Es ist eine Ewigkeit vergangen seit ich das letzte mal hier geschrieben habe, genau genommen sind es glaube ich zwei Jahre. Meine Ausbildung ist beendet, ich bin in das Berufsleben gestartet und es ist nicht so einfach. Ich glaube für jeden Menschen ist der Umschwung von der Ausbildung in das richtige Berufsleben eine echte Herausforderung, du trägst viel mehr Verantwortung, solltest dir deiner Sache sehr sicher sein und was für mich die größte Schwierigkeit ist: Kompetent wirken.
Wie bereits erwähnt arbeite ich im sozialen Bereich, genauer genommen als Sprachtherapeutin. Meine Patienten sind sowohl jung als auch alt. Die einen haben nur Probleme mit gewissen Lauten (Buchstaben), andere haben Schwierigkeiten die Wörter abzurufen oder Probleme damit richtig zu schlucken. Zu Beginn dachte ich, ich möchte nur mit Erwachsenen arbeiten. Kinder brauchen eine Spielverpackung, ihnen sollte schon bewusst sein, dass sie zum Üben da sind, ich habe jedoch nur wenige Kinder, zu denen ich sage "Komm, wir üben jetzt" und das Kind jubelt in Zustimmung. Bei Erwachsenen ist das anders, die wissen alle, warum sie bei mir sind und sie sind auch motiviert an ihren Defiziten zu arbeiten. Ich arbeite gerade einmal fünf Monate und schon jetzt merke ich: Kinder sind einfacher, weil sie keine Fragen zu den Hintergründen stellen. Ich weiß, warum ich die Dinge mache, die ich mache. Ich kann es aber nicht immer so professionell begründen, wie ich gerne würde. So kann es schon mal vorkommen, dass mich ein Patient mit einer Stimmproblematik fragt, warum genau wir jetzt Gurgeln und ich denke mir. Ja klar, logisch, beim Grugeln entsteht Vibration, das ist eine Massage für die Schleimhäute und eventuelle Verspannungen werden abgebaut, zusätzlich befeuchtet das Wasser... etc. So einfach ist das. Aber, in dem Moment, in dem ich das gefragt werde, fühle ich mich wie bei einer Abfrage in der Schule und ich brauche einen Moment, um mich zu sammeln. Dann kommen die ersten Gedanken "Antworte schnell, sonst denken die noch du kannst nix" - unter Druck kann ich aber nicht gut denken. Aber je länger ich zum Denken brauche, desto größer wird der Druck. Ein Teufelskreislauf! Jetzt. Hier. In Ruhe in meinem Zimmer vor meinem Laptop ist alles ganz einfach.
Bis vor einem Monat hatte ich jeden Morgen mindestens eine Panikattacke vor dem Arbeiten. Ich bin trotzdem immer gegangen (außer ich war körperlich krank). Als Sprachtherapeutin muss ich viel reden - logisch, was? Wenn ich Panik habe, ist es sehr schwierig für mich zu Sprechen. So bald ich den Mund aufmache, habe ich das Gefühl mich übergeben zu müssen. Ich habe morgens das Frühstück heruntergewürgt. Ich hatte ja keine andere Wahl. Sonst hätte ich schon nach zwei Patienten wieder Hunger bekommen. Ich war so müde, weil jede Panik mich ausgelaugt hat, aber ich habe es durchgezogen. Ich glaube, die Patienten haben nie etwas bemerkt. Nur ich habe mir den Stress gemacht. Autogenes Training war wieder angesagt, ich hatte ein Teelicht auf meinem Tisch, dessen flackern mich beruhigte. Besonders schlimm waren die Ruheübungen, die ich mit Patienten durchführen musste. Dabei lese ich einen Text mit ruhiger Stimme vor und versuche Ruhe zu vermitteln. Vermittel mal Ruhe, wenn dein Körper vor Panik kreischt. Eine echte Herausforderung. Lange habe ich mir gedacht, kein Patient will eine Therapeutin, die unter Panikattacken leidet, wie inkompetent muss ich auf sie wirken? Aber dann habe ich mir geschworen mir eine stückchenweise "Mir-egal-Einstellung" anzueignen, ich übe das jeden Tag. Ist nicht so easy, kennt ihr bestimmt. Aber, ich habe beschlossen, wenn ich nun doch mal wieder eine Attacke haben sollte (hatte ich schon länger nicht mehr vor Patienten) und ich merke es geht gar nichts mehr, dann spreche ich es an und verlasse kurz den Raum oder ähnliches. Ich bin nicht weniger kompetent, nur weil ich Ängste habe, die mich im Alltag beeinflussen können. Eigentlich bin ich durch meine Ängste in gewisserweise sogar kompetent. Ich kann auf Sorgen und Ängste anderer Menschen sehr gut eingehen und mit Verständnis reagieren. Versteht mich nicht falsch, ich will jetzt nicht jedem meine Panik auf dem Silbertablett servieren. Ich will es auch mit keinem meiner Patienten vertiefen, denn dafür sind sie nicht da. Ich will nur, dass sie wissen, warum ich total gehetzt wirke oder atme, als würde ich gleich umfallen. Damit sie Klarheit haben. Ich glaube alles andere würde meine Therapien nur schaden.
Wenn du das liest und aufgrund von Ängsten haderst, ob du deinen Traumberuf oder -hobby verwirklichen sollst. Dann kann ich dich nur ermutigen. Ich habe mich getraut, ich bin stolz und ich bereue nichts. Ich bereue nicht einmal die Zeit der Panik, sie hat mich nur stärker gemacht, weil sie mir wieder einmal gezeigt hat, dass ich mehr bin als andere von mir denken. Wir sind nicht verrückt oder sonderbar, weil wir Ängste haben. Egal, ob in Kontakt mit Menschen oder ohne. Wir sind einzigartig und normal (hihi, meine Therapeutin mag dieses Wort nicht). Und vor allem sind wir kompetent!
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Depression ist ein Arschloch und Angststörung ihr kleiner Bruder
RandomJa... noch eine Geschichte über Depression und das ganze drum herum. Aber hey, wenn du dich einsam fühlst, dann nimm diese Geschichte und denk daran: Du bist nicht allein.