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Chemie war nicht gerade das tollste Fach, welches man sich in der ersten Stunde am Montagmorgen vorstellen konnte - das größte Problem lag ja hauptsächlich darin, dass ich keine Lust hatte, bis in die oberste Etage hoch zu latschen und danach zu hecheln wie ein Marathonläufer nach seinem vierzig Kilometer Lauf. Doch einen Fahrstuhl gab es in meiner alten Schule nicht - auch wenn, hätte ich ihn zu einhundert Prozent nicht benutzen dürfen -, aber zu meinem Glück musste ich heute im Unterricht nicht all zu viel Nachdenken, sah deswegen die meiste Zeit über aus dem Fenster und dabei zu, wie sich der Himmel klärte und die Sonne sich durch die graue Wolkendecke schob, und bemerkte gar nicht, wie schnell die Chemiestunde vorüber war. Erst das Klopfen auf meinem Tisch, welches Antonias Faust erzeugte, signalisierte mir, dass die Stunde ein Ende genommen hatte. 

Nach Chemie hechteten wir schnell die Treppen runter ins Physikzimmer, wo wir dann eine langweilige, fünfundvierzig minütige Stunde über den Druck und seine Wirkungen über uns ergehen lassen mussten. Ich hörte zwar aufmerksam zu, doch zu mehr reichte es heute auch nicht aus. 

Genau wie in dem nächsten Fach - Mathe -, wo ich mich aber zugegebener Maßen ein wenig am Unterricht beteiligte und sonst damit beschäftigt war, der neben mir sitzenden Antonia zu helfen oder mit ihr zu flüstern. Manchmal, wenn die Lehrerin uns im Auge hatte - da wir in der zweiten Reihe in der Mitte saßen, war das nicht gerade eine schwierige Angelegenheit -, schrieben wir uns einfach kleine Zettelchen, auf denen dann nicht mehr als ›𝑀𝑜𝑖𝑛, 𝑤𝑖𝑒 𝑔𝑒ℎ𝑡𝑠?‹ drauf stand, natürlich mit ein paar hässlich verkrüppelten Lachemojis dahinter. 

»Wir haben Schluss!«, rief Sirina - von allen bloß Siri genannt, wie diese Billigmarke von Alexa - plötzlich durchs Klassenzimmer, von ihrer Einzelbank in der hintersten Ecke aus, und sprang sofort aus ihrer Chillhaltung hoch, um in die Hofpause zu flüchten. 

»Der Lehrer beendet den Unterricht«, erwiderte unsere Mathelehrerin streng und haute den berühmten Lehrerspruch raus. Daraufhin gab Siri ein genervtes Grummeln von sich und verließ trotz allem arschwackelnd das Klassenzimmer und ließ die Tür offen stehen, weshalb schon das Geschnatter der Schülerhorden - die bereits auf dem Weg auf den Hof waren - zu uns hinein drang. 

Frau Fröbel schüttelte nur ungläubig den Kopf, obwohl sie das von uns eigentlich schon gewöhnt war, und seufzte. »Ihr dürft jetzt auch gehen. Schönen Tag noch.«
Wie auf ein Kommando schmissen alle ihre Schulsachen in den Ranzen, sprangen auf und rannten aus dem Zimmer, während sie sich ihre Jacken anzogen. 
Toni und ich im Gegensatz standen ganz in Ruhe auf, stopften unser Mathebuch - und Hefter ordentlich in den Ranzen und ließen uns viel Zeit um auf die Hofpause zu gehen. 

Als wir aus dem Schulgebäude heraus traten, peitschte uns sofort der bitterkalte Wind um die Nase und ließ uns wünschen, wieder in das Gebäude zurück gehen zu dürfen. Doch das konnten wir uns Knicken, denn es bestand Hofpausenpflicht, was ich insgeheim auch voll super fand. So wurde jeder gezwungen, auf die Hofpause zu gehen, soweit sie nicht ausfiel - was erst passierte, wenn es nieselte oder sonst wie regnete. 

»Wollen wir uns auf eine Bank setzen?«, fragte Antonia in die Stille hinein. Ich sah überlegend zu ihr rüber und beobachtete sie dabei, wie sie vergeblich versuchte ihre widerspenstigen, braunen Haare aus dem Gesicht zu bekommen, doch der Wind verwehte sie immer wieder.
»Ne. Lass lieber Runden laufen«, schlug ich vor und meine Freundin stimmte mir nickend zu, bevor sie ihre Hände in den Taschen vergrub - was ich vielleicht auch mal tun sollte, wenn ich keine Eisklötze als Hände nachher haben wollte. 
Dann begaben wir uns auf unseren Weg zum Runden laufen, einer schon sehr berühmt berüchtigte Beschäftigung an unserer Schule. 

Es gab insgesamt fünf Möglichkeiten was man auf der Hofpause machen konnte:
1.  Irgendetwas mit seinen Freunden spielen und verrückt über den Hof rennen - das machen aber nur die fünft bis sechst Klässler, die älteren haben sich einer der anderen Optionen angeschlossen. 
2. Einfach auf der Bank rum sitzen und warten, bis die Pause zu Ende ist und dabei mit seinen Freunden - sofern man welche hat - reden oder sein Frühstück genießen, was die Mutti einem eingepackt hatte.
3. In kleinen Grüppchen auf dem Schulhof herum stehen und aussehen wie eine Dealerrunde. Obwohl diese Personen - die eigentlich nur aus neunte Klasse Jungs bestehen - meist nur quatschen und ihren Kumpels Sachen auf ihrem Handy zeigen (soviel zu Handyverbot).
4. Fußballspielen. Neben unserer Turnhalle befindet sich ein Sportplatz mit zwei Toren, um die sich die acht bis Zehntklässler jede Hofpause kloppen, denn es gibt halt nur zwei Tore und jeder möchte schließlich eins abbekommen um mit seinen Freunden zu kicken.
Und 5. Das Rundenlaufen. Diese Art von Beschäftigung wird größtenteils von den siebten, achten, neunten und zehnten Klassen ausgeübt und besteht darin, auf dem Schulhof eine große Runde zu laufen, denn zwischen Schulgebäude und Sporthalle ist ein großer, gepflasterter Platz, auf dem am Rande ein paar Bänke - genau wie an der Turnhalle - stehen und in der Mitte natürlich die in 3. erwähnten Leute ihr Ding machen.

Man darf sich unseren Schulhof jetzt nicht trist vorstellen, denn Bäume gibt es auch, ich hatte es nur nicht für nötig gehalten, diese hier zu erwähnen - auch wenn sie für uns Lebensnotwendig sind und ohne sie wir nicht existieren würden. 

Wie gesagt liefen wir jetzt nebeneinander eine Runde nach der anderen und mein Blick schweifte immer wieder hoch zu der Uhr die ganz oben an einem Türmchen unserer Schule angebracht war.
Da fiel mir wieder ein was ich Toni erzählen wollte.

»Weist du, wenn man zügig läuft, könnte man in einer Hofpause sechs Runden laufen und das wären dann ungefähr ein Kilometer.«
Überzeugend sah sich zu ihr und klaubte mir die blonden Haare aus dem Gesicht, die mir dort fest zu kleben schienen. Ich strich sie mir hinter die Ohren, und hoffte, dass sie da bleiben würden. 

»Stimmt, wenn wir achthundert Meter im Sportunterricht laufen müssen, müssen wir hier ja immer knapp fünf Runden rennen«, stellte sie nun auch fest.
»Jep.«
»My holy highness, du bis ja doch intelligent«, zog sie mich gespielt überrascht auf.
»Ne, war nur so 'ne Glückssträhne die ich gerade hatte«, feuerte ich zurück. »Aber wenn du meinst, aber vielleicht liegst du mit deiner Aussage auch falsch, denn wie wir dich so alle kennen, bist du ja doch ziemlich Dumm.«

Mit Schwung holte sie aus und schlug mir ihre Faust in die Schulter, was von mir mit einem gequickten Aufschrei quittiert wurde. 
»Das tat weh«, empörte ich mich, und ehe sie antworten konnte, boxte ich sie zurück.
»Aua!«, gab sie ebenfalls von sich und nun hielte wir uns beide unsere schmerzende Schulter. 

Bevor sie mich noch ein mal Schlagen konnte, hob ich ergeben meine Hände. »Schau mal, jetzt leiden wir wenigstens beide.«
»Jaja.« 
»Das heißt: Leck mich am Ar..
»Darauf können wir beide verzichten!«
»Zu einhundert Prozent!«, fügte ich hinzu und fing an zu kichern, was sie mir gleichtat.

Dann klingelte es auch schon und alle Schüler strömten zu den Eingängen, um rein zu gehen und sich die nächste Stunde anzutun. 

Eine ganz normale LiebesgeschichteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt