"Kommst du?", rief er motiviert.
"Schau mal nach oben!", rief Jule zurück. Schnell lief er die restlichen Treppenstufen hoch. Jule und er hatten sich ein Wettrennen geleistet. Es gab zwei Treppen, die jeweils im selben Flur endeten. Er war sich sicher gewesen zu gewinnen, aber Jule hatte ihn etwas besseren belehrt.
"Fairer Sieg", meinte er und Jule grinste triumphierend. Er hatte schon länger bemerkt, dass sie es liebte zu Gewinnen oder Recht zu behalten.
"Hier hoch", dirigierte er und ließ Jule den Vortrit auf eine weitere Treppe. Sie war schmaler als die vorherigen Treppen, die den Eindruck von Reichtum schärfen sollten.
Fragend blickte Jule zu ihm zurück, als sie vor einer geschlossenen Tür angekommen war.
"Mach auf", forderte er sie auf und sie tat ihm den Gefallen.
Hinter Jule betrat er sein Reich."Das ist krass!", meinte Jule begeistert und schaute sich um. Sie waren im Obergeschoss angekommen. Wo im restlichen Gebäude doch alles so schick wirkte, war das hier der komplette Kontrast. Die raue Steinfassade war nicht verputzt, die hölzernen Dachbalken offengelegt. Ein großer Flatscreen stand vor einem weißen Sofa auf dem schwarze Kissen lagen. Es gab einen Kamin, der aber aus war. Eine Holztreppe führt hinter einer Mauer lang, so dass Jule nicht sehen konnte wohin sie führte. Allerdings war die Decke genauso hoch wie im Rest Hauses.
"Ein Klavier?", fragte Jule überrascht, als sie das Musikinstrument entdeckte. Verlegen kratzte Kian sich am Hinterkopf. Umso überraschter war er, als Jule den Deckel hochklappte und die Tasten anschlug. Nach einem astreinen, wenn auch langsamen, 'Alle meine Entchen' applaudierte Kian seinem Gast.
"Musikunterricht lohnt sich", meinte sie grinsend und Kian lachte.
"Spielst du mir auch was vor?", pokerte sie dann.
"Nachher", sagte ihr Gastgeber nur und lief zu einer Tür hinter ihr.
"Wie nachher?", quengelte Jule und folgte ihm in die Küche. Das Geschoss unter dem Dach gehört ihm, er hatte es frei einrichten können. So stand Jule nun in einer schwarzen Küche mit holzigen Kontrasten.
"Spiel mir doch jetzt was vor", bettelte Jule weiter, während Kian zu einem Schrank ging und ihn öffnete. Nach einem Knopfdruck hörte Jule Maschienen Geräusche und kurz darauf kam der Schrank, von unten, ratternd bei ihnen an.
"Das ist ein Fahrstuhl?", fragte Jule überrascht und Kian bestätigte es ihr.Wenig später hörte man neben dem Schnippeln von Gemüse und dem Rühren im Topf nur noch das laute Singen der beiden. Zufrieden hantierten sie in der Küche, als hätten sie nie etwas anderes gemacht. Nach einer Stunde und zig Lieder später hatten sie ihr Essen angerichtet.
Seufzend ließ Jule sich in einen der Korbstühle des Esstischs fallen, der direkt vor einem großen Fenster stand.
"Ich wollte immer reiten lernen", nuschelte sie zwischen zwei Bissen und schaute aus dem Fenster.
"Echt?", fragte Kian überrascht.
"Mhh."
"Ich bring's dir bei."
"Echt?" Jules Augen begannen zu leuchten.
"Aber erst spielst du mir was auf dem Klavier vor!"
'Mist', dachte er, er hatte gehofft, dass Jule es vergessen würde."Spiel mir was vor", quengelte Jule während sie die Teller abtrocknete. "Bitte."
"Nachher.""Jetzt?", fragte Jule hoffnungsvoll, als sie das Geschirr fertig gespült hatten.
"Jetzt", gab Kian sich seufzend geschlagen.
Er setzte sich auf den Klavierhocker und begann ein Stück zu spielen, das Jule nicht kannte.
"Wow!", meinte sie begeistert, als Kian geendet hatte. Durch die hohe Decke hatte das Stück besonders schön geklungen.
"Von wem ist das Lied?"
"Von mir", meinte Kian verlegen.
"Echt?", fragte Jule begeistert und Kian nickte.
"Das ist unglaublich!", meinte sie dann und Kian kratzte sich verlegen am Hinterkopf.
"Willst du jetzt Reiten lernen?"
"Aber so was von!"Wieder veranstalteten beide ein Wettrennen über die Treppen, wie kleine Kinder.
"Gewonnen!", rief Jule begeistert und Kian grinste. Er hatte sie gewinnen lassen.
"Hier raus", lotste Kian sie diesmal zu anderen Seite des Gebäudes.
"Sag mal, putzt du das eigentlich selber?", fragte Jule neugierig.
"Putz ich was?"
"Na das Haus".
"Achso. Ja, leider", meinte er seufzend.
"Aber warum lässt du das denn niemanden machen? Immerhin kannst du dir schon so einen Schuppen leisten", fragte Jule verwirrt.
"Meine Eltern haben mir zwar das Haus überlassen und zahlen das notwendige, aber Putzfrauen gehören da nicht zu. Mein Vater möchte, dass ich eine Firma gründe oder irgend so etwas", erklärte Kian.
"Und was willst du?" Diese Frage überraschte ihn. Kurz starrte er in die braunen Augen von Jule. 'Waren diese Sprenkel schon vorher da?', fragte er sich.
"Kian?", wurde er aus seinen Überlegungen gerissen.
"Oh, sorry. Ich wollte immer etwas mit Pferden machen und das hab ich ihm auch gesagt. Sein Kompromiss war dann, dass ich hier Pferde halten darf und dann was richtiges mache".
"Ja, aber was willst du?", fragte Jule eindringlich.
"Klavier spielen", meinte Kian ohne nachzudenken. Zufrieden nickte Jule.
"Du bist gut. Sehr gut sogar. Warum also nicht Hobby zum Beruf machen."
"Das will er nicht."
"Er?"
"Mein Vater."
"Und warum lässt du dein Leben von ihm regieren?", fragte Jule verwirrt.
"Er ist mein Vater, Jule."
"Na und? Wenn er wirklich dein Vater ist, lässt er dich das tun was du liebst", meinte Jule heftig.
Betreten schaute Kian zu Boden.
"Tut mir leid, dass hätte ich nicht sagen sollen", meinte Jule beschämt und lief hinter Kian aus dem Haus.
"Weißt du", meinte sie nach kurzem Schweigen,"meine Mutter ist genauso. Sie denkt, dass sie weiß was ich will, aber eigentlich ist es nur das, was sie nie geschafft hat".
"Wie meinst du?"
Jule seufzte geschlagen. "Eigentlich wollte ich dir das gar nicht erzählen", meinte sie verlegen.
"Bitte", bat Kian sie ernst.
"Ich habe vor ein paar Jahren mächtig Scheiße gebaut. Danach hat sie mein Leben praktisch in die Hand genommen und bestimmt nun so ziemlich alles was ich tue. Ich muss ein Medizin Studium machen, obwohl ich mich mehr für Theologie interessiere. Jedes erstes Wochenende im Monat muss ich nach Hause und erzählen, was in meiner Woche passiert ist, täglich kommen Anrufe."
"Klingt hart", meinte Kain betroffen.
"Kann man wohl sagen", sagte Jule verbittert und lachte trocken.
"Was war das für Scheiße?", fragte Kian, nach einem Moment der Stille, vorsichtig.
Mit Reue in den Augen schaute Jule zu ihm auf.
"Ich rede nicht gerne darüber".
"Verstehe ich. Gab es einen Grund dafür?"
"Depression. Ich wollte mich betäuben."
"Oh. Das tut mir leid."
"Muss es nicht, du kannst ja nichts dafür."
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Unexpected
ActionAbermals strich sie ihren Rock glatt und nahm noch einen Schluck aus ihrem Glas. Ihr Date war nun schon eine Viertelstunde und einen Sekt zu spät. Wieder blickte sie auf ihr Handy. Keine neuen Nachrichten. So langsam könnte er ruhig mal auftauchen...