die sie eigentlich nicht benötigte, da sie von Haus aus sehr groß war, der engen Lederleggings, einem schwarz-weiß gestreiften Oberteil und einem Anthrazit farbenen Mantel – natürlich mit Fellkapuze – sowie einem gestrickten Schal, weiß mit dunkelgrauen und schwarzen Rentieren stand sie vor ihm. „Kann man dir helfen?“, brummte er leicht aggressiv vor sich hin, ohne sie direkt anzusprechen. Das höchste Gesetz der Weihnachtswichtel war, dass man für eine harmonische Zusammenarbeit mit seinen Mitarbeitern respektvoll und freundlich umgehen musste, was kein Problem war, wenn Balày nicht wäre. „Auf gewisse Weise kannst du mir immer helfen“, flötete sie ihm ins Ohr. „Verzieh dich! Du weißt, dass das nie passieren wird! Gib´s endlich auf!“ Sie reagierte nicht auf die Abfuhr und trällerte weiter. „Vielleicht kann ich dir helfen“ Fedòr schnaubte „Das wüsst´ ich aber!“ Sie zog einen Zettel aus der Jackentasche und hielt ihn ihm unter die Nase. „Bist du sicher?“, fragte sie. Dem verblüfften Wichtel klappte das Kinn runter. „Der Wunschzettel! Du hast ihn gefunden!“ Er wollte danach greifen, doch sie steckte ihn wieder ein. „Was soll das?“ Fedòr war genervt und sah sie kritisch an. „Warum sollte ich dir diesen Gefallen tun?“, fragte sie. Er biss die Zähne zusammen und starrte sie wütend an. „Weil das mein Auftrag ist und es schwer bestraft wird wenn heraus kommt dass du ihn mir vorenthalten hast? Aber das müsstest du eigentlich am besten wissen!“ Inzwischen hatte es angefangen zu schneien und der Wichtel zog sich seine Kapuze tiefer ins Gesicht. "Wenn du eine Bedingung erfüllst gebe ich ihn dir", behauptete sie. Stur sah Fedòr ihr in die Augen und wartete auf eine Antwort. Sie sah ihn nur zwinkernd an, und der Nebel vor seinem inneren Auge lichtete sich. „Oh nein, nein das kannst du nicht machen, das ist...“ „Gut, dann nicht“, säuselte sie, steckte den Zettel wieder weg und ging. Wenn Fedòr darauf einginge würde sie überall mindestens erzählen dass sie zusammen im Bett waren, im schlimmsten Fall sogar dass sie zusammen waren, aber vielleicht... „Nein warte!“, rief er. Siegessicher drehte sich Balày wieder um. „Einverstanden!“, sagte er. Triumphierend grinste sie ihn an, als hätte sie von vornherein gewusst, dass er ihr zustimmen würde. „Dann sind wir uns ja einig.“ „Nein, nicht ganz. Der Zettel!“, erwiderte der Wichtel und hielt ihr auffordernd seine offene Handfläche hin. „Den bekommst du erst nachdem du dafür gezahlt hast.“, setzte sie in Gänsefußchen und die Wunschliste landete in ihrer übergroßen Handtasche. Das Blut des Mannes brodelte vor Wut und Verzweiflung, dass er jetzt an Balày gebunden war. Er hatte eigentlich vorgehabt, die Liste zu bekommen und sie dann abblitzen zu lassen. Schnaubend stand er auf, nahm die Tüte mit den gekauften Geschenken und stampfte durch den inzwischen 10 cm hohen Schnee in Richtung Parkplatz.
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Wirklich Verloren?
Short StoryFédor ist ein Weihnachtswichtel und arbeitet für den Weihnachtsmann. Er sammelt nachts wenn die Kinder schlafen von den Fensterbänken ihre Wunschzettel ein und geht dann Geschenke kaufen. Doch unglücklicherweise verliert er den Zettel eines kleinen...