Kapitel 1: Aufwachen

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Es ist dunkel hier, eine warme Dunkelheit. Wie eine warme, flauschige Bettdecke liegt sie auf meinen Augen. Alles ist still. Man könnte einen Zahnstocher hören, wenn dieser auf den Boden fällt. Doch diese Stille zerreißt, als ein lautes Geräusch ertönt. Langsam begreife ich, dass dies mein Wecker ist, der mich zurück in das reale Leben holt, doch ich möchte meine Augen nicht öffnen. Ich möchte dieses warme, schwarze Tuch behalten. Ich taste mit meiner linken Hand nach meinem Wecker. Als ich diesen in meiner Handfläche spüre, drücke ich auf die „Schlummertaste". Das Geräusch verschwindet und die Ruhe kehrt zurück. „Nur noch ein paar Minuten", denke ich bei mir. Ich drehe mich auf die andere Seite und spühre einen Schmerz in meinem rechten Fuß. Wie ein Nadelstich dringt er in meine Fußspitze ein und klettert langsam an meinem Bein hinauf. Ich realisiere, dass ich mich am Bettpfosten gestoßen habe. Neben mir liegt mein Hund Juno. Ich lege meine linke Hand auf ihren Rücken. Als sie dieses spürt, krabbelt sie näher an meinen Brustkorb heran. Ich spüre, wie sich ihre kleine Schnauze auf meiner Schulter niederlegt. Ihre kleinen Barthaare kitzeln an meinem Kinn. Ich lege meinen Arm um sie und spüre ihre langsame und regelmäßige Atmung. Ihr warmer Körper vermittelt mir ein Gefühl von Sicherheit. Der Wecker ertönt erneut. Diesmal darf ich ihn nicht ignorieren. Ich weiß, dass ich pünktlich fertig sein muss, damit ich den Bus noch erwische und ich weiss, dass ich auf diesen angewiesen bin. Der Bus ist der einzige Weg, um in die Schule zu kommen. Würde ich ihn verpassen, würde der nächste Bus erst zwei Stunden später kommen oder ich müsste ca. eine Stunde zur Schule laufen.

Langsam hebe ich Junos Kopf und ziehe meine Schulter darunter weg. Dann lege ich ihren Kopf wieder auf das graue Bettlaken. Ich möchte sie nicht aufwecken. Ich drehe mich um. Langsam bewege ich meinen müden Körper zur Bettkante und schäle meine Beine aus meiner Decke. Ich schwinge sie über die Bettkante. Meine linker Fuß berührt die kalten Fliesen und ich bekomme Gänsehaut auf den Schultern. Sie läuft von den Schulterblättern hoch bis zum Nacken. Sie verbreitet sich über die Schultern. Nun kommt sie auch an meinem Hinterkopf an. Ein kurzer Schauer durchfährt mich. Ich setzte nun auch den anderen Fuß auf und reibe mir die Augen. Bunte Lichter tanzen vor meinen Augen. Sie schweben kunstvoll hin und her und bewegen sich wie auf magische Weise. Langsam verschwinden diese wieder und ich öffne meine Augen. Der Raum um mich herum ist dunkel und warm. Nur ein paar Lichtstrahlen scheinen durch die Lücken in den Gardinen. Langsam richte ich mich auf und tapse benommen zum Fenster. Ich ziehe die Gardinen auf. Die helle Sonne blendet meine Augen und ich muss sie einen kurzen Moment später wieder schließen. Mit halb geschlossenen Augen gehe ich zum nächsten Fenster und schlage auch hier die Gardinen auf. Diesmal öffne ich das Fenster und ein warmer Windhauch weht in mein Gesicht. Es ist Mitte Juni und viel zu warm für meinen Geschmack. Ich öffne nun wieder meine Augen und betrachte die grüne Wiese vor unserem Haus. Aus der ersten Etage erblicke ich kleine bunte Farbkleckse im Sonnenlicht schimmern. Als ich noch ganz klein war, habe ich mit Vater und Mutter immer dort gespielt. Diese Erinnerung verschwimmt mit der Zeit. Zehn Jahre ist es nun schon her, seitdem Mutter gestorben ist. Vater und ich haben uns seitdem allein durchgeschlagen. Wir halfen einander, als wir am Boden zerstört waren. Der Schmerz vergeht mit der Zeit, doch die Trauer wird ewig bleiben. Ich wende mich von dem Fenster ab und gehe quer durch den Raum zum Kleiderschrank. Ich betrachte die ordentlich sortierten Kleidungstücke. Ich fische mir ein schwarzes Top heraus und greife nach einer dunkelblauen Hotpants. Ich wühle im untersten Fach herum und schnappe mir ein Paar Socken. Langsam schließe ich den Kleiderschrank und laufe zur Tür. Es ist eine wunderschöne Holztür aus Eichenholz. Kleine Muster schlängeln sich durch die Holzfassade. Ich lege meine Hand auf die silber glänzende Türklinke. Mein Blick fällt ein letztes Mal auf Junos kleinen Körper. Ich sehe wie sich ihr Brustkorb langsam hebt und senkt. Ich wünschte, ich könnte jetzt noch bei ihr liegen und ein paar Stunden schlafen. Ich betätige die Türklinke und die Tür öffnet sich mit einem karrenden Geräusch. Vor mir erscheint ein dunkler Flur. Dort gibt es keine Fenster und das einzige Licht, welches ihn erhellt, kommt aus meinem Zimmer. Langsam trete ich durch den Türrahmen in den kaum beleuchteten Flur. Meine Kleidung unter meinem rechten Arm tragend. Hinter mir schließe ich die Tür. Die angenehme Dunkelheit kommt zurück. Jedoch müssen sich meine Augen erst an die plötzliche Lichtveränderung gewöhnen. Ich Taste mich langsam voran, bis ich die Türklinke des Badezimmers an meinen Fingerspitzen spüre.

Ich drücke sie hinunter und trete in den hell erleuchteten Raum. Die großen Fenster spenden mehr Licht, als ich mir vorstellen könnte. Ich schließe die Tür hinter mir und schließe ab. Ich möchte nicht, dass mein Vater unverhofft reinkommt. Meistens schläft er bis ich weg bin, doch manchmal platzt er einfach so rein um die Toilette zu benutzen. Dieses möchte ich verhindern, denn er kann auch die Toilette im Erdgeschoss benutzen. Ich lasse meine Sachen auf den Boden fallen.

Eigentlich will ich diese nicht anziehen, denn der viel zu große Pullover den ich trage, gehörte früher meinem Vater. Doch nach dem Tod meiner Mutter zog er ihn nie wieder an, denn der Pullover roch nach Jahren immer noch nach ihr. Ich erinnere mich noch, wie sie früher immer genau diesen Pullover von dem Kleiderschrank meines Vaters stahl und ihn anzog. Sie legte sich dann immer neben mich und streichelte meine Haare. Ich vergrub mein Gesicht immer in den Falten des Pullovers. Ihr Geruch gab mir wohlige Sicherheit. Noch heute vergrabe ich meine Nase in dem Pullover und atme tief ein. Ich schließe meine Augen und stelle mir ihr Gesicht vor. Ihre blauen Augen, die ich von ihr geerbt habe und ihre schwarzen Haare. Ich will mich an jede Falte und jeden Makel erinnern. An ihre Grübchen, wenn sie mal wieder lachte. Ich atme wieder aus und öffne meine Augen.

Die Sicherheit der schönen Erinnerungen verschwimmt und das helle Licht der Sonne kommt zurück. Langsam streife ich den Pulli ab. Wie ein Sack fällt er zu Boden.
Die tiefen Schnittwunden werden sichtbar. Mein Vater weiß davon nichts, noch ein Grund das Bad abzuschließen. Würde er es wissen, würde er mich zum Therapeuten schicken und darauf hab ich ehrlich gesagt keine Lust. Langsam schaue ich an meinem Arm herunter. Von der Armbeuge runter zum Handgelenk. Tiefe Schnitte prägen sich in meine blasse Haut. Ich habe es geschafft, mich seit 2 Tagen dem Verlangen zu widersetzten, meinem Körper Schaden zuzufügen. Schnell ziehe ich mir das Top über und steige in die Hose. Trotz der warmen Temperaturen draußen, ziehe ich mir eine dünne, schwarze Jacke über. Ich möchte nicht, dass irgendjemand von meinem kleinen Geheimnis erfährt.

Ich laufe zum Spiegel und greife mit meiner rechten Hand nach der Haarbürste neben mir. Langsam kämme ich meine langen blutroten Locken. Ich richte meinen Seitenscheitel. Ich lege die Bürste weg. Mein Blick fällt auf den Spiegel. Ich schaue meinem Spiegelbild tief in die Augen. Ich versuche das kleine glückliche Mädchen mit neugierigen, großen, blauen Augen zu finden, dass ich einmal war. Ich sehe mich mit 10 Jahren. Dieses kleine naive Kind. Ich lache sie insgeheim aus, aber ich bemitleide sie auch. Damals wusste sie noch nicht wie es wirklich in der Welt läuft. Am liebsten würde ich sie warnen, sie auf die Probleme vorbereiten, die kommen würden, aber das kann ich nicht. Es ist jetzt einmal so gekommen wie es ist, trotzdem schäme ich mich dafür. Ich schaue erneut in ihre großen Augen. Sie verurteilen mich nicht, sie sehen mich einfach nur an. Dann sehe ich, wie sich ihr Mund bewegt. Ich kann ihre Worte nicht hören, doch das brauche ich auch nicht. Ich weiß was sie sagt, denn ich höre ihre Worte jeden Tag. Wieder und wieder höre ich sie in meinem Kopf aufhallen. Eigentlich ist es nur ein Wort, doch ich weiß noch nicht so ganz was es für mich bedeuten soll. Schon wieder schallt es wiederholt durch meinen Kopf:

LEBE!!!!

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