Kapitel 36

584 22 15
                                    

MELANY

Es war ein so wohliges, bekanntes Gefühl, Azriel am anderen Ende des Seelenbandes zu wissen. Zu wissen, dass er nun endlich meine Gefühle spüren würde, die ich ihm darüber schickte. Endlich gingen sie nicht mehr in die Leere wie die anderen Male seit über einem Monat.

Und endlich hatte ich auch einen Brief als Antwort bekommen. Er hatte mir mit vier Seiten erklärt, weshalb er sich verpflichtet gefühlt hatte, unser Band zu kappen; warum seine Mission so lange gedauert hatte (ohne mir natürlich irgendwelche Details zu erzählen); wann wir uns endlich wiedersehen würden...

Wenn es nach ihm ginge - wohlgemerkt auch nach mir -, dann bereits so schnell wie möglich. Aber das war nicht abzusehen in nächster Zeit. Es gab wohl irgendwelche Ergebnisse von seiner Mission, die seinen Aufenthalt am Nachthof verlangten. Vor Allem weil die Höhlenstadt heute ankommen würde. Ich konnte ihm natürlich nicht sagen, dass es mich freute, während ihres Aufenthaltes nicht dort sein zu müssen, aber Az wusste es bereits. Außer Frage stand natürlich auch, dass ich nicht wieder zurück nach Hause gehen konnte. Jetzt nicht und auch in nächster Zeit nicht.

Helion sagte, wir seien fast am Ende unseres Trainings angelangt. Doch aufgrund meiner jährlichen Blutung als Frau verzögerte sich alles. Als Fae hatte man bloß drei Mal im Jahr seine Blutung, doch diese drei Mal machten das wett, was Menschen wohl jeden Monat ertragen mussten. Ich kannte keine Details, aber Nesta, Elain und Feyre erzählten mir von ihren Zeiten auf der menschlichen Seite der Mauer und welch Unannehmlichkeiten diese Blutung für sie zur Zeit ihrer Armut hatte.

Ich hatte es gemütlich in meinem Zimmer... In einem Zimmer von Helions Palast natürlich. Das Zimmer, in dem ich als Gast blieb. Es war nicht wirklich mein Zimmer. Auch wenn ich zugab, dass es mir immer schwerer fiel, mich hier nicht absolut wohl zu fühlen. Mich nicht an alles zu gewöhnen. Ich konnte mir gut vorstellen, dass ich starke Sehnsucht nach diesem Ort haben würde, sobald ich wieder zuhause wäre.

Ich zog die weiche Federdecke über die untere Hälfte meines Gesichts. Das Wetter war unglaublich warm, ja, aber das Gefühl von weichem Stoff auf meiner Haut fühlte sich unbeschreiblich tröstlich an. Als erneut eine Schmerzwelle über mich herfiel, zog ich meine Beine an meinen Oberkörper, sodass ich in meinem eigenen Kokon darauf wartete, bis der Schmerz wieder verebbte.

Es klopfte an meiner Tür, und ohne die Augen zu öffnen rief ich "Herein". Da Nova bereits längst zurück am Nachthof war, konnten es nur die Zofen sein, die seit Stunden mit besorgten Gesichtszügen umherliefen, um mir entweder ein heißes Bad einzulassen oder warme Körnerkissen zu bringen. Als der Raum plötzlich nach Lilien und Honig roch, wusste ich, dass es keine Zofe war.

Auch wenn mein Unterbauch sich schmerzlich zusammenzog während ich versuchte, mich aufzurichten, setzte ich mich angestrengt im Bett auf und lehnte mich an das Kopfteil meines Bettes. Helion kam mit einem sachten Lächeln herein, in der Hand eine violette Schachtel, in dem hellbraune Kügelchen golden glitzerten.

»Ich hörte, du fühlst dich nicht gut«, sagte er und kam langsam auf mich zu, wie als wolle er um meine Erlaubnis bitten.

Ich versuchte, so gut es geht überzeugend zu lächeln, während eine Hand gegen den Schmerz in meinem Unterbauch drückte. »Ihr hättet Euch doch nicht die Mühe machen müssen, bis hierher zu kommen«, sagte ich lächelnd, bedeutet ihm mit der freien Hand aber, sich gerne auf die dunkelroten Sessel zu setzen, die neben meinem Bett an der Wand standen.

Helion reichte mir die Schachtel, ehe er sich mit seinen cremefarbenen Gewändern auf dem Sessel niederließ. »Ich hoffe doch, dass sich jeder gut um dich kümmert.«

Der Ruf des SchattensängersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt