Kapitel LXXIII

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Sie landete auf ihren Knien, schnellte aber gleich wieder hoch. Trina wollte nicht, dass die anderen das über Lucien wussten. Sie war überzeugt, ihn wieder auf den rechten Weg zu bekommen. Ihr Bauch schmerzte, doch es schien wieder zu heilen. Allerdings war ihr Oberteil jetzt mit Blut befleckt, wie sollte sie das bloß erklären? Für Luciens Verschwinden hatte sie bereits eine Ausrede. Sie sah sich um. Niemand schien sie zu beachten, gut. Langsam und mit den Armen um ihren Bauch geschlungen ging sie zu den am Boden liegenden Graham und Rubin. Sie wollte wissen, was geschehen war und außerdem wussten die Beiden nicht, dass sie eben noch unverletzt war. Trina kniete sich zwischen sie. Rubin schien zu schlafen, seine Augen waren geschlossen. Graham jedoch kam wieder zu Kräften und richtete sich vorsichtig auf. "Shhh", machte Trina und deutete auf Rubin. Gray nickte und klopfte neben sich auf die Decke. Sie rutschte auf ihren Knien zu ihm herüber und lehnte sich an die Wand hinter ihnen.
"Ein echt beschissener Einstieg ins Vampirleben, Gray. Wie geht's dir?", fragte sie.
Er zuckte mit den Schultern.
"Wie soll es mir schon gehen? Es wird wieder. Weißt du, was mit den anderen ist?"
Trina schüttelte den Kopf. "Genau kann ich es dir nicht sagen. Corvin erzählte, dass er Aschehaufen gefunden hat. Die müssen erst analysiert werden. Was passierte denn nach der Zeremonie?"
"Nachdem wir alle als Vampire wieder auferstanden waren, verließ Mr. Morlet den Raum und wir gingen in Begleitung von Mr. Morgan in den Gemeinschaftsraum. Dort wartete Rubin. Mr. Morgan bemerkte dein Fehlen und schickte mich und Rubin los, dich zu holen. Wir waren fast da, als auf einmal ein Unbekannter vor uns stand und mit einem Messer rumfuchtelte. Wir haben gegen ihn gekämpft, doch er war sehr stark. Wäre Mr. Banks nicht aufgetaucht, wären wir beide vermutlich tot. Er brachte uns hierher. Auf dem Weg hörten wir viele Schreie."
"Ward ihr denn gar nicht im Gemeinschaftsraum? Ich hatte Mr. Morlet gesucht und war auch dort, aber keiner war da", fragte Trina.
"Wir waren nur kurz dort. Mr. Morgan ging dann mit uns hinunter in den Keller", erzählte Graham.
"Trina?"
Sie schaute auf, Kendrick kam auf sie zu.
Rasch stand sie auf, verabschiedete sich von Gray und wünschte ihm schnelle Genesung und ging Kendrick dann entgegen, stets bemüht, ihre fast schon verheilte Wunde unauffällig zu verbergen. Er lächelte und nahm sie in den Arm.
"Geht's dir besser?", fragte sie.
Er nickte und gab ihr einen Kuss auf die Stirn.
Gerade wollte er etwas sagen, da ertönten Stimmen vom Durchgang. Sie beide drehten sich um. Viele bekannte Gesichter standen dort: Seere, Phenox, ihr Lehrer für Ethik und Strategie, Mr. Lang und noch einige andere. Vincent Lang war es auch, der die Worte sagte: "Es ist vorbei! Sie sind weg!"
Erleichtertes Seufzen erfüllte den großen Raum.
"Alle, die unverletzt oder nur leicht verletzt sind, helfen jetzt bei der Durchsuchung des Schlosses. Folgt mir bitte", wies Mr. Lang an. Trina und Kendrick gingen gemeinsam zum Durchgang. Corvin ging hinter ihnen. Schweigend schritten sie hindurch, in den kleinen Raum mit den Büchern, hinaus auf den Flur und eine Treppe hinauf, in eine größere Halle. Dort koordinierte Mr. Lang die Durchsuchung. Kendrick sollte den Teil des Schlosses überprüfen, in dem unterrichtet wird, Corvin wurde für die Lehrerquartiere eingeteilt und Trina sollte die, für die Schüler zugänglichen, Kellerräume durchsuchen. Sie schluckte, nahm aber die Röhrchen, um Ascheproben zu sammeln und den Dolch um sich gegebenenfalls zu verteidigen tapfer entgegen und machte sich auf den Weg.
Vor der Treppe machte sie kurz halt. Gleich müsste sie die Asche ihrer Klassenkameraden aufsammeln. Und wer weiß, wer noch nach dort unten getrieben wurde, dachte sie und erschrak.
Jemand packte sie von hinten und umfasste ihre Taille.
"Du musst das nicht alleine machen. Ich bin bei dir...", raunte ihr der jemand zu. Überrascht drehte sie sich um.
"Lucien... Was machst du hier? Du solltest doch verschwinden. Wenn du mir was antust, werde ich schreien. Außerdem wissen alle, wo ich bin."
"Komm mal wieder runter. Ich werde dir nichts tun. Ich bin nur wegen dir noch hier", sagte er.
"Bullshit! Du bist bloß noch hier, um deine Haut zu retten. Würdest du jetzt abhauen und kein Aschehaufen würde dir zuzuordnen zu sein, wäre klar, dass du übergelaufen bist", argumentierte sie und schüttelte seine Hand ab.
"Das ist der zweite Grund, weswegen ich hier bin. Aber glaub mir, ich tue dir nichts. Ganz im Gegenteil, Trina. Auriel und die anderen mussten fliehen...Vorläufig. Ich wurde beauftragt hier auf dich aufzupassen. Wollen wir jetzt hinunter gehen?"
Sie sah ihn an. Er war so voller Widersprüche. Und ihre Gefühle für ihn ebenso. Sie liebte ihn. Das war unabstreitbar, aber für sein Handeln hasste sie ihn. Doch wenn sie dann wieder den Grund für seine Handlungen bedachte... Er schien ihr ihren inneren Konflikt anzusehen, denn er nahm ihre Hand und lächelte. Aber seine Augen wirkten traurig und immer noch leer. Lucien, oh Lucien... Sie drückte seine Hand kurz und ging dann gemeinsam mit ihm die Treppe hinunter. Sie schauten in jeden Raum, fanden aber nichts. Dann standen sie vor der Tür vor dem Partyraum. Sie blickten sich an und Trina nickte.
Daraufhin öffnete Lucien die Tür und sie traten ein.
Es war schrecklich. Einfach nur schrecklich. Doch war sie auch etwas erleichtert. Auf dem Boden lagen dutzende Aschehaufen, doch sie stürzte zuerst zu den übel zugerichteten Überlebenden. Lucien rief ihr zu, er hole Hilfe und hastete mit übermenschlicher Schnelligkeit davon.
Sie drehte den ersten am Boden liegenden Körper um.
"Hadrian...Bleib ruhig liegen. Hilfe kommt gleich."
Er stöhnte und Trina eilte zum nächsten. Es war Ben. Seine Kehle war aufgeschlitzt und er gurgelte mit seinem eigenen Blut. Hoffnungsvoll, auch Sam zu finden rannte sie zum nächsten Körper. Doch es war Espen. Sie streichelte ihm beruhigend über seine Wange und er sagte sehr heiser: "Die Mädels...Sie sind gefesselt und geknebelt im Separee."
Sofort eilte sie zu dem einzigen geschlossenen Separee und schlug den Vorhang zurück.
Ihr stockte der Atem.
Caitlin, Ivy, Lucy und Gwen waren mit Ketten an das Eisengestell, das die Vorhänge hielt, gefesselt. Sie waren geknebelt und schienen alle nicht bei Bewusstsein zu sein. Vielleicht auch besser so, dachte sie.
Ihre Körper waren entblößt und übersät von Messerstichen. Doch das war nicht das, was sie so erschreckte. Das Schreckliche waren die Messer aus Silber, die in ihren Genitalien steckten und sie langsam dort verätzten. Trina packte sich ein Fetzen der Kleidung, die von Caitlins Körper hing und wickelte es um ihre Hand. Dann zog sie ein Dolch nach dem anderen heraus. Sie war gerade fertig damit, als Lucien wieder auftauchte, zusammen mit einigen anderen. Gemeinsam befreiten sie die Mädchen und die Helfer brachten sie und die drei Männer davon. Dann machten Trina und Lucien sich daran von jedem Häufchen Asche etwas in Reagenz ähnlichen Gläser zu füllen. Diese brachten sie dann in den Krankenflügel, zum Labor. Dort würde eine DNA-Analyse ergeben, um wen es sich gehandelt hatte.

BlutsMacht - Die ZeremonieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt