Ein Wiedersehen

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Stunden später, in der Morgendämmerung, verließ ein anderer Mann den Königspalast, ließ sich von einem Sklaven auf sein Pferd helfen und trieb den Hengst ungeduldig durch die engen Straßen der oberen Stadt. Es war Eleazar. Trotz seiner eigenen Rastlosigkeit zwang er sich, das Tempo dem unebenen Boden und den verwinkelten Gassen anzupassen. Während er das Pferd bald zurückhielt, bald in eine höhere Gangart wechseln ließ, beobachtete er die ersten Händler, die nach und nach ihre Ständchen aufbauten. Allmählich wurden die Geräusche lauter und als Eleazar schließlich sein Anwesen erreichte, schien die Stadt bereits vollends erwacht.

Da niemand mit der Ankunft des Hausherren gerechnet hatte, musste Eleazar etwas warten, bevor drei Sklaven herbei eilten, das Tor öffneten und ihm das Pferd abnahmen. Im Vorbeigehen schlug er wütend mit der Reitgerte nach dem Mann, der am nächsten bei ihm stand, und marschierte dann mit zielstrebigen Schritten zum Schlafgemach seiner Frau. Ohne anzuklopfen stieß Eleazar die Tür auf. Blass und wie ein Schatten ihrer selbst ruhte Tabitha in einem Scherensessel neben dem Fenster. Ihre beiden Mägde, Kyron und zwei weitere Haussklaven standen neben ihr und wussten offensichtlich nicht recht, was sie tun sollten. Am Boden saß Dan, warf unaufhörlich die kleinen Schafknöchelchen seines Astragales in die Luft und versuchte sie wieder aufzufangen. Als Eleazar eintrat, sah ihm Tabitha kurz in die Augen, doch ihr Blick war derart ausdruckslos, dass er sich nicht sicher war, ob sie ihn überhaupt wahrgenommen hatte.

„Ich bin so schnell gekommen, wie ich konnte", sagte Eleazar mit lauter Stimme, was wie ein eigenartiger Widerspruch zur bedrückenden Stille des Raumes wirkte.

Tabitha nickte, aber die Bewegung war so schwach, dass man sich ihrer nicht ganz gewiss sein konnte.

„Wie geht es euch?", erkundigte sich Eleazar. Noch immer lagen Spannung und Hektik in der Art und Weise, wie er sprach.

„Die Herrin ist sehr schwach", antwortete Martha vorsichtig. „Sie hat viel Blut verloren."

„Das ist Wochen her. Sie müsste sich längst erholt haben", herrschte Eleazar das Mädchen an und machte dabei ein paar drohende Schritte auf sie zu. Er war zornig und es drängte ihn danach, jemanden zu bestrafen, auch wenn es keinen Grund dafür geben mochte.

„Zweiundzwanzig Tage", erwiderte Tabitha in dem Moment und Eleazar blieb unwillkürlich stehen. Er suchte den Blickkontakt zu seiner Gattin, aber die hatte ihre Augen schon wieder auf einen unbestimmten Punkt irgendwo im Raum gerichtet und schenkte ihm keine Aufmerksamkeit mehr.

„Es war die Aufregung", rief Eleazar aus, doch seine Worte wirkten seltsam hilflos. „Der Belagerungszustand, die Bedrohung durch Alexanders Truppen. Zu viel für eine werdende Mutter. Ihr hättet nicht in Jerusalem bleiben dürfen."

„Es hat sich nichts Aufregendes zugetragen", entgegnete Tabitha ausdruckslos.

„Alexander hat die Einladung zum Essen nicht angenommen", ergänzte Kyron leise. „Die ganze Zeit über ist keiner seiner Männer hier gewesen, noch sind wir in irgendeiner Weise von ihnen bedrängt worden."

„Schweig!", brüllte ihn Eleazar an. „Du redest gefälligst, wenn du gefragt wirst." Mit der linken Hand packte er Kyron am Stoff seiner Tunika, um ihn im nächsten Moment mit dem Rücken der rechten ins Gesicht zu schlagen. Blut rann aus seiner Nase und Eleazar wollte schon zum zweiten Hieb ausholen, da hörte er Tabithas Stimme, leise, aber dennoch wieder lebendig wie die einer Herrin, die keinen Widerspruch duldete.

„Lass ihn!"

Es waren nur zwei Worte, die man leicht überhören hätte können. Und obwohl Eleazar kein Mann war, der sich ohne weiteres einem Befehlen beugte, noch weniger dem einer Frau, ließ er Kyron los und kam näher an Tabitha heran. Vorsichtig strich er ihr über das Haar. Es war weich und geschmeidig. Wie anders es sich anfühlt als der Griff meines Schwertes, dachte er, wenn ich damit aushole, um den Mann mir gegenüber in den Scheol zu schicken.

„Warum legt ihr euch nicht hin?", fragte er vorsichtig.

„Ich kann nicht schlafen", antwortete Tabitha, die ihren Blick immer noch an ihm vorbei ins Leere gerichtet hatte.

„Trotzdem ist es besser für euch", bestimmte Eleazar. Ohne ihre Reaktion abzuwarten, nahm er sie auf den Arm und trug sie zu dem Bett, das sauber und ordentlich dastand, großzügig mit weichen Zierkissen bestückt. In der kurzen Zeit, in der Eleazar seine Frau in den Armen hielt, wurde ihm bewusst, wie leicht sie war. Er legte die Hände etwas fester an ihren Körper, doch alles, was er unter dem steifen Stoff ertasten konnte, waren die sich klar abzeichnenden Knochen.

„Esst ihr denn nichts?", erkundigte er sich mit einer Art Strenge und ließ sie dabei sanft auf die Matratze gleiten.

Tabitha antwortete nicht und Eleazar spürte einen unbändigen Zorn in sich aufsteigen.

„Nicht essen, nicht essen", brabbelte Dan mit lauter anklagender Stimme.

„Was ist das?", brüllte Eleazar, zog sein Schwert und ging mit der gezückten Waffe auf die Dienerschaft zu. „Ein Mann zieht in den Krieg, riskiert sein Leben im Kampf für sein Zuhause und die Seinen. Nach langen Wochen der Entbehrungen kommt er nach Hause und was findet er?" Eleazars Stimme wurde immer lauter und drohender. Die Sklaven standen unbeweglich da. Ihre Gesichter waren angsterfüllt. „Er findet ein Haus voll fetter Sklaven und eine Herrin so dürr wie ein Gerippe."

Mit dem erhobenen Schwert zeichnete Eleazar eine Art Halbkreis, ließ die Spitze in der Luft von einem zum anderen wandern. Er wusste nicht, ob er mehr Lust hatte, einen von ihnen niederzustechen oder sich eine Peitsche zu holen und sie zu züchtigen. Das einzige, dessen er gewiss war, war der Umstand, dass er etwas tun musste, um der rasenden Wut, die in ihm war, Ausdruck zu verleihen. Warum nicht Dan, fragte er sich, denn gerade waren zwei Schafknöchelchen vor seine Füße gerollt und Dan krabbelte ihnen ungeschickt wie ein Kleinkind hinterher. Ich habe es ohnehin satt, den Schwachsinnigen durchzufüttern, sagte sich Eleazar, wagte es dann aber doch nicht, die Hand gegen den Ziehbruder seiner Frau zu erheben.

Priester und KönigeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt