Morgenstunde

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Tabitha verließ den Stall so unbemerkt, wie sie gekommen waren, überquerte den Hof und blieb dann einen Moment lang stehen. Im ersten Licht des Morgens wirkte der Säulengang noch weiter und majestätischer als zuvor. Die gedämpften Stimmen, die aus der Richtung der Küche zu ihr drangen, und der Duft von frischem Fladenbrot verrieten, dass die Köchinnen bereits mit ihrer Arbeit begonnen hatten. Da Eleazar seine Nachtruhe zu ganz unterschiedlichen Tageszeiten zu beenden pflegte, waren sie stets die ersten, die aufstanden. Zu groß war ihre Angst, dem Herrn seine Essen nicht rechtzeitig ans Bett servieren zu können, sollte er danach verlangen.

Nachdem Tabitha das Spiel der Sonnenstrahlen, die Gerüche und Geräusche um sich herum kurz auf sich wirken hatte lassen, ging sie eher zufällig in Richtung des großen Saales. Ob die Sklaven nach der Orgie, die wohl dem Gelage gefolgt war, schon aufgeräumt hatten? Die breite Flügeltür war offen, alles wirkte sauber und ordentlich, die Tischchen waren längst abgeräumt worden und die Klinen standen da, als wären sie nicht wirklich dafür gedacht, dass Gäste auf ihnen Platz nehmen könnten. Tabitha war unschlüssig, was sie tun sollte, und überlegte gerade, in ihr Schlafgemach zurück zu gehen, als sie Meschach, der ihr im Gang gefolgt sein musste, ansprach.

„Herrin, euer Gatte ist ebenfalls wach. Wollt ihr gemeinsam speisen?"

Tabitha nickte und folgte dem Knecht in den Empfangssaal ihres Mannes. Es war einer der vielen prunkvollen Räume, die das Anwesen zu bieten hatte. Überladen mit kunstvollen Steinpokalen und teuren Wandteppichen wirkte er dabei doch kalt und nichtssagend. Einzig der Boden, der aus weißem Marmor gearbeitet war, gefiel ihr. Eleazar hatte ihr den Namen des Steins genannt, doch Tabitha hatte ihn zu ihrem eigenen Ärger wieder vergessen. Daran, dass Eleazar ihn eigens aus der römischen Provinz Gallia Cisalpina hatte importieren lassen, konnte sie sich aber zumindest erinnern.

„Seid gegrüßt!" Eleazars Blick war klar und teilnahmslos wie immer. Weder der exzessive Alkoholgenuss der letzten Nacht noch der Schlafmangel hatten seiner glatten Fassade etwas anhaben können. Tabitha erwiderte den Gruß, setzte sich und nahm von den Speisen, die ihr ein Sklave reichte. Eine Zeit lang aßen sie schweigend. Dabei dachte Tabitha an Kyron und noch bevor sie recht wusste, was sie eigentlich sagen wollte, begann sie zu sprechen.

„Wie wäre es, wenn ihr Kyron im Stall arbeiten lassen würdet?" fragte sie unvermittelt.

„Kyron?" Eleazar war sichtlich überrascht. Er hatte gerade einen Schluck Honigwein zu sich genommen und hustete nun einen Teil davon in einem feinen Sprühregen über das vor ihm stehende Silbertablett. Meschach trat sofort von der Seite an seinen Herrn heran und bemühte sich, mit einem Stofftuch dessen Mund sauber zu tupfen. Eleazar hatte den Kelch unterdessen geräuschvoll abgestellt und stieß Meschach mit dem rechten Arm grob von sich. „Kyron?" widerholte er noch einmal schärfer. „Wisst ihr, was mich der Junge gekostet hat? Ich habe ihn direkt aus Delos holen lassen. Er ist in den Künsten der Liebe ausgebildet, und ihr sagt mir, ich soll ihn Eselmist wegkarren lassen?"

Tabitha wartete einen Moment. Sie wusste nicht, ob sie mehr über ihre eigene Frage oder über Eleazars Reaktion bestürzt sein sollte. Jetzt kann ich nicht mehr zurück, dachte sie. Sie richtete sich noch etwas mehr auf und sah ihrem Mann scheinbar ungerührt in die Augen.

„Was nützen seine Talente und sein Wert, wenn ihr euch mit ihm doch nur langweilt?" erwiderte sie spitz. Wiederum gelang es Eleazar nur schlecht, seine Überraschung zu verbergen.

„Ihr könnt also meine Gedanken lesen?" erkundigte er sich mit einem boshaften Unterton und hob dabei seine rechte Augenbraue. Er kann nur eine Augenbraue hochziehen, fuhr es Tabitha unwillkürlich durch den Kopf und sie erinnerte sich im gleichen Augenblick, wie Jonathan und sie einmal geübt hatten, eben dieses Kunststück der Mimik zu vollbringen. Sie waren dabei reichlich erfolglos gewesen, hatten aber beide so viel gelacht, bis sie davon Magenschmerzen bekommen hatten. Genug jetzt, ermahnte sie sich, Jonathan ist für immer fort, und jetzt lass dir etwas einfallen, wie du deinen Mann besänftigen kannst.

Mit den Fingern nahm sie eine Olive und ließ sie langsam in ihren Mund gleiten. „Ich übe noch", erwiderte sie knapp.

Eleazar hatte inzwischen seine Fassung wieder gefunden und Tabitha schien es, als hätte er sogar kurz gelächelt. „Sprechen wir lieber von Marc Anton", stellte er trocken fest. „Denkt ihr, er wird Karriere machen?"

Marc Anton, auch das noch, dachte Tabitha. Sollte sie ihm sagen, dass sie sich nicht im Geringsten für die Machenschaften der Römer interessierte und noch weniger eine Ahnung davon hatte, was für eine Rolle der überhebliche junge Offizier in der Zukunft spielen würde? Nein, damit hätte sie die kleine Chance, einmal vielleicht Eleazar Anerkennung zu erlangen, für immer verspielt. Es musste ihr etwas anderes einfallen.

„Ihr interessiert euch also für Marc Anton?", fragte sie mit fester Stimme und ließ dabei nach jedem Wort eine kleine Pause entstehen.

"Ja", erwiderte Eleazar ungeduldig. "Und ich habe es satt, dass ihr mir meine Fragen zurückspielt, anstatt zu antworten."

Tabitha atmete tief durch. „Bei allem Respekt, mein Herr", sagte sie dann, "aber ich glaube, ihr habt schwerwiegendere Probleme als Marc Anton."

Priester und KönigeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt