⊱Kapitel 25⊰

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Zu meinem Glück bin ich Jo bis zum Mittag nicht weiter begegnet. Schließlich hatten wir lediglich die ersten beiden Stunden gemeinsam Unterricht. Danach trennten sich unsere Wege vorübergehend. Auch wenn ich so nicht die ganze Zeit daran erinnert wurde, dass sie mich später über alles ausquetschen würde, kreisten meine Gedanken permanent um Aiden und seine Worte. Die, die er mir heute Morgen zugesprochen hat, aber auch die, die bereits in weiter Ferne liegen. Immer wieder muss ich an unser Date am Wochenende denken, an Aidens Berührungen und schließlich seine jüngste Einladung auf ein erneutes Treffen. Ständig hallte eine Frage durch meinen Kopf. Will ich das alles überhaupt? Nach Ewigkeiten fand ich schließlich eine halbwegs klare und vernünftige Antwort. Ja, ich will Aiden noch besser kennenlernen. Immerhin haben wir im Bus gemeinsam darüber gesprochen und uns dazu entschlossen herauszufinden, was das zwischen uns ist. Jetzt davonzulaufen wäre einfach nur feige. Mehr nicht. Und trotzdem konnte ich mich keine Sekunde lang auf den Stoff in den Büchern vor mir konzentrieren. All die Mathematik, Biophysik und Literatur war plötzlich so weit weg. Für mich unzugänglich. Denn da war nur Platz für eine Sache. Eine Person. Ihn. Und die Tatsache, dass ich im heute Mittag mitteile, dass ich mich von Grund auf auf den bevorstehenden Abend freue. Auch wenn es mir schleierhaft ist, was Aiden planen könnte.

Umso erleichterter bin ich, als endlich die verdammte Schulklingel die Pause einläutet, auf die ich zwar eigentlich keine große Lust habe, aber die ich dafür so dringend benötige. Vielleicht schafft es meinem Gedankenkarussell Abhilfe, wenn ich endlich mit Aiden rede, Jos Verhör über mich ergehen lasse und nicht mehr an dem langweilen Schulkram knabbern muss. Mehr oder weniger begeistert und schnell klaube ich also mein gesamtes Zeug zusammen und lasse es in meinem Rucksack verschwinden. Einmal mehr speichere ich mir eine innere Notiz über den maroden Zustand dessen in meinen Hirnzellen ab und schlendere in aller Seelen Ruhe zur Tür hinaus. Den großen Ansturm an Schülern, die alle in ein und die selbe Richtung wollen, lasse ich gekonnt an mir vorbeiziehen. Das Gedränge ist einfach viel zu eng, voll und stickig. So viele verschiedene Menschen, Gerüche und Temperaturschwankungen prallen aufeinander. Gepaart mit ungewollten Berührungen an jeglichen Stellen, auf die ich nur gut und gerne verzichten kann. Mir ist unklar, wie man in solchen Situationen überhaupt Platzangst frei bleiben kann. Erst, als sich die Traube aus Menschen weitestgehends aufgelöst hat, traue auch ich mich in Richtung Mensa. Die Wände der leeren Flure hallen, bei dem Gedanken an Jo und Aiden, auf die ich gleich in der Cafeteria treffen werde, in meinen Ohren wieder. Sie lassen mich eratarrren und schneller gehen, sie lassen mich zittern und mein Herz tanzen. Sie verbreiten Nervosität meiner besten Freundin gegenüber zu treten und mich ihr erklären zu müssen. Nicht weil sie ein Anrecht darauf hat, nein, weil sie wie ich einfach viel zu neugierig ist. Aber all die kargen Wände und verschmierte Spinde verbreiten auch ein warmes Gefühl von Zuhause. Freude und Sehnsucht. Die Sehnsucht danach, Aiden wiederzusehen. Auch, wenn seit dem heutigen Morgen nur wenige Stunden ins Land gezogen sind. Ein tiefer Luftstoß verlässt meine Lungen, als ich in die Mensa trete und sofort von Unmengen an Stimmgewirren umgeben bin. Tiefe und Hohe. Dunkle und Helle. Dominierende und Zarte. Und mitten drin. Jos Lachen. Josies lautes und ansteckendes Lachen erhellt die ganze Cafeteria. Sofort erblicke ich sie an einem Tisch ganz in der Nähe. Zusammen mit ein paar Kerlen, die ich noch nie zuvor gesehen habe und einigen Mitgliedern des Cheerleader Teams. Da mir sowieso längst der Appetit vergangen ist, beschließe ich das Buffet links liegen zu lassen und direkt auf Jo zuzugehen. Sie entdeckt mich schon lange bevor ich am Tisch ankomme und verstummt. Auch ich halte inne. Erwidere ihr Lächeln. Es dauert einen Moment, dann wendet sich Jo erneut an die Gruppe um sie und bittet um Verzeihung, dass sie schon vorzeitig abhaut. Für meinen Geschmack etwas zu hastig schnappt sie sich ihre Tasche, lässt das Tablett auf dem Tisch stehen und kommt auf mich zu.
»Hey«, begrüßt sie mich freudestrahlend.
Ein wenig verunsichert erwidere ich ihre Worte.
»Hast du etwa schon gegessen?«, fragt Jo nach, als sie sieht, dass ich nichts außer meines Rucksackes bei mir habe. Ein wenig verunsichert schüttel ich den Kopf.
»Ne, aber ich habe auch nicht wirklich hunger.«
Ihr skeptischer Blick mustert mich von oben bis unten. Irritiert, so als hätte ich ihr gerade offenbart, dass die Erde eine Scheibe sei, zieht Jo ihre Augenbrauen in die Höhe.
»Was es auch ist. Ich will es wissen. Alles!«
Grinsend schnappt sie sich meinen Arm und hakt sich bei mir ein, ehe sie mich schnellen Schrittes Richtung Ausgang zerrt. Ihr Weg führt uns beide nach draußen zu den Tribünen. Erst als wir an der mittleren Reihe ankommen, lässt Josie mich los und wir lassen uns gemeinsam auf die Bänke plumpsen.
»Hier können wir in Ruhe reden. Also wenn du willst. Du musst natürlich nicht, aber-«
Ich unterbreche sie. »Ist schon okay.« Nein, eigentlich ist es das nicht, aber Jo würde sowieso keine Ruhe geben, ehe sie nicht die ganze Geschichte kennt. Außerdem kommt mir plötzlich der Gedanke, dass es vielleicht auch mir gut tun könnte, mit jemanden über das Geschehene zu sprechen. Bei Alli fällt mir das schließlich auch ganz leicht. Warum sollte es bei Jo anders sein? Bloß, weil sie den Besagten kennt? Ihr Bruder sein bester Freund ist? Sicherlich nicht. Also beiße ich die Zähne zusammen und sammel all meinen Mut, bevor ich Jo in die Augen sehen kann. Nervös befeuchte ich meine Lippen und setzte mehrmals zum Sprechen an, ehe dann doch die Worte nur so aus mir raussprudeln.
»Also, alles fing damit an, dass ich ihn damals im Bus getroffen habe. Seine Art fand ich anfangs ziemlich abstoßend, doch je öfter wir uns begegnet sind, desto mehr habe ich gemerkt, dass er auch ganz anders kann. Gefühle zeigen und zulassen kann. Und gleichzeitig wurde alles immer komplizierter. Am Wochenende hat er mich auf ein Date eingeladen und ja. Letztendlich haben wir uns dann geküsst. Jo, ich glaube, ich glaube, ich habe mich verliebt.«
Abrupt beende ich mein Geständnis. Die letzten Worte sind nahezu nicht hörbar. Bloß ein Flüstern in der brennenden Mittagshitze. Sie stehen in der Luft und erreichen Jo nur langsam.
»Wow.« Danach schweigt sie.
Ich zähle die Sekunden die vergehen, um mich abzulenken. Eins, zwei, drei-
»Aber das ist doch wunderbar. Meine Lyn, Brooklyn Wright ist verschossen. Das ist so großartig.«
Jos Umarmung kommt so plötzlich, dass sie mir einen Augenblick lang die Luft abschnürt. Perpelx lege auch ich meine Arme um sie und schalte meine Gedanken einen Moment lang auf stumm. Genau so lange, wie wir in unsere Umarmung inne halten.
»Aber wer ist es denn? Kenne ich ihn? Sieht er gut aus? Natürlich tut er das, sonst hättest du dich ja nicht in ihn verknallt. Was sagen ich da bloß«, gespielt empört Haut Jo sich ihre flache Hand vor die Stirn, um ihre eigene Dummheit auszudrücken.
Hinter der meinen gibt es hingegen nur einen Satz, der sein Unwesen treibt. Wer ist es denn? Kenne ich ihn? Unsicher spiele ich mit meinen Fingern, knete meine schwitzigen Handballen und sammel erneut allen Mut zusammen.
»Ja Jo, du kennst ihn.«
Ich sehe förmlich, wie es in ihrem Kopf rattert. Das Zahnrad arbeitet unaufhörlich. Spielt Zahn für Zahn jeden ihr bekannten Namen und Typen durch.
»Wer?«, fragt sie schließlich gespannt.
Ich schlucke. »Aiden.« Sein Name kommt mir brüchig über die Lippen. Jetzt ist es endlich raus. Jo weiß bescheid. Und im Augenblick weiß ich nicht, wie ich das finden soll, den sie sieht aus, als würde sie gleich in eine Kreischattake ausbrechen. Ihre Beherrschung ist ihr anzusehen.
»Oh mein Gott. Ich freue mich so für dich Lyn. Euch, wie auch immer.«
Erneut umschlingen ihre Arme meinen zitternden Körper.
»Du, du findest es also in Ordnung?«
Jo nickt. »Warum denn nicht? Ehrlich gesagt hat Ethan schon was durchblicken lassen und auch ich habe mich gefragt, wie lange es dauern wird, bis ihr die Chemie zwischen euch auch erkennt, die so ziemlich jeder schon gesehen hat.«
»Was?« Überrascht ziehe ich meine Stirn kraus.
»Egal Lyn. Wichtig ist, dass ihr eure Gefühle füreinander erwidert. Und ihr glücklich seid. Der Rest ist doch unwichtig.«
Ich nicke stumm, als ich im Hintergrund bereits das Klingeln hören kann.
Grinsend springt Jo auf, ich tue es ihr gleich. Nur um im gleichen Moment erneut in ihre Umarmung gezogen zu werden. Jo ist fast aufgeregter als ich. So sehr, dass sie uns freudestrahlend hin und her wiegt.
»Ich hab's verstanden Jo. Wirklich.« Lachend entziehe ich mir ihr.
»Das ist gut. Dann kann ich ja jetzt beruhigt in den Unterricht gehen. Aber glaub nicht, dass du um ein intensiveres Gespräch herumkommst.«
Grinsend nicke ich. Typisch Josie.
»Sehr gut. Dann bis später.«
»Bis später.«
Während Jo sich zum Gehen wendet, dreht sie sich noch einmal um.
»Ach Lyn!«
»Ja?«
Grisnend formt Jo einen Kussmund und kann es nicht lassen, mir einen Luftkuss zu zu hauchen. Ebenfalls grinsend schüttel ich bloß den Kopf und schaue ihr eine Weile hinterher, bis sie fast ganz aus meinem Sichtfeld verschwindet, ehe auch ich mich auf den Weg in den Unterricht mache.
Freudestrahlend tappe ich Stufe für Stufe die Treppe der Tribüne nach unten und stecke mir gedankenverloren meine Haare hinter die Ohren, als mich plötzlich eine Hand am Arm packt und unter die Tribüne zieht. Erschrocken schreie ich auf.

»Psst.« Aiden drückt mir seine Hand auf den Mund und lächelt mich an.
»Was machst du denn hier?« Fragend schaue ich ihn an und deute auf das, was uns hier unter der Tribüne umgibt. Noch immer rast mir das Blut durch die Bahnen. Mein Herz schlägt mir bis zum Hals.
»Ich wollte mir die Tribüne mal von unten ansehen.« Aiden grinst.
Idiot. Mein dein-Ernst-Blick scheint sofort zu ziehen.
»Na gut. Eigentlich wollte ich dich sehen. Aber du warst nicht mehr in der Cafeteria. Also habe ich dich hier gesucht.« Aiden macht eine Pause und deutet ebenfalls auf das Metall um uns, »und mit Erfolg gefunden.« Seine warmen Hände finden ihren Platz auf meiner Taille. Augenblicklich schicken sie einen einzigen Stromschlag durch meinen gesamten Körper. Direkt in mein Herz und zu den Schmetterlingen in meinem Bauch. So sehr ich versucht habe seinem Blick auszuweichen, so sehr bin ich ihm jetzt entgültig verfallen.
»Du hast uns also belauscht?« Ich kann nur hoffen, dass er nicht alles mitbekommen hat.
»Würde ich nie tun. Aber ich habe ganz zufällig etwas ziemlich interessantes erfahren.« Grinsend zieht er mich näher an sich, sodass kaum ein Blatt Papier zwischen uns passt.
»Ach ja. Was denn?«
»Ach nur, dass du dich in jemanden verliebt hast. In jemanden mit tiefen Charakter und gutem Aussehen. Ich muss sagen, ich fühle mich geschmeichelt.«
Ich kann nicht verhindern, dass mir Hitze in die Wangen steigt und sie in ein zartes rosa taucht.
»Wer sagt denn, das du gemeint warst?«
»Ich. Oder liege ich etwa falsch?« Herausfordernd strahlt Aiden mich an. Schon wieder sind da diese süßen Grübchen auf seinen Wangen, die mich fast seine Frage vergessen lassen.
»Finde es doch heraus.«
»Würde ich ja. Aber ich weiß nicht, ob du mich lässt.«
Sofort weiß ich, worauf Aiden hinaus will.
Für einen Bruchteil der Sekunde schließe ich meine Augen. Aiden nutzt die Zeit aus, um zärtlich über meine Wange zu streicheln. Elektrisiert von dieser winzigen Berührung lege ich meinen Kopf leicht zur Seite und öffne flattert meine Lider.
»Ja verdammt. Du darfst mich auf ein zweites Date einladen.«
Lächelnd fessel ich seinen warmen, blauen Blick mit dem Meinen.
»Das ist die beste Nachricht des Tages.«
Lächelnd überbrückt Aiden die letzten Zentimeter, die unsere Lippen voneinander trennen und zieht mich in einen gefühlsvollen, dafür umso intensiveren Kuss. Wie bereits an jenem Abend bewegen sie sich im Einklang miteinander, lassen mich schweben. In eine völlig andere Welt. In eine, in der nur Platz für uns beide ist. In der nur Aiden und ich zählen, unsere Gefühle und Berührungen. Längst ist der bereits laufende Unterricht vergessen. Es existieren nur noch unsere Münder und Aidens Hände, die mich fest halten, an ihn drücken, als würde er mich nie wieder gehen lassen wollen. Und mein sehnlichster Wunsch ihn nie wieder loslassen zu müssen.

 Und mein sehnlichster Wunsch ihn nie wieder loslassen zu müssen

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