Versunken im Schlamm

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Der Hieb, den Jonathan erwartete, kam nicht. Er hörte einzelne Schritte und es schien ihm, als habe Lucius den Lederriemen zur Seite gelegt. „Wenn ich weitermache, werden die Wunden zu tief", sagte er leise, seine Stimme klang dabei weich und verletzlich. „Und das wäre schade um deinen schönen muskulösen Rücken."

Jonathan richtete sich auf und versuchte dabei so zu tun, als ob die Prügel spurlos an ihm vorüber gegangen wären. Er wandte sich Lucius zu. Der schien auf einmal unsicher. „Es tut mir leid", flüsterte Lucius und nach einer kleinen Pause: „Ich hätte das nicht tun dürfen."

„Nein", widersprach ihm Jonathan entschlossen und fügte etwas zu laut hinzu: „Ich hätte dich nicht in eine solche Situation bringen dürfen." Dabei legte er die Hände auf die Oberarme des anderen und hielt ihn fest. „Aber dafür ist es jetzt zu spät." Eine Zeit blieb es still. Jonathan spürte, wie das Blut in seinem Rücken pulsierte und es kostete ihn Kraft, vor Lucius den Helden zu spielen. „Du hast mir geholfen, ehrlich."

Lucius zuckte hilflos mit den Schultern. Tatsächlich hatte er Jonathan helfen wollen. Aber war das die ganze Wahrheit? Hatte er an ihrem Rollenspiel nicht auch einen  Reiz gefunden, vielleicht sogar eine Art Lust? Unwillkürlich senkte Lucius den Blick.

"Ich habe endlich verstanden, dass es nichts hilft, wenn ich mir selbst leid tue oder auf Strafe hoffe", hörte er Jonathan sagen. "Ich muss etwas verändern und ich werde so schnell wie möglich damit beginnen."

Mit einem Mal begriff Lucius, dass die Nähe zwischen ihnen unangemessen war. Und doch tat er nichts, um sie zu beenden. Der kräftige, unnachgiebige Griff, mit dem Jonathan seine Arme festhielt, tat ihm gut. Er ließ seinen Blick über den nackten Oberkörper des anderen schweifen. Am linken Rippenbogen waren die Ausläufer einzelner Striemen zu sehen, die sich Jonathan selbst zugefügt hatte. Manche waren aufgeplatzt und hatten eine feine Blutspur hinterlassen. Etwas tiefer entdeckte Lucius eine breite, sauber verheilte Narbe. Wie von einem Gladius, ging es ihm durch den Kopf. Es gab Gerüchte um Jonathans Vergangenheit, und Lucius wusste, dass Calvus gezögert hatte, ihn als Schüler zu akzeptieren.

"Ich werde dafür sorgen, dass zumindest die Brüder von meinem Knecht ein besseres Leben führen." Erst jetzt wurde Lucius bewusst, dass Jonathan die ganze Zeit mit ihm gesprochen hatte. Ich hätte zuhören sollen, dachte er, doch zugleich war es ihm einerlei. Ohnehin verstand er von all den Worten, die so plötzlich aus Jonathan hervorsprudelten, reichlich wenig. "Oder ich werde Geld verdienen, damit Silas Mutter nicht in Armut leben muss. Und ich werde Tabitha erklären, warum ich fort gegangen bin und dass es nicht daran gelegen hat, dass ich sie nicht über alles geliebt hätte."

Lucius stand still und unbeweglich. Er sah, wie sich Jonathans Brustkorb hob und senkte. Im Raum war es still. Von draußen erahnte man die Geräusche der Straße, der Menschen, die sich am Weg nach Hause befanden. Mit der Zeit wurde ihm leichter. Jonathan hielt ihn noch immer fest, der verschwitzte Stoff der Tunika lag kalt auf seiner Haut. Irgendwann hörte Jonathan zu reden auf und wie auf ein geheimes Zeichen umarmten sie einander. Die Geste war steif und unbeholfen, was nicht zuletzt daran lag, dass Lucius bemüht war, den Rücken des anderen so wenig wie möglich zu berühren.

„Du bist doch mein Freund?", meinte Jonathan mit fester, warmer Stimme und Lucius musste einen Moment warten, bevor er antwortete, denn er hatte seine Emotionen kaum noch unter Kontrolle. „Ich dachte, du fragst nie", erwiderte er schließlich und das Zittern, das in seinen Worten mitschwang, passte ganz und gar nicht zum Stil eines Calvus-Schülers.

Kurz darauf verließen Jonathan und Lucius die Rhetorikschule. Es regnete in Strömen und mit einem Blick auf die tiefen braunen Pfützen entschied Jonathan, dass er erst gar nicht versuchen würde, den sumpfartigen Wasseransammlungen auszuweichen.

Priester und KönigeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt