Thyra

27 12 2
                                    

Alphäus ging noch ein paar Schritte weiter, dann klopfte er an ein schmales Holztor. „Ihr werdet erwartet, Herr", erklärte er knapp.

Die ersten Worte, die er mit mir gewechselt hat, sagte sich Jonathan und sah sich angestrengt im Dunkeln um. Er hatte völlig die Orientierung verloren. Zwar bildete er sich ein, dass sie den Esquilin hinaufgestiegen waren, doch je mehr er darüber nachdachte, desto unsicherer erschien ihm auch das. Zumindest konnte er erkennen, dass die Tür, vor der sie standen, der Seiteneingang einer großen Villa sein musste. Bei den Mauern, denen sie gefolgt waren, konnte es sich folglich nur um die Einfriedung der Gartenanlage handeln. Ein stattliches Anwesen, kommentierte Jonathan innerlich. Da öffnete eine junge Frau die Tür. Sie war leicht bekleidet und die Gier, mit der Alphäus ihre Brüste anstarrte, erschien Jonathan derart abstoßend, dass er ihn beinahe zurechtgewiesen hätte. Willst du jetzt schon die Ehre einer Dirne verteidigen, spottete er über sich selbst, nickte dem Diener knapp zu und folgte der zierlichen Gestalt in einen lang gezogenen, von Fackeln beleuchteten Gang.

An den Wänden hingen Teppiche, die Jagdszenen zeigten, und in den kleinen Nischen standen Götterstatuen oder Büsten von römischen Adeligen. Vermutlich die Ahnen des Hausherrn, dachte Jonathan gleichgültig. Er hatte keine Ahnung, was ihn hier erwarten würde. Aber die Tatsache, dass es sein Onkel gewesen war, der ihm befohlen hatte, mit Alphäus mitzugehen, gab ihm die Gewissheit, dass die Dinge irgendwie ihre Ordnung haben mussten. Vielleicht möchte er einfach, dass ich mich amüsiere, überlegte er und das lustvolle Stöhnen, das aus den Kammern drang, an denen sie vorbeikamen, schien seine Vermutung zu bestätigen. Sie hatten nun einen großen, kreisrunden Salon erreicht. Die junge Frau zeigte auf eine noch freie Sitzgruppe und machte eine einladende Geste. Jonathan setzte sich und wartete, was weiter passieren würde.

Zwischen zwei Säulen stand eine Handvoll Musiker, die mit ihren Flöten schwere langsame Melodien spielten. Immer wieder hörte man lautes Lachen wie auf einer Festgesellschaft. Außer ihm waren an die zwanzig Männer im Raum, die in kleinen Gruppen beisammensaßen, aßen, redeten oder sich mit den Dirnen die Zeit vertrieben. Einige waren Römer, großteils wohl Adelige, denn ihre reich verzierten Gewänder und der Schmuck, den sie trugen, sprachen eine eindeutige Sprache. Andere waren hingegen Griechen, wieder andere Ägypter. Die Art und Weise, wie sie ihr Haar trugen, war unverkennbar. Niemand schien sich für Jonathan zu interessieren. Sklaven brachten große silberne Tablette mit köstlichen Speisen zu den Tischen und in einer der Nischen zeigten Akrobaten ihr Können. Die junge Frau an seiner Seite hatte unterdessen Wein eingeschenkt. Jonathan nahm den Kelch und trank, auch das ohne große Überzeugung. Ein guter, ein teurer Wein, sagte er sich. Es konnte also kein gewöhnliches Freudenhaus sein.

„Wo sind wir?" fragte er die junge Frau unverblümt. Die schwieg und zuckte wie zur Entschuldigung mit den Schultern.

„Das darf ich nicht sagen, Herr", antwortete sie. Dabei setzte sie sich neben Jonathan und schmiegte sich eng an ihn.

Jonathan rutschte an das andere Ende der Kline, denn er hatte nicht die geringste Lust, dem Beispiel der übrigen Gäste zu folgen. Auch am Weg zur Rethorik-Schule war er immer wieder von jungen Frauen angesprochen worden, deren kurze Röcke und spärlich bedeckte Brüste keinen Zweifel daran ließen, von welcher Art ihr Interesse an ihm sein konnte. Zunächst schmeichelten sie mit süßen Worten, doch sobald sie begriffen, dass mit einem Mann kein Geschäft zu machen war, beschimpften sie ihn als Cinaedus oder Cacatus. Am Anfang hatte sich Jonathan noch in seinem Stolz gekränkt gefühlt, doch mit der Zeit hatte er sich auch daran gewöhnt.

Er nahm die Hand, die gerade ungebeten unter den Stoff seiner Tunika geglitten war, und legte sie mit Nachdruck in den Schoß des Mädchens zurück.

„Wie heißt du?" erkundigte er sich.

„Thyra", antwortete sie und ihr Lächeln schien ihm für einen kurzen Augenblick leicht und natürlich.

„Wie alt bist du?" fragte er weiter und betrachtete dabei das kunstvolle Mosaik, welches den Fußboden zierte. Römischen Legionen, die ihre Feinde niederstachen. Das kennen wir schon, dachte Jonathan bitter und mit einem Mal waren die Bilder der Schlacht wieder in seinem Kopf. Es war kein Kampf, sagte er sich, es war ein Gemetzel.

„Das hat noch keiner wissen wollen", entgegnete Thyra und holte Jonathan damit aus seinen Gedanken zurück in die Realität. Er sah ihr kurz in die Augen. Sie wirkte unsicher und zuckte wieder mit den Schultern.

„Darfst du das auch nicht sagen?" fuhr er sie grob an und stand auf. Er wollte seine Ruhe haben und ärgerte sich längst darüber, dass er dem Wunsch seines Onkels Folge geleistet hatte. Auch Thyra erhob sich und folgte Jonathan. Als er stehen blieb, legte sie ihre Arme um seine Schultern und schlang ihr nacktes Bein verführerisch um seinen Oberschenkel. Jonathan schob sie ein Stück von sich fort.

„Du bist ein sehr schönes Mädchen, Thyra", stellte er mit Nachdruck fest. „Aber ich werde nicht bei dir liegen." