Im Haus des Josephus

30 12 0
                                    

Im Haus des Josephus angekommen ließ er sich von einem Diener die Füße waschen, jedoch nicht beim Umkleiden helfen. Vielmehr legte er die völlig durchnässte Tunika erst ab, als er allein in seinem Zimmer war. Das Feuer, das in der eisernen Feuerschüssel brannte und das die Sklaven unermüdlich mit Brennholz fütterten, hatte es in den letzten Wochen nicht geschafft, die Feuchtigkeit zu besiegen. Die nassen Kleider, die Jonathan nun neben der Feuerstelle aufhängte, würden nicht gerade dazu beitragen, die Lage zu verbessern. Bevor er sein Unterkleid auszog, zögerte er einen Moment. Er hatte es sich in der Rhetorikschule hastig übergeworfen und nicht darauf geachtet, dass das frische Blut auf seinem Rücken noch nicht getrocknet sein konnte. Was sollte er nun damit tun? Vorsichtig schlüpfte Jonathan aus dem dünnen weißen Stoff. Es waren nur einzelne rote Striche zu sehen, denen man beim Waschen wohl Herr geworden wäre. Doch die Zeichnung war allzu verräterisch und konnte unmöglich von einer zufällig zugezogenen Verletzung stammen.

Behutsam legte Jonathan das Unterkleid zusammen, dann hielt er es über das Feuer und beobachtete, wie die Flammen bei der ersten Berührung mit dem Stoff höher loderten. Erst als ihn die Hitze zu schmerzen begann, ließ er das Hemd los und trat einen Schritt zurück, denn das feuchte Gewebe wollte nicht brennen, ohne zuvor eine ansehnliche Rauchwolke erzeugt zu haben. Wie ein Brandopfer, ging es ihm durch den Kopf und im selben Moment kam ihm ein reizvoller Gedanke.

„Herr, Gott Israels", sagte er leise, „ich verbrenne dieses Stück Stoff als Zeichen dafür, dass eine neue Zeit angebrochen ist." Er überlegte kurz. „Ich werde leben, ohne mich schuldig zu fühlen. Ich werde verändern, was ich verändern kann, und hinnehmen, was sich nicht ändern lässt. Ich gelobe, dass ich dir allein gehorchen werde." Dann schwieg er und beobachtete noch eine Weile die Flammen. Erst als ihm der Gedanke kam, es könnte bald ein Sklave eintreten und neues Feuerholz bringen, zog er sich an und setzte sich an seinen Schreibtisch. Es war Abend, aber Jonathan war noch nicht müde. Auch erwarteten ihn im Schlaf doch nur die Albträume und auch die frischen Striemen auf seinem Rücken würden der Nachtruhe nicht besonders förderlich sein. Ich gehe zurück nach Jerusalem, sagte er sich und wusste dabei doch, dass sich dies nicht von einem Tag auf den anderen bewerkstelligen lassen würde. Die Rückkehr in seine Heimat musste gut geplant sein und würde einiges an Zeit und Anstrengungen in Anspruch nehmen. Aber etwas zumindest konnte er noch an diesem Abend tun. Er konnte damit beginnen, seine Meinung zu vertreten.

Entschlossen nahm Jonathan ein Wachstäfelchen in die Hand und begann, die oberste Schicht Wachs abzuschaben, bis dass die Buchstaben und Wörter völlig verschwunden waren. Es war der alte Entwurf einer Hausarbeit, die er für die Rhetorikschule anfertigen sollte. Die Übung war schon recht weit gediehen, aber die Fragestellung erschien ihm nun nichtssagend. Vom Verhältnis zwischen Lex Aeterna und Lex Naturalis. Von jetzt an werde ich Themen wählen, bei denen es wirklich um etwas geht, sagte sich Jonathan. Er überlegte kurz. Die Agrarreform. Oder besser: eine Oratio darüber, warum es Pompeius noch nicht gelungen ist, die Getreideverteilung neu zu organisieren. Einen Moment zögerte er, ob Calvus das Thema zulassen würde, denn in seiner Lage war es nicht ungefährlich, römische Politiker zu kritisieren. Außerdem war Pompeius nicht gerade dafür bekannt, dass er gut mit Widerspruch umgehen konnte. Und wenn schon, dachte Jonathan und machte sich an die Arbeit. Noch bevor er richtig nachzudenken begonnen hatte, war sein Kopf bereits voll mit Argumenten und bald darauf auch die Wachstafel.

Plötzlich klopfte es an der Tür. Auf Jonathans „Intrate!", zeigte sich ein junger Sklave, der ihm mitteilte, dass der Herr nach Hause gekommen sei und ihn zu sprechen wünsche. Jonathan war nicht gerade begeistert, denn er hätte gerne weiter an seiner Oratio gearbeitet. Außerdem war er am Abend eines anstrengenden Tages, der ihm einiges abverlangt hatte, nicht besonders neugierig auf die langatmigen Ausführungen zur römischen Politik, die nun auf ihn zukommen würden. Trotzdem stand er auf und folgte dem Sklaven in das Arbeitszimmer seines Onkels.

Obwohl Josephus wie üblich mit seiner überdachten Sänfte unterwegs gewesen sein musste, war er durch und durch nass, was ihn selbst aber nicht zu irritieren schien. Während ein paar Diener gerade damit beschäftigt waren, ihm wenigstens die triefende Toga auszuziehen und notdürftig das Haar zu trocknen, jammerte seine Frau Hanna, dass er sich doch baden oder zumindest umziehen solle, weil er sich ansonsten mit Sicherheit den Tod holen würde. Josephus wirkte seltsam gespannt und quittierte die Klagen seiner Frau nur mit einem genervten Handzeichen.

„Wo ist Tullius, mein Sekretär, ich habe einen Brief zu diktieren", stieß er im Befehlston hervor, wobei nicht klar war, an wen sich seine Worte richteten.

Als er Jonathan entdeckte, hellte sich seine Miene ein wenig auf. „Gut, dass du da bist, Junge", sagte er. „Wir haben Wichtiges zu besprechen." Er ließ sich auf dem Sessel hinter seinem Schreibtisch nieder und sah seinem Neffen dabei forschend in die Augen. Jonathan fühlte sich unwohl und fragte sich insgeheim, ob der Onkel etwas von dem erfahren haben konnte, was sich am Abend in der Rhetorikschule abgespielt hatte. Während er noch überlegte, wie er sich in diesem Fall verhalten sollte, begann Josephus einige Wachstafeln und Papyrusfolien durchzusehen, die auf seinem Schreibtisch lagen. Zumindest er selbst muss seinen Code lesen können, dachte Jonathan zynisch.

„Lasst uns allein", befahl Josephus und der Raum leerte sich augenblicklich. Im Hinausgehen schimpfte Hanna noch ein bisschen vor sich hin, sah dann aber wohl ein, dass sie sich dieses Mal dem Willen ihres Mannes beugen musste. Jonathan betrachtete geistesabwesend den großen hölzernen Tisch mit den kunstvoll gestalteten Intarsien, hinter dem der Onkel beinahe zu verschwinden schien. Die Tischbeine waren aus drei sich windenden Säulen, die sich auf eine Mitte hin öffneten und eine ganze Reihe von Schubladen stützten. Eine raffinierte Konstruktion, hinter der sich mit Sicherheit einige Geheimfächer befanden.

„Heute ist ein schlimmer Tag, Jonathan", begann Josephus und Jonathan spürte, dass er errötete. „Du kennst den Auletes, nehme ich an?"

Priester und KönigeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt