Kapitel 11: Erinnerungen

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Ich wurde durch eine kühle Brise wach, welche über mich hinweg wehte. Blinzelnd öffnete ich meine Augen und sah ich kurz um. Hanma war nicht mehr neben mir aber dafür stand die Terrassentür auf. Unter Schmerzen erhob ich mich vorsichtig und richtete meine Sachen ein wenig, ehe ich barfuß auf die Terrasse kam. Hanma stand an das Geländer gelehnt da und rauchte eine Zigarette, während er die Straße unter sich beobachtete. Er trug lediglich eine Jogginghose. Ich zögerte einen Moment, während ich in der Tür stand, ehe ich zu ihm trat und meine Hände auf das Geländer legte. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie er den Kopf ein wenig hob und zu mir rüber sah.
"Du hast die erste Stunde verpasst" informierte er mich dann. Stimmt ja.... Heute war eigentlich Schule....
"Macht nichts.... Ich könnte so ohnehin nicht richtig am Unterricht mitmachen...." murmelte ich. In dem Moment richtete Hanma sich auf und drehte sich zu mir. Automatisch richtete ich mich ebenfalls auf und sah zu ihm auf. Wieder legte er vorsichtig zwei Finger unter mein Kinn und hob es ein Stück an, ehe er meinen Kopf zur Seite drehte. Seine andere Hand führte er mit seiner Zigarette zum Mund, ehe er einen Zug nahm. Dabei musterte er mein Gesicht ausgiebig. Er ließ mich wieder los und seine Augen wanderten zu meinen Armen, welche mehr lila und blau waren, als alles andere.  Er pustet den Rauch aus und lehnte sich an das Geländer.
"Du siehst ganz schön beschissen aus" stellte er trocken fest und brachte meine Mundwinkel dazu, nach oben zu zucken.
"Na herzlichen Dank für das Kompliment...." sprach ich mit einem Hauch von Sarkasmus.
Ich wollte wohl gar nicht wie ich aussah, ich fühlte mich schrecklich, das reichte mir schon. Wieder ein Zug an der Zigarette.
"Nimm ein heißes Bad. Hilft ein bisschen gegen die Schmerzen"
"Ich habe aber nichts zum anziehen hier....." murmelte ich leise. Sein Blick wanderte an mir herunter, ehe er seufzend seine Zigarette am Geländer ausdrückte und hinunter fallen ließ. Dann ging er hinein und zu seinem Schrank, welchen er öffnete. Kurz darauf holte er ein Shirt und eine Jogginghose mit Zugband heraus und warf es mir entgegen. Überrascht fing ich es auf.
"Sollte fürs erste passen" war sein einziger Kommentar dazu.
"Danke...." Er nickte lediglich zum Badezimmer, woraufhin ich darin verschwand. Ich ließ mir ein heißes Bad ein. Ich sah mich ein wenig in den schränken und Regalen um und fand tatsächlich ein paar Badezusätze und tat etwas davon ins Wasser. Während die Wanne voll lief, zog ich mich langsam aus und stellte mich dann vor den Spiegel. Hanma hatte recht, ich sah wirklich beschissen aus. Mein Gesicht war auf der linken Seite fast vollständig blau und lila, mein Auge war ein wenig angeschwollen und meine Augenbraue war aufgeplatzt. Auf der rechten Seite hatte ich eine Beule an der Stirn und eine aufgeplatzte Lippe. Über meine Wange zog sich ein langer Kratzer, welcher wohl davon kam, dass ich gegen die Schranktür und den Griff geknallt war. Meine Arme zierten ebenfalls viele blaue Flecken und Handabdrücke von den festen Griffen. Manche davon waren bereits grüngelb und fast verheilt, wurden jedoch von frischen teils überdeckt. Über die linke Seite meines Bauches zog sich ein großflächiges Hämatom bis zum Rücken. Als ich mich ein wenig umdrehte und über meine Schulter blickte, sah mein Rücken ähnlich aus, wobei die blauen Flecken und Hämatome dort wesentlich kleiner waren, da mein Rücken durch die Schränke der Küche geschützt wurde. Ähnlich meine rechte Körperhälfte. An meinem Oberschenkel befand sich ebenfalls ein riesiges Hämatom. Ich schloss für einen Moment meine Augen, ehe ich mich von meinem eigenen Spiegelbild abwandte und das Wasser ausstellte, ehe ich vorsichtig in das Wasser stieg. Im ersten Augenblick zischte ich auf und war versucht, direkt wieder heraus zu springen, doch ich biss meine Zähne zusammen und setzte mich langsam hin. Mein geschundener Körper gewöhnte sich an die Hitze und entspannte sich langsam. Hanma hatte recht, das warme Wasser half gegen die Schmerzen. Seufzend legte ich meinen Kopf in den Nacken und schloss die Augen.

Ich hatte keine Ahnung, wie lange ich so in der Wanne lag und einfach versuchte, abzuschalten, nicht an all das zu denken. Irgendwann schreckte ich jedoch durch ein Klopfen auf.
"Hey Kitty, wie lange willst du noch da drin bleiben?" Erschrocken erhob ich mich aus der Wanne.
"I-ich bin gleich da!"rief ich und schnappte mir das Handtuch, ehe ich mich abtrocknete und das Wasser abfließen ließ. Dann zog ich meine Unterwäsche wieder an und Hanmas Sachen darüber. Die Hose musste ich dabei mit dem Band besonders eng ziehen und die Beine ein gutes Stück hochkrempeln. Das Shirt ging mir bis über den Po und sah an mir fast aus, wie ein kurzes Kleid. Zum Schluss trocknete ich noch meine Haare ab, ehe ich alles in den Wäscheeimer warf und aus dem Bad kam.
"Tschuldige...."murmelte ich leise.
"Jetzt hör auf dich die ganze Zeit zu entschuldigen, das ist ja nervig"meinte er genervt. Inzwischen hatte er sich etwas richtiges angezogen. Er musterte mich kurz, ehe er auf die Sitzecke deutete, auf deren Tisch ein paar Fertignudeln standen.
"Danke..." Ich setzte mich an den Tisch und fing an, die Nudeln zu essen. Währenddessen war es still zwischen uns.
"Was hast du jetzt vor, nach dieser Scheiße?"fragte er mich schließlich. Ich hielt kurz inne, ehe ich die letzten Nudeln aufaß und dann zu ihm sah.
"Ich.....weiß nicht. Ich-"ich wurde durch das Klingeln meines Handys unterbrochen. Wir sahen beide zu dem Nachttisch, auf dem es abgelegt wurde, doch keiner von uns ging ran. Kurz darauf ging der Anrufbeantworter an. Mein Herz schlug immer schneller in meiner Brust.
"Geh an dein scheiß Handy Himari! Wo bist du?! Du kommst sofort zurück, sonst kannst du was erleben! Und wag es nicht, zur Polizei zu gehen! Ich schwöre dir, ich finde dich, scheiß egal, wo du dich verkriechst! Du kommst besser zu mir zurück, wenn ich dir dein Leben nicht zur Hölle machen soll! Du gehörst mir Himari! Wer immer mich ausgenockt hat, den mache ich fertig, bis du zu mir zurück kommst! Ich werde alle deine Freunde fertig machen, willst du das? Willst du daran Schuld sein?! Du bist selbst Schuld an deiner Situation! Du hast es kaputt gemacht!"ertönte die wütende Stimme von Lou. Ich zuckte dabei heftig zusammen. Mein Herz schlug panisch in meiner Brust und kaum legte er auf, sprang ich auf meine Beine und fing an, meine Sachen zu nehmen. Als ich zur Tür lief, wurde ich von Hanma aufgehalten, welcher sich vor mich stellte.
"Nicht dein scheiß Ernst" Ich sah panisch zu ihm auf.
"Lass mich durch, ich muss sofort zurück, sonst-"
"Nach alldem willst du einfach zu ihm zurück gehen? Sag mal hat er dir das Hirn raus geprügelt oder bist du gar nicht so schlau, wie du immer tust?" Ich öffnete meinen Mund, um zu widersprechen, doch er ließ mich nicht zu Wort kommen.
"Glaubst du wirklich, dass er sich ändert?"
"Darum geht es doch gar nicht......wenn ich nicht gehe, dann wird er-"
"Wird er gar nichts. Der Pisser blufft nur. Und selbst wenn nicht, was soll denn passieren? Er ist allein, wir sind 300"
"Aber Tami-"
"Tami ist bei Chome. Meine Fresse Himari, er hat verloren, sobald er sich gegen uns stellt und das hat er schon. Wenn du dich jetzt verpisst, brauchst du nie wieder zu kommen. Streng gefälligst deinen beschissenen Schädel an" Ich senkte meinen Kopf und sah zu Boden und schwieg ein paar Sekunden, ehe ich entschlossen zu ihm aufsah.
"Tut mir leid.....ich kann das nicht riskieren"flüsterte ich, ehe ich an ihm vorbei aus der Wohnung ging. Eilig lief ich barfuß die Treppen hinunter und aus dem Gebäude. Draußen angekommen, lief ich schnellstmöglich zur Bahnstation. Mein Körper streikte sehr schnell und fing an, zu schmerzen. Auf dem Weg kamen mir die Erinnerungen an den Shoppingtag mit Tami wieder in den Sinn und wie ich panisch versucht hatte, meinen Klassenkameradinnen aus dem Weg zu gehen. Ich erinnerte mich daran, wie Hanma dafür gesorgt hatte, dass sie die Rückseite seiner Jacke sahen, die ich trug. Dann tauchten die Erinnerungen daran auf, wie ich sie das erste Mal tragen sollte und wie mich die beiden Typen angemacht hatten, bis sie die Jacke gesehen hatten. Und dann hörte ich plötzlich die Stimme von meinem Chef. Walhalla zeigt man nicht einfach so an, Kindchen. Die bekommt sowieso niemand gepackt. Solange wir ihm geben, was er haben will, tut er uns nichts. Dann hörte ich Hanmas Worte von dem Tag, an dem ich erfahren hatte, dass er Walhallas Anführer ist. Wenn ihr hier......etwas zustoßen sollte, prügel ich euch höchst persönlich die Scheiße aus dem Leib. Und ihr könnt mir glauben, wenn ich euch sage, dass ich darin ziemlich gut bin. Mir kam der Tag in den Sinn, an dem ich in den Kampf hineingeraten bin und wie alle mich beschützt hatten. Ich hielt inne. Meine Hand lag bereits am Griff in der Tür der Bahn und ein Fuß stand bereits in dieser, während der andere noch draußen stand. Sie hatten mich beschützt, mit allem, was sie hatten. Ob sie mich nun kannten oder nicht. Und das nur, weil Hanma es gesagt hatte.
"Hey Mädchen, was ist jetzt, willst du mit oder nicht?!"rief ein Passagier aus der Bahn, wodurch ich aus meinen Gedanken gerissen wurde. Sofort ging ich einen Schritt zurück und kurz darauf fuhr die Bahn los. Ich sah ihr hinterher. Alter, wenn ihr was passiert sind wir alle am Arsch, also strengt euch mal ein bisschen an! Ich schloss kurz die Augen. Dann öffnete ich sie entschlossen wieder und machte auf dem Absatz kehrt. So schnell, wie ich in meinem Zustand konnte, lief ich den ganzen Weg wieder zurück.

'Cause I felt safe in your arms.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt