Sie hasste Gewitter

783 47 16
                                    

Erneuter Donnerschlag. Ich zog sie fester an mich. Ich spürte ihre Zerrissenheit, doch ich konnte sie im Moment nicht loslassen. Zu ihrem Schutz und zu meinem, denn ich fürchtete, dass auch ich zusammenbrechen würde, hielte ich meine Liebste jetzt nicht in den Armen. Meine Liebste. Ich hatte es nicht verdient Annalena so zu bezeichnen, das wusste ich. Nicht nach allem, was ich ihr angetan hatte, nach all den Tränen, die sie für mich vergossen hatte. Claudia machte mir nicht selten deshalb Vorwürfe. „Wie kannst du ihr so etwas nur antun?", oder „ich hätte mehr von dir erwartet." entgegnete sie mir jedes Mal, wenn wir uns begegneten. Zu beschämt war ich, um zu antworten. Ja, auch ich hatte mehr von mir erwartet. Ich war ein Feigling. Mit diesem Gedanken spürte ich ein verräterisches Brennen hinter meinen Augen. Auch Annalena hatte geweint, das würde ich immer erkennen. Und das alles nur meinetwegen. Aus diesem Grund konnte ich es mir jetzt unter gar keinen Umständen erlauben Tränen zu vergießen, das hatte ich mir schlicht nicht verdient. Es wäre eine Unverschämtheit, schließlich war ich ja schuld an allem, was uns beiden so weh tat.

Völlig in Schuldgefühlen verloren spürte ich, wie sie versuchte, sich meinem Griff zu entwinden, sich gegen meine Affektion zu wehren. Doch ich ließ es nicht zu. Vielleicht war es etwas unverschämt, nach all der vergangenen Zeit, aber das war mir im Moment egal. Ich brauchte sie jetzt und vielleicht hoffte ich, dass sie dies erwiderte. Ich vergrub mein Gesicht in ihren Haaren. Der beruhigende und wohlbekannte Duft von zu Hause strömte auf mich ein. Erst jetzt bemerkte ich wie sehr mir das gefehlt hatte. Wie sehr SIE mir gefehlt hatte. Ich konnte einen Seufzer nicht unterdrücken, ließ dann jedoch vorerst von ihr ab. Gewiss hatte ich einiges zu klären, meine Schuld zu bereinigen, doch insgeheim hoffte ich, wir könnten dort beginnen, wo wir aufgehört hatten. Aber das war utopisches Denken. Die Realität funktionierte nicht auf diese Weise, das hatte ich mittlerweile gelernt.

Etwas geschockt stand sie nun vor mir. Ich versuchte etwas zu sagen, doch mir war, als hätte jemand alle Worte aus meinem Gedächtnis gelöscht, zu überfordert war ich mit der Situation. Ich hatte mir ja nicht einmal selbst klargemacht, was ich hier tun wollte. Doch jetzt war sie da. Sie stand vor mir, mit aufgerissenen, verweinten Augen, leicht auf ihrer Unterlippe kauend. Das liebte ich so an ihr. Kleine Gesten wie diese, die ihr selbst nicht einmal bewusst waren, doch ich konnte nicht genug davon bekommen. Am liebsten hätte ich sie an Ort und Stelle geküsst, ihr bewiesen, wie wichtig sie mir war, was ich alles für ihre Liebe tun würde. Doch dieses Recht hatte ich mir verspielt, nachdem ich beschloss alles zu ruinieren. „Du hast vielleicht nerven." Ihr kalter bitterer Ton riss mich aus den Gedanken und das Lächeln, dass sich, mir selbst unbewusst, auf meinen Lippen ausgebreitet hatte, verschwand augenblicklich. Sie hatte recht. Was fiel mir eigentlich ein? Ich behandelte sie wie einen Hund, dem man nur dann Zuneigung schenkte, wenn man es selbst benötigte. Ich war egoistisch. Erschrocken von mir selbst taumelte ich ein Stück zurück. Ich stand nun dicht an die Haustür gedrängt, die, ohne dass ich es gemerkt hatte, ins Schloss gefallen war. „Du glaubst, ich falle dir um den Hals, nachdem du monatelang nicht einmal in der Lage zu sein scheinst, mehr als ein Wort mit mir zu wechseln? Wie-, kannst-, du-, nur-, ..." Den Vorwurf in ihrer Stimme konnte ich ihr nicht verübeln. Im Gegenteil, am liebsten würde ich mich selbst ohrfeigen. Sie legte eine kleine Pause ein, begann dann mir mit ihren kleinen Fäusten in die Brust zu schlagen. Wäre die Situation eine andere gewesen, hätten wir gelacht. Wir hatten immer darüber gescherzt wie ineffektiv ihre Schläge doch waren, ich sagte ihr oft, wie süß ich diese fand. Jetzt aber war es anders. Mit jedem Mal wuchs der Schmerz in meiner Brust. Die Stellen, die sie traf, brannten unheimlich, aber mir war bewusst, dass ich dies verdient hatte. Immer noch war ich zu überwältigt, um zu sprechen und auch sie schien keine Kraft mehr zu haben, denn sie sank vor meinen Augen zu Boden, vergrub ihr Gesicht in den Händen und begann abermals zu weinen. Sie weinte. Meinetwegen. Dieser Gedanke zerriss mich förmlich. „Personen, die man liebt, verletzt man nicht. Egal wie sehr man selbst verletzt wurde." Die Worte, die meine Mutter einst zu mir sagte, nachdem sie und mein Vater eine Auseinandersetzung gehabt hatten, brannten sich in mein Gehirn ein. Ich hatte somit auch sie enttäuscht. Kopfschüttelnd sank ich neben ihr auf die Knie.

Sie hasst GewitterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt