Ich rannte. Hinter mir waren Schritte, und sie kamen näher. Ich rannte weiter. Doch ich konnte nirgends hin. Neben mir nur graue, kahle Häuser. Nicht ein einziger Fluchtweg. Und das Wesen hinter mir kam näher. Immer näher. Ich rannte weiter die Straße entlang. Plötzlich stand ich vor einer Wand. Ich konnte nicht weiter. Ich hörte die Schritte hinter mir zum stehen kommen. Ich war gefangen. Um mich herum nur graue Häuserwände. Ich konnte mich nicht verstecken. Ich konnte nicht fliehen. Ich drehte mich um. Hinter mir war alles schwarz. Doch ich hörte die Schritte, die näher kamen. Ich wich zurück, dann spürte ich die Hauswand in meinem Rücken. Ich konnte nicht entkommen. Die Schritte in der Dunkelheit kamen näher und ich wusste, das es feindliche Schritte waren. Aus der Dunkelheit schälte sich eine Gestalt. Ein Mann. Er kam näher, doch ich konnte ihn nicht erkennen. Plötzlich zog Nebel auf. Er verschluckte die Häuser, die Straße, die Gestallt vor mir, und schließlich auch mich. Als sich der Nebel wieder verzog, stand ich in einem Wald. Neben mir plätscherte ein kleiner Bach und ich hörte Vögel zwitschern. Verwirrt sah ich mich um. Die Bäume waren grün und der Boden von Moss überwachsen, doch wie kam ich hier her? Verwirrt sah ich mich weiter um. Als ich mich umdrehte, stand plötzlich ein Wolf zwischen den Bäumen. Er hatte schwarzes Fell und als ich ihn ansah, traf mein Blick auf zwei smaragdgrüne Augen. Er sah mich direkt an und schien etwas von mir zu erwarten. Ich konnte meinen Blick nicht von seinen grünen Augen abwenden, während ich langsam auf ihn zuging. Er blieb ganz ruhig und ich kniete mich vor ihn in das Moos. Langsam hob ich meine Hand und strich ihm leicht durch das Fell am Hals. Es war warm und weich und ich beobachtete fasziniert das Spiel von Licht und Schatten in seinen Augen. Die Augen, die mein Blick nicht losließen, während meine Hand mit seinem Fell spielte. Der Wolf sah mich noch einmal durchdringen an, dann wandte er sich ab und trabte in den Wald zurück. Ich blieb im Moos sitzen, die Hand noch immer in der Luft, während ich ihm nachsah.
Als ich aufwachte, war es dunkel. Ich lag in einem gemütlichen Bett und nicht mehr auf der Liege in Bruce Labor. Langsam richtete ich mich auf und hievte mich in eine aufrechte Position. Mein Schädel brummte und ich ließ mich erschöpft wieder in die Kissen sinken. Dabei wusste ich nicht mal, wieso ich erschöpft war. Was war passiert? Ich riss die Augen auf und setzte mich schlagartig aufrecht hin. Die Erlebnisse der letzten Tage stützten mit einer solchen Heftigkeit auf mich ein, dass ich kaum Luft bekam. Ich holte mehrmals tief Luft, bevor es mir gelang mich einigermaßen zu entspannen. Ich sah mich im Zimmer um. Es war das Zimmer, das Wanda mir gezeigt hatte. Mein Zimmer. Das hörte sich selbst in meinem Kopf nicht richtig an, weshalb ich diesen Gedanken schnell verwarf. Ich gehörte hier nicht her und war nur vorübergehend ein Gast. Ich lebte nicht hier und darum war das auch nicht mein Zimmer. Ich sah mich weiter um. Plötzlich stockte mir der Atem. An der Wand links von mir saß jemand auf einem Stuhl. Ich konnte die Gestalt wegen der Dunkelheit nicht erkennen, doch ich war überzeugt dass es ein Mann sein musste. Panik stieg in mir hoch, als mir die Bilder aus meinem Traum durch den Kopf schossen. Der Mann, der bis dahin reglos auf dem Stuhl gesessen hatte, stand langsam auf. Er kam auf mich zu. Die Panik schnürte mir die Kehle zu und ich spürte einen stechenden Schmerz in meinem rechten Arm. ‚Nein, nicht hier', dachte ich noch, als plötzlich eine kleine Lampe neben dem Bett angeschaltet wurde und ich erkannte, wer da vor mir stand. „Loki!", wisperte ich außer Atem, und