⊱Kapitel 23⊰

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»Also schön Lyn. Eine Frage, eine Antwort.« Neugierig und gleichzeitig so herausfordernd durchdringt mich Aidens Blick.
Eine Frage, eine Antwort klingt so langweilig, doch in der Gegenwart von Aiden wird es sicherlich ein Abenteuer. Aber so kennt man Aiden eben. Er hält nichts von klassischen Ideen. Ich allerdings auch nicht, weshalb ich kurzerhand beschließe die Spielregeln zu ändern.
»In Ordnung. Aber als Antwort bleibt nur ein einziges Wort.«
Aidens Braue zuckt einen winzigen Millimeter in die Höhe, ehe er bestätigend nickt. »Alles klar Schönheit. Herausforderung angenommen.«
Während Aiden noch immer nicht den Blick von mir wenden kann oder will, lege ich entgültig mein Besteck zur Seite und bereite mich mental auf das bevorstehende Frage Antwort Spiel vor. Viel Zeit bleibt mir aber nicht, denn Aiden schießt direkt los.
»Was ist an Brooklyn eigentlich so schlimm?«
Darüber muss ich definitiv nicht lange
nachdenken. Die Antwort ist so simpel.
»Alles.«
Denn so ist es. Ich hasse es nach einer verdammten Brücke benannt zu sein. Noch dazu von einer Frau, die ich niemals in meinem Leben sehen werde. Wozu ich ehrlich gesagt auch nicht unbedingt Ambitionen hege.
Aidens Miene wandelt sich schlagartig in einen ist-das-dein-ernst Blick. Ja Aiden, das ist mein absoluter Ernst.
»Was ist deine größte Leidenschaft neben dem Football und der Fotografie«, stelle ich schließlich die Gegenfrage.
Mein Gegenüber lehnt sich entspannt im Stuhl zurück, ohne den Blick abschweifen zu lassen.
»Du.«
Schlagartig verkrampft sich mein ganzer Körper, das Blut rauscht durch seine Bahnen. Die Hitze steigt mir ins Gesicht. Und mit ihr auch die Röte. Mit so einer Antwort hätte ich definitiv nicht gerechnet. Aber eigentlich hätte es mir auch klar sein können, dass Aiden irgendetwas in dieser Art von Stapel lassen musste. Während ich also vor Scham im Boden versinken möchte, grinst Aiden mich nur zuckersüß an. Er sagt nichts. Und das ist auch nicht nötig, denn dieses unwiderstehliche Grinsen haucht seiner Antwort plötzlich eine unergründliche Wärme und Tiefe ein, die Röte verblassen und die Schmetterlinge in meinem Bauch fliegen lassen. In diesem Moment ist es zurück. Das Kribbeln, welches nur Aiden schafft, zu Tage zu befördern. Diese wenigen Sekunden fühlen sich an, als würde die Zeit anhalten und erst fortlaufen, als Aiden mir eine weitere Frage stellt.
»Was schreibst du eigentlich immer in dein Notizbuch?«
Ich schlucke merklich. Natürlich könnte ich ihm jetzt irgendeine Lügengeschichte auftischen, aber das hat er nicht verdient. Ich vertraue ihm. Aiden verdient die Wahrheit.
»Gedichte. Was willst du später einmal werden?«
Aiden grinst frech. »Dein Mann. Erlaubst du mir sie irgendwann einmal zu lesen? Sie sind bestimmt wunderschön.«
Dieser Junge bringt mich noch auf die Palme, wenn mich sein Charme nicht vorher um meine Fassung bringt. Aber meine Gedichte lesen? Ich glaube nicht, dass ich das zulassen kann. Noch nie habe ich sie einer Person gezeigt. Nicht einmal Alli. Und das soll schon was heißen. Aber wer weiß, was in ein paar Jahren ist? Ob wir uns dann noch immer so nahe stehen? Vielleicht kann ich es ihm eines Tages doch erlauben? Also zucke ich einfach nur mit den Schultern. Lasse die Antwort zwischen uns hängen wie eine unbeantwortete Frage. Eine, auf die es vielleicht niemals eine eindeutige Antwort geben wird.
»Glaubst du denn, dass du das werden könntest?«
Nun lehne auch ich mich zurück. Gespannt auf seine Antwort.
