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Seufzend lasse ich mich ins weiche Gras fallen, als ich all meine T-Shirts im dorfeigenen Fluss gewaschen habe. Mein Blick wandert rüber zu Eleanor und Johanna, die gerade mit ihrer kleinen Tochter, die als Waisenkind von einem anderen Elfenstamm ins Dorf kam und von den beiden adoptiert wurde, im Wasser planschen.

Charlotta stammt aus dem gleichen Dorf, aus dem Johanna damals nach Eroda kam, nachdem sie Eleanor gefunden hatte. Auch sie war eine Waise gewesen und ist von einem männlichen Elfenpaar aufgezogen worden, das sich erst im hohen Alter gefunden hatte.

Johanna hat mir vor ein paar Tagen beim Essen erzählt, dass es gar nicht so selten ist, dass Elfen ihren Partner erst im hohen Alter finden. Viele verlassen in jungen Jahren ihr eigenes Dorf so gut wie nie und da die Wahrscheinlichkeit, im eigenen Stamm seinen Verbündeten zu finden, recht gering ist, leben viele Elfen sehr lang ohne ihr Gegenstück. Einige würden das passende Puzzleteile sogar nie finden, aber dennoch mit einem festen Partner leben, der sie gut ergänzt.

So gern ich auch mehr über die Wesen erfahre, mit denen ich nun zusammenlebe, so sehr überfordert mich leider jede neue Info erneut, was meine eigene Situation angeht.

Seit ich Harry so unsanft mitgeteilt habe, dass ich nicht darüber nachgedacht habe, was ich tue, als ich mit ihm schlief, sind knapp 1 1/2 Wochen vergangen. Seitdem ist es... ja, komisch ist wohl das richtige Wort dafür.

Dadurch, dass wir uns noch immer seine Baumkrone teilen, kommen wir nicht drum herum, miteinander agieren zu müssen. Konversationen beschränken sich auf das Mindeste, sobald wir uns auch nur versehentlich berühren, zuckt er zurück und hat unweigerlich einen traurigen Gesichtsausdruck. Tagelang hat er auf dem, für seine Körpergröße viel zu kleinen, Sofa geschlafen und erst auf meine Bitte hin wieder die andere Seite seines Bettes bezogen. Das Schuldgefühl hat mich einfach zu sehr zerfressen.

Und obwohl er mir nun den Freiraum lässt, den ich so unbedingt haben wollte, bin ich kein bisschen schlauer, was ich fühlen soll. Nein, stattdessen muss ich mir eingestehen, dass ich seine Nähe vermisse. Was mir bewusst geworden ist, ist dass ich mir über nichts klar werden kann, ohne Zeit mit ihm zu verbringen.

Leider bin ich ein Mensch, der sehr schlecht darin ist, Fehler einzugestehen, sodass ich absolut keine Ahnung habe, wie ich das Ganze vor ihm ansprechen soll. Von Tag zu Tag wird es schwerer, mich zu überwinden und ich spüre deutlich, wie sehr ich ihm mit meinem Verhalten wehtue.

Seit Tagen hat er keinen Appetit und ich habe schon mehrmals mitbekommen, wie er sich übergeben muss. Er ist blass und seine Augen haben den wunderschönen Glanz verloren, der mir so gut gefällt. Seine sonst so grazile Art, sich zu bewegen, ist einem Schatten seiner selbst gewichen und ich bilde mir sogar ein, dass seine Flügel deutlich weniger beschwingt auf und ab wippen, als sonst.

"Ach Gänseblümchen, hängst du schon wieder in deinen Gedanken?"

Lächelnd kommt Johanna durchs knietiefe Wasser auf mich zu gewatet, in der Hand eines meiner Shirts, das mit der leichten Strömung flussabwärts getrieben sein muss, ohne dass ich es mitbekommen habe.

Schnaufend lasse ich verlegen den Kopf sinken, als sie das feuchte Oberteil in mein Körbchen legt. Trixie hat mir, wie jedem anderen Dorfbewohner, mein eigenes, kleines Weidenkörbchen geflochten, in dem ich gepflücktes Obst, die frischen, noch warmen Backwaren aus der Backstube, oder Eier und Milch von Helgas niedlicher Farm sicher transportieren kann. Seit gestern habe ich sogar ein passendes blau-weiß kariertes Deckchen, um es hinein zu legen. Luana hat sogar meine Initialen hineingestickt...

"Ihr habt noch immer nicht geredet, oder?" fragt sie ruhig, nachdem sie sich neben mich ins Gras hat plumpsen lassen. Ich schüttle bedröppelt den Kopf. "Ach Liebes, Ihr macht es Euch aber auch schwer." schmunzelt sie. "Ich hab' einfach so-... ich weiß nicht mal, was mich so durcheinander macht, aber... ich mache es nur noch schlimmer, wenn ich nicht langsam in die Pötte komme, oder?" schnaufe ich. Sie nickt bloß leicht. "Aber wie? Ich habe einfach keine Ahnung, wie ich anfangen soll..."

"Wie wär's, wenn du es für's Erste mit 'Tut mir leid, dass ich dich verletzt habe' versuchst?" Sie hält einen Moment inne. "Einer Entschuldigung ist eigentlich immer ein guter Start in eine positive Unterhaltung... vor allem, wenn man Dinge gesagt hat, wie du es getan hast." Nervös fummle ich am Bändchen meiner Hose herum. "Aber ich wusste ja gewissermaßen wirklich nicht, was ich tue..." murmle ich. Sie nickt. "Ja, aber das war nicht seine Schuld, Louis."

"Ich weiß..." Schuldbewusst lasse ich den Blick sinken.

"Er ist gerade wieder in Euren Baum geflogen, vielleicht magst du ihm mal folgen und die Nachmittagsruhe für ein Gespräch nutzen?" schlägt sie mir vor. Ich nicke geistesabwesend und richte mich dann langsam auf. "Vielleicht hast du recht..." Sie grinst mich wissend an. "Natürlich habe ich das."

Mit bubberndem Herzen mache ich mich also auf den Weg, meine Strickleiter hinauf zu klettern und will gerade auf der kleinen Veranda stehend über die Rinde streichen, um dem alten Baum mitzuteilen, dass ich eintreten möchte, als ich von drinnen Stimmen höre. Als die Ranken sich nur ein kleinen Stück entknotet haben, halte ich inne und hoffe inständig, dass er mich nicht wie sonst bereits bemerkt hat, doch keine der beiden Stimmen, die andere, die nicht Harry gehört, müsste die von Ruffy sein, macht den Anschein, bemerkt zu haben, dass sie belauscht werden.

Und ich weiß selbst, dass es nicht richtig ist, was ich hier tue, aber die Wortfetzen, die ich vernehme, lassen mich hellhörig werden.

"Und du hast wirklich nichts komisches gegessen?" Ruffys Stimme klingt besorgt. "Nein, ich habe die letzten Tage doch nichts runter bekommen, außer Brot mit Butter..." murmelt Harry genervt. "Und Anne konnte dir auch nicht helfen? Die hat doch sonst immer irgendein Zaubermittel..." Wieder ist Harrys Antwort bloß ein Knurren. "Wie oft noch, Rafiliuz? Nein, Mum kann es sich auch nicht erklären, dass die Übelkeit nicht weggeht."

Nachdenklich kneife ich die Augen zusammen, werfe dann einen Blick um mich, um sicher zu gehen, das niemand mich von unten sehen kann.

"Sie hat mich komplett durchgecheckt, ich bin körperlich topfit." erzählt er weiter. "Vielleicht doch was Psychisches...? Ich meine, die ganze Geschichte mit Louis ist schon-" Ich zucke zusammen, als Harry ihn lautstark mit einem schmerzerfüllten Zischen unterbricht. "Ruffy, wie oft habe ich dir gesagt, du sollst aufhören in meiner Nähe seinen Namen zu sagen?" Kleinlaut entschuldigt sein bester Freund sich bei ihm. "Ich kann dir auch gern jedes Mal, wenn jemand Trixie erwähnt, einen Dolch in die Brust rammen, vielleicht merkst du's dir dann mal..."

Schon öfter habe ich das Gefühl gehabt, dass er physische Schmerzen hat, wenn ich ihn abweise oder ähnliches. Ich dachte bisher immer, er wäre bloß etwas dramatisch und würde mir das vorspielen, um mir ein schlechtes Gewissen zu machen. Aber wenn er davon nun sogar vor seinem besten Freund redet, dem er ja vermutlich nichts vormachen müsste, macht es mir ehrlich gesagt doch ziemlich Sorge...

"Keine Ahnung, ich glaube ich hab's auch einfach am Kreislauf, es ist einfach alles zu viel... ich habe teilweise das Gefühl, ich spüre meinen eigenen Herzschlag... widerlich." murrt er. "Sicher, dass es deiner ist?" fragt Ruffy daraufhin leise. "Ja." antwortet er sofort. "Ich fühle es auch, oder vor allem, wenn ich alleine bin."

Wieder verziehe ich in Gedanken vertieft die Augenbrauen. Was sollte er sonst hören? Meinen Herzschlag?

Moment, ist es das? Ist das der Grund, dass er immer merkt, wenn ich da bin? Hört er etwa meinen Herzschlag?

"Das wird schon wieder weggehen, aber es wird sicher nicht besser, wenn ich ständig drüb-" Ruffy atmet erschrocken ein und fällt ihm ins Wort. "D-Dreh dich nochmal u-um..." stammelt er. "Was? Warum?" fragt Harry daraufhin genervt. "Dreh dich um, Harry, ich will deine Flügel nochmal sehen..." Irgendwie sorgt der Unterton in seiner Stimme für ein Unwohlsein in meinem Bauch. "Was ist damit?"

"Jetzt dreh' dich um, verdammt!" Nach einem leisen Schnaufen scheint Harry klein bei zu geben, fragt nach einigen Sekunden Stille gereizt "Warum sagst du nichts?!"

"I-Ich glaube, ich k-kenne den Grund für deine Ü-Übelkeit, Harry..." - "Aha... und der wäre?" Ein Stück weiter schiebe ich mein Ohr zwischen die Ranken, denn auch ich will wissen, weshalb es ihm seit Tagen so schlecht geht.

Vielleicht lässt sich das Problem ja doch schnell beheben?

"D-Deine Flügelwurzeln sind-", bis hierhin meine ich ihn schwer schlucken zu hören, "...sie schimmern lila, Harry."

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selfish addiction ⊱°⊰.˖* || L.S. [mpreg]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt