Plantagen von Perhathor

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Die nächsten Tage verliefen ruhig. Zwar bewegte sich das Schiff flussaufwärts, doch da die Strömung des Nils zu dieser Jahreszeit nicht besonders stark war, ließ sich ihre Aufgabe gut bewältigen. Außerdem bemühte sich der Kapitän, soweit es möglich war, die Segel zu setzen und ließ die Ruderer nur dann arbeiten, wenn der Wind zu schwach war. Nach der Arbeit traf Silas seine junge Herrin, immer in demselben Saal, von den beiden Sklavinnen begleitet. Sie unterhielten sich über ihre Kindheit, die Bräuche der Ägypter und der Juden, vor allem aber erzählte Silas ihr aus den griechischen Sagen, von den Abenteuern des Prometheus und wie Tantalos die Götter bestohlen hatte. Im Unterschied zum ersten Abend war die Stimmung zwischen ihnen entspannt und freundschaftlich. Sowohl Silas als auch Nayla achteten darauf, sich ihrer gesellschaftlichen Stellung entsprechend zu verhalten, vermieden Worte und Gesten, die zweideutig gewesen wären.

Am Abend des fünften Tages erreichten sie Perhathor. Für die Sklaven, die Harendotes gehörten, endete die Reise an diesem kleinen Hafen, denn die Plantage, auf der ihr Herr Weizen anbauen ließ, befand sich nur einen kurzen Fußmarsch vom Nilufer entfernt. Gemeinsam mit den anderen Sklaven ging Silas an Land. Im Vergleich zu Alexandrien präsentierte sich der Hafen äußerst bescheiden, geradezu ländlich. Ein paar Eselkarren standen bereit, Frauen verkauften Datteln und die Hütebuben, die sich in einer kleinen Gruppe zusammen gefunden hatten, zeigten sichtlich wenig Interesse an ihren Ziegen, waren sie doch ganz damit beschäftigt, das  prunkvolle Schiff des Plantagenbesitzers zu bestaunen.

Auch Nayla verließ das Schiff. Die Art, wie sie über den wankenden Boden der Anlegestelle ging, zeigte, dass sie mit den einfachen Menschen um sie herum nichts zu tun hatte. Als ob sie nicht von dieser Welt wäre, dachte Silas und mahnte sich sogleich, seine Herrin mit einem sachlicheren Blick zu betrachten. Ein dunkelhäutiger älterer Mann trat auf Nayla zu und verbeugte sich ehrfurchtsvoll vor ihr. Vielleicht der Verwalter der Plantage, überlegte Silas und drängte etwas weiter nach vorne, um zu hören, was die beiden miteinander sprachen. Doch zu seiner Enttäuschung musste er feststellen, dass der ägyptische Dialekt des Alten noch schwerer zu verstehen war als das Demotisch, das er aus Alexandrien kannte.

„Was sagt er", flüsterte Silas deshalb dem Burschen neben ihm zu. Er musste etwas jünger sein als er selbst und war wohl als Sklave im Haus des Harendotes geboren worden.

„Dass gestern zwei Sklaven von einem Krokodil getötet worden sind", antwortete der Junge. „Der eine war sofort tot, dem anderen mussten sie den Gnadenstoß geben, denn seine Beine und sein Unterleib waren völlig zerfleischt." Seine Stimme zitterte merklich und bei der Vorstellung dessen, was die beiden Männer erlitten haben mussten, lief auch Silas ein Schauer über den Rücken.

Inzwischen hatten sich vier Männer mit einer Sänfte eingefunden, in der Nayla, nachdem sie das Gespräch beendet hatte, Platz nahm. Da die Sonne bereits tief stand, spendete ihr der Baldachin nur wenig Schatten, und die beiden Sklavinnen, die neben der Sänfte herliefen, gaben sich sichtlich Mühe, diesem Missstand durch eifriges Wedeln mit ihren Fächern entgegenzuwirken. Silas musste schmunzeln, denn Nayla nahm ihr Bemühen gleichgültig hin und wirkte auch sonst so, als ob sie die Welt um sie herum kaum wahrnehmen würde. Dabei verdiente das Städtchen Perhathor durchaus Beachtung. Nicht nur, dass es herrschaftlich auf einem kleinen Hügel über dem Hafen thronte. Es waren vor allem die Farben, die von einer derartigen Intensität waren, wie sie Silas noch nie zuvor gesehen hatte. In diesem Licht, in diesen tiefen Tönen, dachte Silas, muss jede alltägliche Kleinigkeit wie ein Kunstwerk erscheinen.