»Sag du es mir Lyn.«
Wenn er so weiter macht, dann bin ich mir dieser Sache ziemlich sicher.
»Höchstwahrscheinlich.«
»Was kann ich tun, damit du dir ganz sicher bist?«
Selbstbewusster als sonst, stützte ich mich mit den Ellenbogen auf dem Tisch ab und flüstere: »Finde es heraus.«
Aiden grinst noch immer zu und tut es mir gleich. »Es gefällt mir, wie du die Dinge anpackst. Mit Vergnügen Lyn, mit Vergnügen werde ich das rausbekommen.«
Zeitgleich lösen wir uns aus unserer Haltung und lehnen uns erneut zurück.
»Und was willst du später einmal beruflich machen?« Versuche ich ein zweites Mal mein Glück, indem ich meine Frage anders formuliere.
»Fotografie.«
»Echt? Du willst dein Hobby zum Beruf machen?«
»Ja, vielleicht. Vielleicht aber auch etwas anderes in diese Richtung. Ich bin übrigens dran. Also nicht so voreilig«, zwinkert Aiden. »Soweit ich weiß, bist du nicht hier aufgewachsen. Also möchte ich wissen, wo du ursprünglich herkommst?«
Diese Frage pendelt leider stark an der Grenze, an der ich dicht mache. Meine Geschichte für mich behalte. Verpackt in ihrer sicheren Hülle. Unsichtbar und unantastbar. Trotzdem antworte ich Aiden ganz unverfänglich. »Walla Walla, Washington.«
»Ich glaube du hast das Spiel nicht verstanden Süße. Das waren drei Wörter.«
»Wie viele Spitznamen hast du eigentlich noch für mich?«, provoziere ich ihn spielerisch.
»Unendlich viele Lyn.«
Ich grinse in mich hinein. Irgendwie gefällt mir seine Antwort.
»Das waren mehr al-«, füge ich hinzu, werde jedoch von Aiden unterbrochen, der anfängt zu lachen. »Schon verstanden.«
Diese Situation ist so absurd und sein Lachen so ansteckend, dass mir schon gar nichts anderes übrig bleibt, als seiner Emotion zu folgen. Es dauert eine Weile, bis wir beide uns halbwegs beruhigt haben. Um mich nicht an meiner eigenen spucke zu verschlucken, trinke ich hastig einen Schluck Wasser.
»Welcher ist eigentlich dein Lieblingsort.«
Ich nehme mir einen Moment, um genauer über diese Frage nachzudenken. Es gibt so viele Orte, an denen ich mich so gerne aufhalte. Frei fühlen kann. Lebe. Einfach ich bin. In der letzten Zeit haben sie sich sogar vervielfacht. Doch der eine Ort, an den ich immer wieder bedingungslos zurückkehren würde ist leider viel zu weit entfernt und wurde von mir nur ein einziges Mal besucht.
»Das Meer. Deiner?«
Aiden wirkt ebenfalls nachdenklich, lässt sich Zeit.
»Wenn du mich lässt, dann bringe ich dich irgendwann zum Meer. So oft und so lange wie du willst. Es ist wirklich schön dort. Aber am liebsten halte ich mich in der Natur auf. Der Wald. Die Bäume, die Stille. Da bin ich zu Hause.«
Sein Versprechen legt sich wie ein Verband um mein Herz. Wie die Hoffnung, eines Tages endlich ungestört nach vorne blicken zu können. Auf die unendlichen Weiten des Meeres. Dessen Ausläufer ich längst gefunden habe. Ich finde sie jedes Mal, wenn ich in Aidens ozeanblaue Augen blicke. Jedes Mal fühle ich mich so gut behütet und doch so frei. So frei, wie ich mich bisher nur am Meer gefühlt habe. So Geborgen, wie nicht einmal Alli mich schützen konnte.
»Ich würde liebend gerne eines Tages mit dir ans Meer fahren. Ich würde überall mit dir hinfahren. Auch in den Wald, zwischen die Bäume. Die Stille genießen.«
Aiden lächelt. »Du meinst das ernst?«
»Natürlich meine ich das ernst.«
»Dann lass uns gehen. Und dahin fahren, wo es uns gefällt.«
Irritiert runzel ich die Stirn. Er will doch bitte nicht jetzt ans Meer. Oder etwa doch?

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