Kapitel Fünfzehn

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Mik

Als das Rauschen lauter wird, halten wir alle überrascht inne und blicken hinauf. Die Stadt steht auf einem flachen Hügel, weshalb die Wassermasse leicht zu erkennen ist.

Für einen Augenblick ist alles ruhig, bis die Flut um eine weitere Ecke stürzt und bedrohlich schnell näherkommt. Sie lässt nichts als Schutt und Trümmerteile zurück oder zieht Betonbrocken mit sich.

Bewegung kommt in jeden Einzelnen von uns. Schlagartig scheint der Kampf vergessen, alle streben auseinander, Befehle werden geschrien. Akira brüllt nach Clash Rot.

Bevor ich auch nur einen Schritt machen kann, schaue ich mich hektisch um. Wohin?

Nia kommt mit Joyce um eine Ecke gestürzt, er hält ihre Hand. Panisch blickt er zurück. Waylon ist vorhin ebenfalls in diese Richtung verschwunden.

Ich kann nicht darauf warten, bis er hinter den beiden zum Vorschein kommt, ich muss darauf vertrauen, dass er es schafft.

Nias Blick fällt schließlich auf mich. Er gestikuliert hektisch, um mir klarzumachen, zu verschwinden, während er immer wieder die Namen seiner Teamclasher brüllt.

Ich sehe Jackson in einiger Entfernung am Boden liegen, sein Blick scheint benebelt, doch er versucht sich bereits aufzurappeln. Sein Gesicht blutet und verfärbt den Regen auf seinen Wangen rot. Schnell bin ich bei ihm und helfe ihm beim Aufstehen.

Zane kommt zu uns gerannt: "Schnell! Zu Akira, wir verschwinden in den Wald!"

Zane hilft mir, Jackson mit uns zu zerren. Immer wieder laufen Clasher aus Clash Blau an uns vorbei in die entgegengesetzte Richtung.

Das Rauschen wird lauter, die Tsunamiwelle kommt näher und auch der Regen wird unnachgiebig stärker.

"Fuck!" Stößt jemand aus. War ich das?

Akira empfängt uns nicht weit entfernt von unserem Clashbuilding. Ihren Bogen hat sie sich um den Körper geschwungen, von Pfeilen ist nichts mehr zu sehen.

"Wo ist Waylon?" ruft sie panisch über den Lärm hinweg.

Ich blicke mich in die Richtung um, aus der Nia mit Joyce kam. Clash Blau ist nirgends mehr zu sehen. Genauso wenig wie Waylon. Wir alle zögern. Dabei haben wir keine Zeit.

Wir müssen ihn zurücklassen.

"Los! Wir müssen hier weg!" Schreit Zane und rennt voraus.

Meine Instinkte schalten sich wieder ein, also renne ich schließlich doch. Akira und Jackson folgen.

Der Dschungel ist weit weg, ich weiß nicht, ob wir es schaffen. Während meine Beine unter dem Sprint beben, muss ich an Waylons trauriges Gesicht denken, als ich mich neben ihn auf den Stein gesetzt habe.

Haben Nia und Joyce ihn erwischt, oder hat er aufgegeben?

"Akira! Es ist zu weit," brüllt Zane nach vorne. Und er hat recht.

Als ich hinter uns blicke, hat sich die Flutwelle schon durch mehrere Gebäudekomplexe gefressen und dabei an Tempo zugenommen. Der Regen klatscht uns frontal gegen die Gesichter, doch niemand von uns kann es sich erlauben langsamer zu werden.

Jackson taumelt bereits unter seinen wackeligen Beinen. Das Blut an seinem Scheitel verfärbt seine schwarzen Haare und nimmt ihm die Sicht. Er muss gewaltig mit dem Kopf aufgeschlagen sein.

Akira bremst tatsächlich vor uns ab. Beinahe wäre ich an ihr vorbeigerannt.

"Was machst du?" stoße ich unter bebenden Lungen aus. Das Rauschen der Wassermasse wird immer dröhnender. Was tut sie?

Lauf allein weiter.

"Wir schaffen es nicht," sagt sie und atmet hektisch ein und aus. Erst jetzt bemerke ich, wie sie unablässig an ihrem Neoprenanzug fummelt. Ihre dunklen Locken hängen ihr dabei vom Regen geplättet vor den Augen. Sie bringt eine silberne Kapsel zum Vorschein.

Es muss ihr Geschenk von den Geistern sein.

"Teleportation," sagt Zane und starrt auf Akiras ausgestreckte Hand.

Hinter uns erkenne ich, wie das Wasser die rote Flagge unseres Clashbuildings mit sich reißt. Uns bleibt keine Zeit.

"Los!" schreie ich und will mir die Pille aus Akiras Hand schnappen, doch diese zieht sie eilig zurück.

"Ich weiß nicht genau, wie es funktioniert, aber haltet euch lieber an mir fest."

Schwer seufze ich, doch es gibt keinen anderen Weg aus dieser Gefahr. Ich greife stattdessen nach Akiras Schulter. Zane und Jackson tun es mir gleich.

"Fuck." Stößt Akira aus bevor sie fest die Augen zukneift und die silberne Kapsel verschluckt.

Im selben Moment spüre ich die ersten Tropfen von warmen Flutwasser im Rücken. Dann zerreißt es meinen Körper in hundert Stücke.

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Nia

Waylon kommt nicht hinter uns her. Ich weiß es in dem Augenblick, als ich mich ein letztes Mal zu ihm umschaue. Noch immer sitzt er an dieser Hauswand und blickt mit steinernem Gesicht der Flut entgegen.

Ich habe ihn nicht umgebracht, aber ich hätte es getan und jetzt ist er tot. Wo liegt der Unterschied zwischen Mord und im Stich lassen?

Wir sitzen zusammengekauert auf einer Lichtung im Wald. Joyce hat ihren Kopf schon vor Minuten an meine Schulter gelegt. Niemand sagt etwas, bis der Regen endlich nachlässt. Ich blicke in den Himmel und er verfärbt sich zu hellen Morgengrautönen.

Dean lehnt gegenüber an einem umgestürzten Baumstamm und stochert mit seinem Messer in dem matschigen Waldboden herum. Caleb läuft nervös auf und ab.

Wir konnten uns auf einen Berg nahe der Stelle, an der ich erwacht bin, retten. Unter uns liegt die Stadt durchflutet und zerstörter als zuvor zu Grunde.

Kein Clashbuilding mehr, kein Computer und keine Vorräte. Außerdem hat Joyce ihr Schwert und Dean den Rucksack verloren.

Ich blicke der Reihe nach meine Teamclasher an. Ich bin froh, dass wir es alle geschafft haben und doch hat sich ein weiteres Laster auf meine Schultern gelegt.

"Danke," murmelt Joyce in diesem Moment an meiner Schulter.

Zuerst antworte ich nicht, sondern blicke auf ihren honigblonden Schopf hinab. Sie hebt den Blick und fixiert mich mit grünen Rehaugen.

"Das war so mutig von dir. Ich weiß nicht, wie..."

"Ist schon in Ordnung," winke ich ab. Ich verdiene alles nur keinen Dank für diese Entscheidung. Ich fühle mich taub und fremd, aber kann es sein, dass es doch die Richtige war? Und trotzdem kreisen meine Gedanken um die Frage, was passiert wäre, wäre dieser Tsunami nicht dazwischengekommen.

"Weißt du, Nia," Joyce richtet sich auf und spricht nun lauter, sodass Dean und Caleb es auch hören können, "Ich glaube, wir können das schaffen. Mit dir."

Und niemand widerspricht ihr. Nicht einmal ich selbst.

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Vielen Dank fürs Lesen :)

Insta: @soul_gazing

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