Kapitel 20 ⚠️ Gewalt

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Der schrille Klingelton eines Handys unterbricht unseren Kuss. Genervt verdreht Nathe die Augen und kramt das IPhone aus seiner Hosentasche.
„Was?!", geht er genervt ran. Ich kann am anderen Ende nur eine tiefe Stimme vernehmen. Entweder es ist einer der Jungs aus dem Team oder Victor. Nach ein paar Sekunden legt er ohne weiteren Worte auf.
Fragend schaue ich ihn an. Ich bin ein wenig froh über die Ablenkung, weil ich echt keine Ahnung habe, was ich mit meinen Lippen anstellen muss. Nathe wird schon so viele Mädchen geküsst haben, dass ihm sicher aufgefallen ist, dass ich keinen Plan habe. Und trotzdem hat er nicht aufgehört.
„Wir müssen los", erklärt er mir wobei sich seine Augen noch einmal in dem satten Grün der Bäume färben als er mich ansieht. Seit über einer Stunde habe ich von ihm kein Pokerface mehr gesehen, da ist ein neuer Rekord.
Seine Hand legt sich wieder auf meine Wange. Ich spüre seinen kalten Silberring, als er mit dem Daumen mein Gesicht streichelt.
„Du tust mir gut, Swany."
Bei dem Spitznamen zieht sich alles in mir glücklich zusammen. Ich bin echt selten sprachlos, aber ich kann gerade nichts von mir geben. Zuseher habe ich Angst, dass ich diesen Moment zerstöre. Oder dass das alles nur wieder ein Traum ist. Eine Wunschvorstellung und ich eigentlich wieder im Musikunterricht sitze.
Er zieht meinen Kopf zu sich und drückt mir einen Kuss auf die Stirn. In einem Liebesroman habe ich gelesen, dass der Kuss auf den Kopf eine ganz andere Bedeutung hat, wie die auf den Mund. Ich will gar nicht wissen, wie viele Mädchen Nathe schon geküsst hat, wahrscheinlich kann er sie alle nicht mal aufzählen, aber ein Kuss auf die Stirn ist ein Versprechen. Ein tiefes Versprechen, dass ich ihm viel bedeute, dass ich wichtig für ihn bin.
Als ich meine Hand an seine Wange lege will um ihn noch einmal zu küssen, zuckt er zurück. Das Dunkelgrün in seinen Augen und die heraustretenden Wangenknochen verraten mir, dass ich den Moment durch diese Berührung zerstört habe.
„Tut mir leid...", beginne ich zögernd, ohne überhaupt zu wissen, was ich falsch gemacht habe. Ist es so ein Jungs Ding, dass nur Jungs die Frau küssen dürfen und nicht anders herum? Oder hab ich doch schlecht geküsst?
„Wir sollten gehen", holt mich Nathe aus meiner inneren Unsicherheit zurück auf Planet Erde, schnappt seinen Rucksack, stopft meine Nassen Klamotten rein und ergreift meine Hand. Nur dieses Mal verschränkt er unsere Finger miteinander.
Mein glücklicher Gesichtsausdruck muss Bände sprechen, weil seine perfekten Zähne wieder zum Vorschein kommen.
Wie ein Paar schlendern wir durch den Wald zurück zum Motorrad, auf dem erstaunlicher Weise die Helme noch liegen. Keine Ahnung warum mich das verwundert, wer würde in den Wald gehen um Motorradhelme zu klauen?
Kurz bevor wir losfahren, erinnere ich mich, dass meine Neugierde ja noch eine Frage hat.
„Wohin müssen wir denn?"
Nathe schmeißt den Motor an und dreht seinen Kopf zu mir, damit ich ihn besser verstehen kann.
„Nach Hause."
Seltsam, dass ich bei dem Wort Zuhause schon gleich an die Villa denke.

Nach knapp 20 Minuten steht das Motorrad in der Garage, und ich muss zugeben, man kann sich auf jedenfalls dran gewöhnen.
In der Eingangshalle kommt uns eine aufgebrachte Ivona entgegen.
„Nathe, wie kannst du es wieder vergessen haben. Und wie du wieder aussiehst. Catlin, was hast du denn da an?"
Erst als ich an mir herunter schaue, merke ich, dass ich noch Nathes T-Shirt trage.
„Sie ist ins Schwimmbecken gestoßen worden, weißt doch, dass die Jungs sich damit immer einen Spaß erlauben.", rettet Nathe die Situation glaubwürdig, als wäre es wirklich so passiert. Seine Haare sind zumindest wieder trocken.
Warte mal, stellt er mich gerade als Mobbingopfer dar? Das mich seine Jungs mobben würden? Wohl eher andersrum.
Sofort breitet sich Besorgnis auf dem Gesicht der Mutter aus: „Oh nein, Schätzchen!"
Sie nimmt mich in den Arm und drückt mich fest. Ich werfe einen bösen Blick zu Nathe, der nur scheinheilig mit den Schultern zuckt und sich ein Lächeln nicht verkneifen kann.
Alles klar, also bleibt das zwischen uns noch etwas geheim, vor allem hier zu Hause. Ist vielleicht auch besser, keine Ahnnung wie sein Vater reagieren würde.
„Weißt du was dir jetzt gut Tun würde? Wir zwei machen uns heute einen schönen Tag zusammen, okay?", versucht mich Ivona unnötigerweise aufzumuntern. Ich kann nicht mehr als ihr ein wenig dankend zuzulächeln, keine Ahnung wie man sich als Mobbingopfer so verhält.
„Nathan!!!", donnert die Stimme seines Vaters durch das Haus, sodass ich wir alle zusammenzucken.
„Ihr zwei müsst mich kurz entschuldigen", murmelt Nathe, legt seine Schulsachen ab und geht der Stimme nach.
Oh man, er tut mir so leid. Kaum ist er zuhause, setzt er sein Pokerface wieder auf und seine Körperhaltung wirkt total verspannt. Zuhause sollte ein >Safe Space< sein, nicht der pure Alptraum.
Ivona zieht mich an der Hand die Treppen nach oben. „Komm, wir ziehen dir erstmal etwas schönes an, das hilft immer!"
Sie zieht mich in ihr Zimmer, zum begehbaren Kleiderschrank mit allen vorstellbaren Farben.
„Dein Vortrag gestern Abend hat gefruchtet", berichtet sie mir stolz und geht zur dunkelroten Farbabteilung. „ Hier klingeln schon den ganzen Tag die Telefone... Sie wollen einen Bericht über dich in der Zeitung."
Mit fallen fast die Augen aus dem Kopf. Oh Gott. Wenn das die ganzen Schüler sehen, die ganze Stadt, meine Eltern... Nathe hat mich gestern Abend ja vorgewarnt, als Mr. Silver mich deswegen angesprochen hat.
„Nathe hat gleich ein Photoshooting und um dich etwas aufzumuntern, fährst du mit und kannst ihm und mir zusehen, was wir so in meiner Firma machen.", erklärt mir Ivona ihren Plan. Das soll mich aufmuntern? Das versetzt mich noch mehr in Panik.
„Vielen Dank für dieses Angebot, aber mir geht es schon viel viel besser."
Sie schenkt mir nur ein glaubhaftes Lächeln für meine schlechte Ausrede und durchsucht die Farbe rot für ein passendes Kleid.
Ich muss mich also noch mehr anstrengen.
Mir geht es heute wirklich nicht gut, ich wäre sehr froh, wenn ich mich einfach etwas ausruhen könnte."
Sich krankstellen zieht immer.
Nur anscheinenden nicht bei Ivona. Sie überreicht mir fünf rote Kleider: „Probier das mal an."

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