das brennen in meinem Arm ließ etwas nach. Loki sah mich sorgenvoll an. „Wie geht's dir?", fragte er und setzte sich auf die Bettkante. „Ganz gut", sagte ich, obwohl ich gern gesehen hätte, wie er reagiert wenn ich ‚Beschissen' gesagt hätte. Loki lächelte müde. „Ich bin der Gott des Schabernacks, vergessen? Du kannst mich nicht anlügen, Kleines." Ich senkte den Blick, während ich mich aufrecht gegen ein paar Kissen in meinem Rücken lehnte. „Wie geht es dir?", fragte Loki nochmals, diesmal aber mit mehr Nachdruck in der Stimme. Ich sah ihn an. „Wie soll es mir denn gehen? Nach allem was passiert ist bin ich froh noch nicht komplett den Verstand verloren zu haben!", rief ich und meine Stimme war etwas lauter als ich es beabsichtigt hatte. Loki sah mich mitfühlend an. Doch das fachte meine Wut erst richtig an. „Mein Leben wurde von einem Tag auf den anderen komplett auf den Kopf gestellt! Ich war in diesen Tagen öfter in Lebensgefahr als in meinem restlichen Leben! Ich bin schuld dran, dass meine beste Freundin sich nicht mehr an mich erinnert! Ich habe magische Kräfte die mich und alle um mich herum jederzeit töten könnten! Und als wäre das alles nicht schon genug ist meine ganze Vergangenheit eine einzige Lüge!", schrie ich. Loki saß einfach nur da, während ich all die angestaute Wut, die Trauer, die Verzweiflung und die Unsicherheit aus mir heraus brüllte. Danach brach ich in stumme Tränen aus. Ich spürte, wie Loki sich neben mich auf das Bett setzte, doch wirklich wahrnehmen tat ich es erst, als sich sein Arm um meine Schulter schloss und mich an sich zog. Ich hatte nicht die Kraft, widerstand zu leisten, also ließ ich es zu, dass er mich an sich zog und mit seiner Hand über mein Haar streichelte. Und erst als keine Träne mehr meine Wange hinunter ran, ließ er mich los. Ich richtete mich auf. Ich wusste, dass ich furchtbar aussah wenn ich geweint hatte, also wandte ich den Blick von ihm ab, doch Loki legte seine Finger um mein Kinn und zwang mich mit sanfter Gewalt ihn anzusehen. „Was hast du gemeint, als du sagtest, deine Vergangenheit sein eine Lüge?" Erschrocken stellte ich fest, dass Wanda und ich noch niemandem erzählt hatten, was für eine Wahrheit wir in meinem Kopf gefunden hatten. Ich holte tief Luft. Mehrmals. Dann begann ich zu erzählen: „weißt du noch, als Wanda mir mein Zimmer zeigen sollte, am ersten Tag als wir hier ankamen?" Loki nickte: „das war erst gestern!" Ich sah ihn perplex an. Die Ereignisse hatten ich so schnell entwickelt, dass es sich wie Tage, und nicht wie Stunden angefühlt hatte. „Egal! Sie hat mich gefragt, ob ich wüsste woher meine Kräfte kommen. Ich konnte es ihr nicht sagen, darum hat sie in meinen Erinnerungen nach einer Antwort gesucht und..." Loki sah mich abwartend an. Ich zögerte kurz, dann holte ich nochmals tief Luft und erzählte ihm die Wahrheit.
Nachdem ich geendet hatte, sah Loki mich lange nur an und sagte nichts. Irgendwann hielt ich die Stille nicht mehr aus: „wenn du dazu nichts zu sagen hast, könntest du mich dann bitte alleine lassen? Ich brauche endlich mal Zeit um in Ruhe nachzudenken." Loki zögerte kurz, dann nickte er ergeben und stand auf. Kurz bevor er an der Tür ankam, drehte er sich jedoch nochmal um. „Wenn du Zeit zum nachdenken brauchst, respektier ich das. Aber wenn du mit jemandem reden willst, bin ich für dich da." Ich nickte dankbar. Trotzdem versetzte es mir einen Stich, dass er nicht blieb. Obwohl das ja alleine meine Schuld war. In der Tür drehte Loki sich noch mal um und wies mit einem Kopfnicken auf das Ende des Bettes. „Wanda hat dir ein paar von ihren Sachen hingelegt. Falls du mal was anderes tragen willst." Ich sah ihm nach, als er die Tür schloss.
Ich blieb noch einige Minuten im Bett sitzen, bis ich dann langsam aufstand. Die Klamotten, von denen Loki gesprochen hatte, schienen tatsächlich meine Größe zu haben. Es war eine lockere, schwarze Stoffhose, ein rotes T-Shirt und dazu schlichte Schwarz Unterwäsche. Ich nahm die Klamotten mit ins Badezimmer und verschoss die Tür. Dann schälte ich mich aus meinen Klamotten. Dabei kam mir der Gedanke, dass ich diese Klamotten bereits mehrere Tage trug. Als ich mein T-Shirt ausgezogen hatte betrachtete ich es. Es hatte außer einigen kleinen Rissen keine Schäden von diesen ereignisreichen Tagen davongetragen, auch wenn es sehr penetrant nach Schweiß stank. Ich ließ das T-Shirt auf den Boden fallen und zog auch den Rest meiner Klamotten aus. Dann stellte ich mich unter die Dusche und genoss das heiße Wasser, das mir über die Schultern lief. Ich duschte über eine Stunde, in der ich mich gründlich von dem Dreck der vergangenen Tage reinigte und das warme Wasser nutzte, um endlich mal zu entspannen. Doch meine Gedanken ließen mich nicht los. Was sollte ich jetzt tun? Wie konnte ich den anderen die Wahrheit erzählen? Und war ich eigentlich selbst bereit, die Wahrheit anzunehmen?
Als ich aus der Dusche kam zog ich mir Wandas Klamotten über. Sie passten gut und saßen angenehme locker. Dann band ich mir meine noch nassen Haare zu einem lockeren, hohen Pferdeschwanz zusammen und verließ das Badezimmer. In meinem Zimmer lächelte ich, als ich saß, dass Wanda auf dem Bett saß. „Was machst du hier?", fragte ich, während ich mich neben sie in die Kissen sinken ließ. „Ich wollte nur sehen wie es dir geht's", sagte sie. „Meine Klamotten passen dir?" Ich nickte. „Danke dafür", sagte ich. Wanda lächelte. „Nichts zu danken. Ich dachte du brauchst mal was zum wechseln." Ich grinste. „Wurde wohl mal Zeit, oder?" Wanda nickte grinsend. Dann wurde sie wieder ernst. „Wie geht's dir?" Ich rollte mit den Augen. „Wieso fragen mich das alle?" „Weil es uns wichtig ist wie es dir geht", sagte Wanda. „Und wenn ich sage mir geht's beschissen?" „Dann versuchen wir alles um dir zu helfen." Ich lächelte traurig. „Und wenn mir nicht geholfen werden kann?" Wanda sah mich ernst an. „Jedem kann geholfen werden!" Ich wandte den Blick ab. „Und wie willst du mir helfen?", fragte ich dann. Wanda lächelte. „Wir trainieren dich. Damit du deine Kräfte unter Kontrolle hast." „Das meinte ich eigentlich nicht", flüsterte ich. Wanda sah mich mitfühlend an. „Dabei kann ich dir nicht helfen. Ich kann dir beistehen und dich unterstützen, aber damit musst du für dich alleine klarkommen. Aber glaub mir, für mich ist das auch nicht einfach. Ich glaube nicht, dass ich meine Situation mit deiner vergleichen kann, aber ich will, dass du weißt, dass ich dich nicht alleine lasse, okay?" Ich nickte nur stumm. Ich hatte Angst, dass, wenn ich etwas sagte, ich wieder anfangen würde zu heulen. Doch ich wusste, dass ich nichts sagen musste. Wanda lächelte mich schwach an, dann nahm sie mich in den Arm. Wie jedes mal war ich überrascht wie tröstend ihre Umarmung war. Ich ließ mich in ihre Arme ziehen und zog sie an mich. Erst nach einer ganzen Weile, als ich spürte wie ich mich wieder beruhigte, ließ ich sie los. „Loki weiß also alles?", frage Wanda, was mich ziemlich überraschte. Ich senkte den Blick, doch Wanda sprach schon weiter. „Das ist gut. Ich finde er hat es verdient die Wahrheit zu wissen, so wie er sich um dich gekümmert hat." Ich lächelte bei dem Gedanken an den Morgen. Aber, war es überhaupt Morgen? „Wanda, wie spät ist es?", fragte ich, und Wanda lachte als sie mein schockiertes Gesicht sah. „Keine Panik! Es müsste jetzt fast zwölf Uhr sein. Du hast also noch genug von dem Tag übrig." Ich lachte leise und sah Wanda dann an. „Und was machen wir jetzt?",fragte sie dann. Ich zuckte mit den Schultern. „Ich glaube als erstes brauche ich einen Kaffee", murmelte ich.
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Green Roses
FanfictionJyn denkt, sie ist ganz normal. Sie hat einen Job, eine eigene Wohnung und eine abgedrehte beste Freundin. Zwar verlor sie ihre Eltern und später ihren Pflegevater, doch sonst hält sie sich für eine gewöhnliche junge Frau. Bis ihre Stadt eines Tages...