Die Gruppe bewegte sich gemächlich fort. Langsamer als in Alexandrien, stellte Silas fest und hegte dabei eine vage Hoffnung, dass sich das gemütliche Temperament der Südägypter positiv auf die Arbeitsbedingungen auswirken würde. Der Verwalter schritt ihnen voran. Immer wieder drehte er sich unsicher um und versuchte wohl die Miene seiner Herrin zu deuten. Nayla aber saß wie versteinert in ihrer Sänfte. Warum verhält sie sich mir gegenüber so anders?, fragte sich Silas und überlegte weiter, woran es liegen mochte, dass Nayla ihm, der er nur ein Sklave war, eine Nähe gestattete, wie sie offensichtlich nicht einmal die freien Diener ihres Vaters genießen durften. Vielleicht weil ich ihr wenig Respekt gezeigt habe, sagte er sich und stellte zugleich fest, dass sie ihr Ziel erreicht haben mussten. Die Träger stellten die Sänfte behutsam auf den Boden und Nayla erhob sich majestätisch. Obwohl sie unmittelbar auf Silas zuging, beachtete sie weder ihn noch die anderen Sklaven, sondern ging von den immer noch wedelnden Mädchen gefolgt auf das Herrenhaus zu.

„Los jetzt, ich zeige euch, wo ihr arbeiten werdet", hörte Silas eine schroffe Stimme hinter sich.

Mechanisch setzte er sich in Bewegung. Mit den Augen folgte er aber immer noch dem Gang der jungen Frau. Sie hat mich keines Blickes gewürdigt, ging es ihm durch den Kopf, kein Wort mit mir gesprochen. Er erinnerte sich an den ersten Abend am Schiff. Damals hatte sie gesagt, sie wollte sichergehen, dass er gut behandelt würde. Aber würde sie abreisen, ohne sich von ihm zu verabschieden? Und wenn schon, sagte er sich trotzig. Sie ist nur ein eingebildetes verwöhntes Weibsstück. Dabei nahm er sich einen Spaten und begann einem anderen Sklaven beim Graben eines Wassergrabens zu helfen. Seine Handflächen waren inzwischen verheilt und es gab ihm eine gewisse Genugtuung, kräftig und ohne Schmerzen zupacken zu können. Auch die Wunden auf seinem Rücken waren völlig vernarbt und er konnte die Schultern bewegen, wie es ihm gefiel, ohne ein Aufreißen der Blutkrusten zu fürchten. Krokodil habe ich auch noch keines gesehen, sagte er sich, doch es wollte ihm kein Lächeln gelingen. Vielmehr drehten sich seine Gedanken um Nayla und er konnte sich noch so oft darin bestätigen, dass sie ihm gleichgültig war, es gelang ihm doch nicht, sie aus seinem Kopf zu verbannen.

Am Abend nach dem Essen saßen die Sklaven beisammen und sangen Lieder. Offensichtlich gab es keinen jungen Herrn wie Anek, vor dem man sich fürchten musste. Silas blieb eine Weile bei ihnen, dann stand er auf und ging ein paar Schritte in Richtung Herrenhaus. Er lehnte sich an eine Palme und ließ seinen Blick in die Weite schweifen. Es fühlt sich gut an, keine Schmerzen zu haben, dachte er und, dass er vielleicht doch froh war, Nayla nie um den Dolch gebeten zu habe. Dennoch versetzte ihm ihr Name einen Stich und fast konnte er sich am Frieden der Nacht nicht mehr erfreuen.

Priester und KönigeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt