Sie hasst Gewitter

1K 50 13
                                    

Donnern. Erneut zuckte ich zusammen. Normalerweise war ich nicht so empfindlich, doch dieses Unwetter zusammen mit diesem elenden Stromausfall ließ mich komplett allein, in meiner kalten Wohnung, in völliger Dunkelheit. Die Tage, die sonst zumindest noch mit einem Termin nach dem nächsten gefüllt waren, schienen ersetzt durch unendliche Leere. Erneut rieb ich mir die Augen. Ich konnte es mir nicht leisten Schwäche zu zeigen, nicht nach allem was passiert ist.

Erneut hörte ich das Donnern in der Ferne. Das Gewitter kam näher und meine Verzweiflung wuchs ebenfalls von Minute zu Minute. Bis heute Morgen noch hätte mich diese Situation kaltgelassen, ich hatte alles, was zwischen uns beiden war verdrängt, in eine kleine Schachtel in der letzten Ecke meines Gehirns verpackt, um IHM so wenig Aufmerksamkeit wie möglich zu schenken, doch nur eine einfache Situation wie diese riss meine Erinnerung auf und er war so wieder einmal präsent in meinem Kopf, dass ich meine Gedanken nicht mehr Kontrollieren konnte. Ein Lichtblitz durchzog das Zimmer, das sonst nur vom fahlen Mondlicht und ein paar Teelichtern beleuchtet war. Kurz konnte ich meine bedauernswerte Silhouette im Spiegel mir gegenüber sehen. Was machte ich hier eigentlich?

„Hey Maus, was ist denn los?" hörte ich Robert plötzlich fragen, seine Stimme besorgt und so leise, dass ich ihn kaum verstand. Ohne es bemerkt zu haben, hatte ich wohl angefangen zu zittern. Kein Wunder. Ich mochte die Dunkelheit nicht. Sie ließ mich machtlos und allein fühlen. Das Gewitter verstärkte diese Tatsache nur. Doch diesmal war es anders. Diesmal war Robert da. Langsam hob ich den Kopf und sah ihm in die Augen. Auch jetzt, in völliger Dunkelheit, schienen sie zu strahlen. Er schenkte mir ein Lächeln, dass mir ein angenehmes Kribbeln im Bauch verpasste. „Ich mag Gewitter nicht ...", flüsterte ich kaum hörbar und senkte den Blick wieder, zu beschämt diese Schwäche zuzugeben. Doch, statt mich auszulachen, seufzte er nur und ich spürt mit einmal seine starken Arme, um mich gewickelt. Ich versank in der Umarmung und legt meinen Kopf auf seiner Schulter ab. „Keine Sorge, dir passiert nichts Annalena, dafür sorge ich schon", vorsichtig drückte er mir einen sanften Kuss auf die Haare „Ich bin hier, ich passe auf dich auf mein Schatz" Mit einem letzten zufriedenen Seufzer schlief ich entgegen meiner Erwartungen, bei tobendem Sturm, in seiner sicheren Umarmung ein.

Als mir diese Erinnerung erneut vor Augen trat, konnte ich meine Tränen nicht mehr zurückhalten. Wie sehr wünschte, ich mir jetzt diesen Moment erneut erleben zu können. Ein letztes Mal. Gerade jetzt, wo ich mich noch nie so allein gefühlt habe. Wie konnten wir uns nur so auseinanderleben? Einst unzertrennlich, erwähnte er mich nicht einmal mit einem Wort nach unserer letzten gemeinsamen politischen Rede. Das hatte mich mehr verletzt als ich es zugeben will, leugnen konnte ich es jedoch ebenfalls nicht. Ob er wohl noch oft an mich denkt? Nein Annalena. So zu denken und falsche Hoffnungen aufzubauen, ist auch keine Lösung, ermahnte ich mich selbst. Schließlich war ich jetzt Außenministerin. Unsere Leben könnten unterschiedlicher nicht sein. Und doch gab es einen kleinen Teil meines Herzens, der gehofft hatte, dass das erste „Ich liebe dich" aus seinem Mund für die Ewigkeit galt. Aber wie so häufig in der Politik, schien dies auch nur eine leere Phrase zu sein. So starke Worte, die doch ihre Bedeutung verloren hatten. Lag es an mir? Weil ich es nicht auch gesagt hatte, ihm meine Liebe nicht auf solch direkte Arte gestehen konnte? Es stimmte, ich hatte Angst gehabt. Angst, mich so verletzlich zu zeigen und Robert zu verlieren. Und doch war genau das schlussendlich passiert. Meine Augen brannten. Gewiss würde man mir das Geheule morgen noch ansehen, doch ich war machtlos. Meinen Gefühlen schlussendlich unterlegen. Ich musste es mir eingestehen. Ich vermisste ihn.

Ungeduldig wippte ich von einem Fuß auf den anderen und zog meinen Mantel etwas näher an mich. Ich musste ihn jetzt einfach sehen. Doch was, wenn er die Tür nicht öffnen würde? Ich stand hier ohne wirklich darüber nachgedacht zu haben, wie ich mich erklären würde, ohne dabei völlig verrückt zu klingen. Zu meiner Erleichterung öffnete Robert jedoch verschlafen die Tür. „Annalena? Wa-, was machst du hier? Es ist 3 Uhr morgens?" bevor ich antworten konnte riss er die Augen etwas weiter auf und zog mich schnell zu sich in den Hausflur „Bist du verrückt, dass du hier mitten in der Nacht auftauchst, es ist verdammt kalt! Schatz, ruf mich das nächste Mal doch einfach an, dann komme ich vorbei, nicht dass du mir noch krank wirst." Zaghaft streichelte er mir über die Wange, zog mich dann vorsichtig zu sich heran und unsere Lippen trafen aufeinander. Es war ein zärtlicher Kuss, einer, der sich in den letzten Wochen immer routinierter ereignet hatte. „Was macht mein kleiner Chaot denn jetzt eigentlich hier? Hm?" lächelte er schließlich. Ich löste mich für einen Moment von ihm und hob meine Tasche leicht an. „Ich, also, ähm, ich dachte, wir könnten zusammen Müslis essen." Stotterte ich etwas unbeholfen, „ich hab auch Milch dabei" Nun grinste er noch breiter. „Du bist extra hier hergefahren, um Müsli zu essen? Maus, es ist mitten in der Nacht." Nochmals zog er mich in seine Arme und ich spürte seinen gleichmäßigen Herzschlag, der mich immer beruhigte. Ich drückte mich näher an ihn und wisperte kaum hörbar „Ich hab dich vermisst."

Wieso gelang es mir nicht, ihn einfach zu vergessen, nachdem er mir so wehgetan hatte? Nach dieser erneuten Erinnerungen gab ich auf. Mir war nicht klar, wieso er mir so viel bedeutete. Obwohl, das stimmte nicht so ganz. Robert war immer für mich da gewesen, er war ... Robert halt. Ich hatte das Gefühl ihm alles anvertrauen zu können, doch nachdem er nach der Wahl kaum mehr mit mir redete und mich so gut wie möglich ignorierte, war das wohlige Gefühl, das ich sonst in seiner Gegenwart verspürte, gegen unerklärliche Traurigkeit ausgetauscht worden. Zwar konnte ich das in der Öffentlichkeit nicht zeigen, jedoch reichten mir dafür auch kurze Sitzungspausen auf Bundestagstoiletten oder ereignislose Tage in meinem neuen Büro. Dort sah mich niemand, dort konnte ich mit meinen Gefühlen für einen Moment lang allein sein. Momente, in denen mir niemand vorwarf, ich sei eine schlechte Politikerin oder ich wüsste überhaupt nicht, wie die Realität aussehe. Momente, in denen ich ungestört an die schönste Zeit meines Lebens zurückdenken konnte. Meine Zeit mit ihm. Donnern. Es war das erste Mal seit der „Trennung" dass ich während eines Unwetters allein war. Er hatte mich immer gehalten, Lieder gesummt und mir gesagt, wie wunderschön ich im Mondlicht aussehe. Er hatte nie an mir gezweifelt. Eine einsame Träne rann meine Wange entlang.

Mit ordentlich Schwung warf ich die Tür hinter mir zu, der Knall, den ich mir erwartete, blieb jedoch ärgerlicher Weise aus. Voller Stress und unausgesprochener Wut drehte ich mich um, bereit jeden in seine Schranken zu weisen, der es wagte mich jetzt zu stören. Die Wahl war vorbei. Die Grünen hatten verloren. Das Wahlergebnis war zwar alles andere als schlecht, jedoch war ich nicht Kanzlerin und hatte somit versagt. Als ich mich nun wutentbrannt umdrehte, stand Robert mir mit hochgezogenen Augenbrauen entgegen. Statt etwas zu sagen, ging er nur auf mich zu, breitete seine Arme aus und schloss mich in seinen Griff. „Du hast das so toll gemacht, Maus. Ich bin stolz auf dich." flüstert er mir ins Ohr. Damit war es um mich geschehen. Ich konnte mein Schluchzen nicht mehr unterdrücken. Robert hielt meinen bebenden Körper fest. Fast so als hätte er Angst, ich könnte zerbrechen, wenn er mich nicht behütet in seinen Armen hält. „Pscht, Hey, Hey, Maus, es ist alles gut. Ich weiß, du bist enttäuscht, aber glaub mir, niemand sonst ist das hier. Du hast das gerockt, mein Schatz."

Und dann war alles irgendwie vorbei. Robert ging und dir Einsamkeit blieb. Auf einmal ließ mich ein Klingeln aufschrecken. Wer zum Teufel musste denn ausgerechnet jetzt stören.
Ich betrachtete mich kurz im spärlich beleuchteten Spiegel, um dann aufzustehen und zur Tür zu schlurfen. Als ich diese öffnete, konnte ich meinen Augen nicht glauben.

Robert.

Was machte er hier? Wieso steht er mitten in der Nacht bei Sturm vor meiner Haustür, nach drei Monaten ohne wirklichen Kontakt? Ich sah ihm in die müden Augen. Er lächelte kurz, sah dennoch etwas traurig aus.

„Du magst Gewitter nicht ...", sagte er zögerlich und schloss mich in seine Arme.

———————————————————
Also, damit ist der erste öffentliche Oneshot (?) über die beiden auch geschrieben und das eigentlich auch nur aus Langeweile. Schreib mir gern Feedback, ich hoffe es hat euch gefallen:)

Sie hasst GewitterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt