Sie hat Gewitter gehasst

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Ich starrte immer noch an die Decke. Es musste einige Zeit vergangen sein, denn das Unwetter hatte sich entfernt. Was blieb, war der klärende Regen und der Sturm meiner Gefühle. Wie konnte ich das alles je wieder gut machen? Vorsichtig, um mich nicht zu bewegen und sie aufzuwecken, sah ich an mir herunter. Annalenas friedlich schlafender Körper lag immer noch dicht gedrängt an mich gekauert. Doch im Gegensatz zu mir lag sie friedlich und ruhig da. Es war die reinste Folter, sie so dort ruhen zu sehen. Mir war bewusst, dass ich das nicht verdient hatte. Sie sollte mich anschreien, ignorieren, hassen, vielleicht würde ein Knall dieser Art Ordnung in das Chaos bringen, die Spannungen endlich lösen. Aber Annalena hasste mich nicht. Sie hasste das Gewitter, den Sturm und die Unruhe, die es mit sich brachte. Und ich? Wenn sie mich nicht hassen konnte, dann tat ich es für sie. Erneut brach ich in Tränen aus. Schluchzer entflohen mir, die durch meinen gesamten Körper bebten. Ich wollte wegrennen, schreien, irgendeine Form der Erlösung finden, doch ich konnte nicht, denn sie lag hier in meinen Armen. Sie schenkte mir ihr Vertrauen, das ich bereits so oft gebrochen hatte, dass es mich umbringen würde, wagte ich es dies erneut zu tun. In einem kläglichen Versuch mich zu beruhigen streichelte ich Annalena über ihr weiches, dunkles Haar. Der Regen nahm wieder zu und hatte fast eine hypnotische Wirkung auf mich. Nur für einen Augenblick wagte ich es, die Augen zu schließen.

„Robert, na komm schon!" Ihr lachen hallte durch die Luft und ich konnte nicht anders, als mich ihrem anzuschließen. An diesem warmen Sommerabend strahlte sie mit der untergehenden Sonne um die Wette. Keine Frage, wer in diesem Kampf gewinnen würde. Sie rannte auf mich zu, schloss mich in die Arme und wir fielen gemeinsam lachend in den angenehm warmen Sand der Nordsee. „Na los, komm, alter Mann, wir gehen noch ein Stück. Von dort hinten gibt es einen viel schöneren Ausblick aufs Meer." neckte sie mich. „Pass auf du!", lachte ich und sprang auf, nahm Annalena auf meine Schulter und rannte Richtung Meer. Die Luft war gefüllt von unserem Gelächter. Ich konnte einfach nicht genug davon bekommen. Wahrlich hatte sie das schönste Lachen von allen. Im Wasser angekommen, ließ ich sie fallen und eine kleine Welle fasste uns beide, sodass das Meerwasser uns durchtränkte. Vorsichtig strich sie mir ein paar Strähnen von der Stirn und grinste: „Du wirst langsam grau mein Lieber" Ich konnte nichts sagen, das Glück blies alle Gedanken aus meinem Kopf und hinterließ nur ein Strahlen auf meinem Gesicht. Sie war mein Glück, alles, was ich jemals brauchen könnte. „Ich liebe dich so unglaublich doll", flüsterte ich etwas außer Atem. Sie entgegnete nichts, doch das war auch nicht nötig. Stattdessen lächelte sie und zog mich in einen leidenschaftlichen Kuss. Ihre Lippen verschmolzen mit meinen und nichts hatte sich je in meinem Leben so richtig angefühlt. Ich konnte es kaum fassen, diese Frau mein nennen zu dürfen. Als wir uns nach einer Zeit lösten, um Luft zu holen, platzierte ich meinen Handballen auf ihrer Wange und strich vorsichtig darüber. Mit meiner anderen Hand immer noch in ihren dunklen Haaren vergraben, zog ich sie erneut in einen kurzen Kuss und blickte ich dann direkt in die Augen. „Du bist so unglaublich schön Annalena" sie lächelte nur und versuchte wegzusehen, doch das würde ich ihr nicht erlauben. „Wir verpassen die schöne Aussicht", entgegnete sie etwas verlegen, doch das war mir egal: „Du bist die schönste Aussicht, die ich mir vorstellen kann." „Mein Romantiker", sagte sie, und fiel in meine Arme. Knietief im sich zurückziehenden Meer standen wir nun, Arm in Arm, den Sonnenuntergang beobachtend und ich hoffte, dieser Moment würde ewig bleiben.

Schnell öffnete ich meine Augen wieder. Wie konnte ich damals so naiv sein und nicht an unserer Beziehung festhalten? Wie konnte ich nicht für uns kämpfen? Nicht nur hatte ich Annalena vor vollendete Tatsachen gestellt und der Liebe meines Lebens damit vor den Kopf gestoßen, nein, ich hatte auch mir selbst das Licht in meinem Leben entzogen. Ich spürte die Wut in mir aufkochen. Wie konnte ich nur so ein Idiot sein? Etwas heftiger als gewollt stieß ich mit meinem Hinterkopf gegen die Wand. Ich spürte wie sich der Schmerz ausbreitete und fokussierte mich einen Moment lang nur darauf, bis mich die zierliche Frau in meinen Armen aus meiner Starre holte. „Robert?", fragte sie mit belegter Stimme. Im fensterlosen Flur konnte man nicht viel sehen. Die Kerzen waren ebenfalls längst erloschen nach stundenlangem Brennen, doch Annalena schien zu spüren, dass etwas nicht stimmte. Langsam setzte sie sich etwas mehr auf, Halt suchend an meinem Hemd, bis sie stockte. Langsam strich sie mit der flachen Hand über den leichten Stoff, bis sie an meiner Wange angekommen war. „Du hast geweint" Dies war keine Frage. Sie wusste es und es zu leugnen würde nichts bringen, schließlich hatte ich mir geschworen sie nie wieder zu belügen. „Ich hab doch gesagt, das mach ich öfter als angeln", versuchte ich zu scherzen, doch Annalena drückte mich nur fest an sich. Als unsere Umarmung von einem Gähnen ihrerseits unterbrochen wurde, erhob sie sich langsam und reichte mir die Hand. „Kommst du? Der Boden wird langsam hart", ich zögerte, gestand mir dann aber ein, dass es jetzt wohl Zeit war zu gehen. Schweigend erhob ich mich und griff nach der Türklinke, als mich etwas am Rücken traf. Verwirrt drehte ich mich auf dem Absatz um, eine Hand auf der Stelle liegend, die eben durch etwas, das sich als Kissen herausstellte, getroffen wurde. Etwas geschockt schaute ich zu Annalena, die im Türrahmen des Schlafzimmers stand, mit verschränkten Armen, mich auffordern anblickend. „Denk nicht einmal dran zu gehen! Du hast mich die letzten drei Monate allein gelassen, also bist du mir das jetzt schuldig." Ich hatte mit allem, außer damit gerechnet. „Ich sollte wirklich nicht-" begann ich, doch sie ließ mich gar nicht erst zu Worte kommen „Ja Robert, du hast mich verletzt, sehr sogar", ich sah die ersten Tränen in ihren Augen funkeln, „Aber ich möchte jetzt bei dir sein. Das brauche ich ... Bitte" letzteres war nicht mehr als ein Flüstern. „Wir beide", fragen schaute sie auf, „wir beide brauchen das jetzt", gab ich zu und nahm ihre Hand, die sie mir seit einigen Momenten entgegenstreckte. Ein Lächeln formte sich auf meinen Lippen und ihre spiegelten dies. Langsam kamen wir uns näher, unsere Lippen trafen nach drei langen Monaten aufeinander und der Kuss schmeckte süß. Wir waren beide hungrig nach mehr, brauchten diesen Kontakt jetzt stärker denn je, doch ich musste fragen: „Ich-, Anna, bist du sicher das-?" weiter kam ich nicht. Ihre Lippen eroberten meine und wir beide gaben uns diesem Moment hin. All der Stress, die Wut, die Last der Schuld war für einen Moment vergessen. Sie war mein Zuhause. Sie war mein Anker. Ich liebte diese Frau.

Langsam bewegten wir uns auf ihr großes Doppelbett zu, als es erneut blitzte, aber Annalena zuckte kein bisschen. Ich löste mich etwas von ihr und hauchte: „Du hasst Gewitter", „Ich hab Gewitter gehasst", kam es von ihr leise und etwas zaghaft zurück. Zufrieden fanden wir unseren Weg ins Bett, wo wir dicht aneinander gekuschelt lagen und uns schlicht in die Augen schauten. Niemand sagte etwas, nichts geschah, ich nahm lediglich ihre Augen wahr, die ihr strahlen zurückgewonnen hatten und das leise donnernde Unwetter, dass draußen erneut zu toben begann. Doch hier bei ihr war ich sicher. Hier konnte uns nichts passieren. Bevor ich mir erlaubte meine Augen zu schließen, um endlich erlösenden Schlaf zu erfahren, musste ich noch etwas loswerden: „Wenn ich dich je wieder verletzen sollte, schlag mich so doll es geht" Darauf kassierte ich ein breites, müdes Grinsen ihrerseits: „Ich liebe dich Robert". Diese vier Worte raubten mir den Atem. Ich konnte mein Glück nicht fassen, doch genau hier lag ich, mit der wunderbarsten Frau in meinen Armen. Dieses Mal würde ich schlauer sein, schlauer als sie gehen zu lassen.
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Das Kapitel ist zwar etwas kürzer, aber ich wollte vor Ende des Wochenendes auch hier noch ein Kapitel posten:) Wenn ihr weiterhin Interesse an der Geschichte habt, hab ich noch ein paar Ideen für ein paar Kapitel und wie bereits erwähnt dürft ihr euch aussuchen, ob es ein Happy End geben soll, oder ihr lieber etwas weinen wollt;)

Ich hoffe natürlich wie immer, dass es euch gefallen hat. Dankeeee für all eure lieben Kommentare, die motivieren unheimlich<3

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