Rebell und Mörder

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Ein plötzlicher Ruck an seinem Hals hieß ihn ein paar Schritte weitergehen, wo er gemeinsam mit jenen gut vierzig Sklaven, die bereits gewaschen worden waren, eng zusammengetrieben wurde. Silas stand ganz vorne und musste daher deutlich mehr Prügel einstecken, denn die Aufseher schlugen immer wieder auf sie ein, vielleicht um sie noch dichter zusammenzudrängen, oder einfach, um ihnen Angst zu machen. Silas wusste es nicht, doch da die Hiebe nur mit mäßiger Kraft ausgeführt wurden, hinderten sie ihn nicht daran, seinen Blick zwischen den Aufsehern hindurch auf den Hafen zu richten. Sie standen mittlerweile mit dem Rücken zu den Warenhäusern, vor ihnen lag das Meer, links von ihm, im Nordwesten, eine Insel, deren Felsen heftig von der Gischt umspült wurden. Die Morgensonne tauchte die Klippen in ein majestätisches Licht und mit ihnen den gewaltigen weißen Leuchtturm, der stolz und unbesiegbar in den Himmel ragte.

„Der Pharos", flüsterte Silas andächtig, während ihn die Peitsche diesmal am rechten Oberarm traf. Sostratos soll ihn erbaut haben, sagte er sich und nahm zugleich mit einiger Erleichterung wahr, dass man begonnen hatte, acht aneinander gefesselte Sklaven eine neue erste Reihe bilden zu lassen. Damit war zwar sein Blick auf das Wunderwerk der Baukunst beeinträchtigt, jedoch trafen die Schläge nun seinen Vordermann und Silas konnte sich beinahe ungestört der Betrachtung widmen. 

Der aus weißem Stein gebaute Leuchtturm war mehrstufig und musste wohl einen quadratischen Grundbau haben. Silas versuchte die Höhe zu berechnen, doch da sich die Menschenmenge um ihn herum ständig etwas hin und her bewegte, gelang es ihm weder, seinen eigenen Blickwinkel richtig einzuschätzen noch den Abstand zum Pharos hin. Er gab also auf und wendete sich ein wenig nach links, wo ein mächtiger Damm das Meer durchschnitt und den Hafen mit der vorgelagerten Insel verband. Westlich vom Damm muss ein weiterer Hafen liegen, überlegte Silas. Zumindest war das naheliegend, denn das Feuer, das ganz oben im Leuchtturm brannte, war nach allen Seiten hin gut zu sehen. Von seinem Grammaticos wusste er, dass in der Spitze des Pharos Hohlspiegel angebracht waren, die das Sonnenlicht reflektierten und damit, wie manche Gelehrte meinten, sogar feindliche Schiffe in Brand setzen konnten. Unser Schiff ist jedenfalls nicht in Flammen aufgegangen, spottete Silas innerlich.

Da wurde das Rufen der Aufseher wieder lauter, und die Sklaven wurden in einer langen Reihe nach rechts auf einen großen viereckigen Handelsplatz geführt. Wenn die Bauherren mit den Schriften des Hippodamus vertraut waren, müsste dahinter eigentlich die Agora liegen, dachte Silas, doch da sie der Sonne entgegen gingen, waren seine Eindrücke nur vage. Zumindest konnte er zu seiner Rechten einen Tempel erkennen, mehr im Norden dagegen eine solide Holztribüne, auf der die Versteigerung allem Anschein nach bereits in Gang war. Wieder ließ man sie anhalten und wieder wurden sie dicht zusammengedrängt. Die verschiedenen Gruppen der Sklaven ähnelten einander auf überraschende Weise. Die meisten waren lediglich mit Lendenschürzen bekleidet, einige wenige, die wohl bereits einem ägyptischen Herrn gedient hatten, trugen die Landestracht. Bei den Frauen schrien und heulten einzelne herzzerreißend, die Mehrzahl jedoch verharrte in einer traurigen Teilnahmslosigkeit und zeigte kaum noch Reaktionen, ganz gleich, wie viele Aufseher und Händler ihre Brüste mit schweren gierigen Händen begutachteten. Während Silas die Mädchen ansah, spürte er, wie Tränen in seine Augen traten, und er zwang sich, seinen Blick abzuwenden.

Dabei kam ihm ein Ägypter zu Hilfe, der gerade in dem Moment seinen Kopf brutal zur Seite drehte, mit zwei Fingern die Augenlider spreizte und Silas anschließend die Lippen auseinanderzog, sodass er seine Zähne kontrollieren konnte. Er rief etwas, das Silas nicht verstand, dann schob er ihn weiter nach vorne. Ein anderer Aufseher löste das Seil von seinem Hals und stieß ihn ungeduldig vor sich her. Es sollte schnell gehen, das hatte Silas begriffen, und auch, dass er nun vermutlich an der Reihe war. Da trat plötzlich ein Händler an ihn heran und hängte ihm ein Holztäfelchen um den Hals. Eine Seite war mit Wachs überzogen und trug eine zweisprachige Innschrift: „Stasiastes kai Foneus" auf Griechisch und „Seditiosus et Homicida" auf Latein. Rebell und Mörder, las Silas leise und wusste, dass er mit einem derartigen Titulus kaum noch auf eine glückliche Zukunft zu hoffen brauchte.

Der Aufseher schob ihn ungeduldig weiter. Schon lag die hölzerne Treppe unmittelbar vor ihm und erschien ihm doch unwirklich, in eine unerreichbare Ferne gerückt. Er setzte die Füße unsicher auf, sein Herz schlug laut, er spürte den Schweiß auf seiner Haut, den kühlen Wind, der vom Hafen her zu kommen schien. Er versuchte, zu verstehen, was die Männer sprachen. Doch die Worte entrissen sich seinem Verstand, je mehr er sich auch konzentrierte, desto mehr entglitten sie ihm, drehten sich in einem irren Wirbel in seinem Schädel, hallten wieder, verhöhnten ihn. Als er endlich das Podest erreicht hatte, war ihm schwindlig, die Stimmen, das Geschrei dröhnten in seinem Kopf, als wollten sie ihn zum Zerbersten bringen. Jemand hielt ihn an den Armen, er hörte das Knallen einer Peitsche. Vielleicht hatte sie ihn getroffen. Er konnte es nicht sagen, war sich nicht einmal ganz sicher, ob er selbst es war, der er da den Käufern vorgeführt wurde. Unwirklich lag ihnen die Menge zu Füßen. Ich könnte eine Rede halten, dachte Silas zynisch und lachte dabei kurz auf. Er spürte einen Schlag, Stimmen, die lauter wurden und wieder verblassten.

Dann endlich wurde er die Stufen hinunter gestoßen, weitergetrieben, bis man ihn schließlich neben anderen Sklaven an einen Pfahl band. Noch immer war Silas wie benommen. Er versuchte, die Männer neben sich anzusehen, aber er konnte nur unscharfe Silhouetten wahrnehmen. Er spürte, wie seine Knie zitterten, doch die Fesseln hinderten ihn daran sich zu setzen. Also lehnte er bloß die Stirn gegen das raue Holz und schloss die Augen. Die Bilder und Geräusche drehten sich weiter in seinem Schädel, doch allmählich wurde der Reigen langsamer und eine große Müdigkeit überkam ihn.

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