4. Juni 2014, Wohnung von Chris und Piers, Atlanta, Georgia – Nordamerika
Piers seufzte, als er sich fahrig durch sein nassgeschwitztes Haar strich. Er war schon wieder schweißgebadet nach einem Albtraum erwacht. Seit Tagen wurde er von Träumen heimgesucht und erschüttert, weil sie sich so realistisch anfühlten und extrem an seinen Nerven zerrten. Mit jeder weiteren, unruhigen Nacht wuchsen seine Zweifel und vor allem seine Verzweiflung.
Was ihn jedoch am meisten daran ärgerte, war sein eigener Wankelmut. Vor einigen Tagen war er noch voller Elan gewesen. Doch derweil spürte er kaum mehr etwas davon, weil die Furcht ihn rasant eingeholt hatte. Er hatte angenommen, sein Ehrgeiz und Optimismus würden langanhaltender und standfester sein. Piers hatte sich noch nie so wetterwendisch und machtlos gefühlt.
Der junge Scharfschütze drehte den Kopf und sah rüber zu Chris, der tief und fest schlief. Seicht belächelte Piers den tiefen Schlaf seines Geliebten. Einerseits vergönnte er es ihm, aber andererseits beneidete er Chris aktuell dafür. Allerdings war Nivans auch dankbar, dass der Ältere derzeit einen so guten Schlaf hatte. Denn dadurch entging es dem Veteranen, dass der Jüngere von Albträumen geplagt wurde.
Chris schlief wahrlich wie ein Stein, was höchstwahrscheinlich daran lag, dass zuvor er derjenige gewesen war, der von schlaflosen Nächten und Albträumen gequält worden war. All die Monate, in denen er geglaubt hatte, Piers für immer verloren zu haben, hatten stark an seinem Gemüt genagt. Selbst als er erfahren hatte, dass Piers noch lebte, war Chris nicht direkt zur Ruhe gekommen, weil die Rettung seines Geliebten sich hingezogen hatte. Demnach war es verständlich, dass Chris nach all den nervenaufreibenden Monaten nun endlich wieder zurück zur Ruhe gefunden hatte - jetzt da er Piers greifbar wieder an seiner Seite wusste.
Behutsam wandte sich der Jüngere aus den Armen des Älteren und stahl sich aus dem Bett, ohne Chris zu wecken. Er ging ins Badezimmer und warf sich einen Schwall kühles Wasser ins Gesicht, was seine aufgeheizte Haut angenehm linderte.
Piers betrachtete sich nachdenklich im Spiegel und inspizierte mit den Fingerkuppen die Narben seiner rechten Gesichtshälfte und Flanke. Er hatte sich derweil an den entstellten Anblick gewöhnt und damit abgefunden. Viel zermürbender war, dass seine Ängste ihn gegenwärtig zu einem Spielball seiner eigenen Launen degradiert hatten, denen er hilflos und überfordert ausgeliefert war.
Langsam ließ er die Hand sinken und besah sich stattdessen gedankenverloren seine Handfläche. Er entwickelte den Verband, um die leichten Rückstände von Verbrennungen freizulegen. In den letzten Tagen hatte er stetig heimlich trainiert, wann immer er die Gelegenheit dazu gefunden hatte. Er hatte sich darin versucht, die Kanalisierung der Elektrizität gezielt einzusetzen, was ihm bisher nicht gelungen war. Er erkannte keinen Fortschritt, was die Angst in ihm zurückkehren ließ, dass er nahestehende Personen verletzen könnte. Sein anfänglicher Optimismus und seine Motivation hatten also nur von kurzer Dauer gewährt und waren mit jedem weiteren Misserfolg und Albtraum mehr und mehr zerschlagen worden. Dies hatte ihn nun an den Punkt geführt, an dem er von Frust nahezu zerdrückt wurde.
Piers war nicht entgangen, dass in den letzten Tagen seine Stimmungsschwankungen massiv zugenommen hatten. Die emotionale Anspannung war schier unerträglich für das junge Talent, weil er nicht wusste, wie er damit umzugehen hatte, da er es schlichtweg nicht von sich selbst gewöhnt war, in einen solchen Gemütszustand zu verfallen. Nicht mal nach Edonia hatte er sich so verloren und unsicher gefühlt, obwohl die sechsmonatige Suche nach Chris in Osteuropa ebenfalls extrem an seinen Nerven gezerrt und ihn auf eine harte Probe gestellt hatte. Die Lage war ähnlich, aber doch nicht einmal im Ansatz zu vergleichen. Selbst in China war es ihm gelungen an seiner Stärke, Loyalität und Überzeugung festzuhalten, obwohl Chris es ihm mit seiner Rachsucht nicht gerade einfach gestaltet hatte. Allerdings war die Verbissenheit des Captains zugleich auch die Motivation und Gewährleistung für Piers gewesen, an jener Stärke festzuhalten. Er hatte es als Pflicht angesehen, für sie beide stark zu bleiben, um diese Krise zu überdauern. Aber jetzt fühlte er sich einfach nur unsicher und verzweifelt, weil er keinen Strohhalm sah, an dem er Halt finden könnte. Es war, als schwebte er in einem völlig schwarzen und leeren Raum und wusste nicht, was unter ihm in der Düsternis lauerte. Jederzeit könnte ein Ungetüm mit gigantischem Schlund seine Seele verzehren - und jener Dämon war seine eigene, innere Macht.
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Operation Darkness || A Nivanfield Story [Resident Evil] - Band 3
FanfictionWARNUNG: Hierbei handelt es sich um das Sequel zur Geschichte: Resident Evil: Code Nivanfield und somit um Band 3 meiner Trilogie! Einst der Stolz von Chris Redfield und die Zuversicht auf Sicherheit, wurde das Ansehen der BSAA befleckt aufgrund der...