Jisung.
Überforderung, beinahe Panik, das war es, was meinen Körper überlagerte und mich dazu verdammte auf die Toilette zu flüchten.
Ich wusste nicht einmal warum ich mein Tablett einfach auf dem Tisch abgelegt hatte und mich aus dem Staub machte. So war ich nie gewesen und wollte es auch nie sein. Schon gar nicht, wenn ich eigentlich Hunger hatte und mein Mittagessen nun ganz alleine auf einem der unzähligen Tische verweilte und wahrscheinlich dazu verdammt war nie mehr angerührt zu werden.
Mein Magen knurrte, als ich die Tür des Männerklos aufzog und hineintrat.
Ich fand mich vor dem großen Spiegel über den drei Waschbecken wieder und betrachtete mein angespanntes Gesicht.
Ich seufzte.Minho musste irgendwelche Spielchen mit mir spielen, denn das war die einzig sinnvolle Begründung dafür, dass er mich nicht einfach in Frieden lassen konnte. Ich war zwar vorlaut gewesen, dem war ich mir bewusst, besonders weil ich es früher nicht anders gewohnt war, denn damals sagte ich einfach das, was mir im Kopf herumschwirrte, jedoch war ich überzeugt davon gewesen, dass der Braunhaarige und ich quitt wären.
Er war der beliebteste Schüler der Schule – die legten keinen Wert auf Neuankömmlinge. So sollte Minho doch denken, stimmt's?
Also, warum war er anders?Ich raufte mir schweratmend meine Haare, ehe ich mich an die Waschbeckenkante stützte, um mich im nächsten Moment dramatisch über mein Leben zu beschweren, welches bereits am ersten Tag den Bach herunterlief, jedoch bereute ich dies direkt im nächsten Moment, als ich das schlimm zugerichtete Waschbecken betrachtete. Vereinzelte Haare, etwas Blut und Fetzen von Klopapier umgeben von unglaublich viel Kalk ließen mich angeekelt und zugleich erschrocken zurückweichen und meine Hände am nächsten Waschbecken säubern.
Es war ironisch, dass es noch schlimmer kommen musste, sobald man auch nur daran dachte, dass das Leben den Bach runterlief.
So stand ich nun vor dem danebenliegenden Waschbecken und betrachtete wieder einmal mein Gesicht. Meine Hände waren eisig wegen des Wassers geworden, mein Blick erschöpfter.
Während ich mir wie automatisch auf die Lippen biss, dachte ich nach, wie ich meine Mahlzeit bekommen könnte ohne noch einmal auf Minho und seinen Komplizen in Cap und Bomberjacke zu treffen.
Und als wäre ich gefangen in einem dramatischen Liebesfilm, welcher es darauf ansetzte, dass die Verliebten, was in meiner Welt ganz sicher nicht Minho und ich sein sollten, immerzu aufeinander treffen, wenn der Zeitpunkt wieder einmal stimmte, öffnete sich bei diesem Gedanken ein weiteres Mal die Tür der Jungstoilette.
Mit einem erschrockenen Blick blitzte mein Kopf in die besagte Richtung, und als ich dann erkannte wer vor mir stand, erstarrte mein Körper für einen kurzen Augenblick.
»Felix!«
»Oh, Jisung! Mit dir hatte ich nicht gerechnet.«, er lächelte mich fröhlich an, während seine Augen etwas schmaler wurden; es schien als würden seine Sommersprossen ebenfalls mitlachen.
Augenblicklich drehte ich mich vom Spiegel weg, versuchte mir nichts anmerken zu lassen und blickte den Blondschopf vor mir an. »Also hattest du mit jemand bestimmten gerechnet?«, spaßte ich herum, er verdrehte spielerisch genervt seine Augen und stupste mir leicht gegen meinem Arm.
»So war das nicht gemeint. Ich war bloß überrascht dich zu sehen.«, er hielt kurz inne und sprach dann weiter; ein neckender Unterton veränderte seine Stimme etwas: »Schließlich treffe ich von allen Schülern hier auf den süßen Neuling.«, er lachte direkt, um zu signalisieren, dass er das nicht als schwammige Anmache meinte und ich verstand. Dennoch ließ es mich verlegen werden, weshalb ich anfing mit meinem Kreuzohrring zu spielen, welchen ich immer unterbewusst berührte, um entspannter zu werden.
Scheinbar bemerkte Felix dies, denn seine Schokoladenaugen wanderten zu meinem Ohr und betrachteten den Silbernen Schmuck, welcher eine tiefgründige Bedeutung verbarg.
»Der Ohrring, den du da trägst... der ist wirklich schön.«, er zeigte zurückhaltend mit dem Finger auf diesen. »Und sehr individuell ihn nur auf einem Ohr zu tragen, dabei gehe ich davon aus, es gab zwei von der gleichen Sorte?«, er wollte näher kommen, den Kreuzanhänger wahrscheinlich sogar berühren, als ich plötzlich erschrocken zurückweichte.
Mein Hals schnürte sich zusammen, als der Blondschopf nichtsahnend anfing draufloszureden. Mir wurde unwohl.
Noch nie hatte jemand meinen Ohrring erwähnt. – Warum auch? Dieser schien immer unscheinbar für die anderen Menschen gewesen zu sein, da er äußerlich nichts besonderes an sich hatte, dabei bedeutete dieser das komplette Gegenteil für mich.
Kurz herrschte Stille.
Unsere Augen verloren sich im Raum und es schien als wollte Felix etwas sagen, jedoch ertönte seine bemerkenswert tiefe Stimme nicht.Ich bemerkte wie sich Verwirrung und Anspannung im Raum ausbreitete, doch setzte dann trotzdem wieder zum sprechen an: »Nein. Es gibt keinen zweiten Ohrring. Den wird es auch niemals geben.«, meine Stimme war plötzlich zurückweisend und kalt; beinahe eisiger als meine Hände, jedoch fand Felix durch einen einzigen Blick in meine Augen einen Weg durch diese Kälte und verstand, dass dies nicht als Abweisung gemeint war.
»Verstehe, er ist also einzigartig.«, er trat einen Schritt zurück; signalisierte mir indirekt, dass er keine Anstalten mehr machte, den Ohrschmuck berühren zu wollen.
»War es ein Geschenk?«Als die Frage den Raum erhellte, wanderte es eiskalt meinen Rücken herunter und jeder Muskel meines Körpers spannte sich schmerzvoll an. Ich war wütend – nicht auf Felix, viel eher auf mich selbst und die Situation, in welche ich gerade geraten war.
Ich wollte fliehen, irgendwohin, und die Jungstoilette wäre dafür der perfekte Ort gewesen, würde ich nicht bereits in dieser stehen. Es schien als würde ich schon den ganzen Tag weglaufen und nun keinen Zufluchtsort mehr übrig haben.
Als sich plötzlich die Tür hinter dem Sommersprossen-Jungen ein letztes Mal öffnete, brauchte ich nicht einmal einen weiteren Moment, in welchem sich mein Körper von selbst aktivierte und einfach aus dem Raum stürmte.
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1 MONTH ・ minsung
Fanfic➠ Eine Wette, eine Aufgabe und genau ein einziger Monat; das war es anfangs für den berüchtigten Minho gewesen, den beliebtesten Jungen der Schule und der Schwarm aller Mädchen, die ihm nur so zu Füßen lagen. Doch woher sollte dieser schon wissen...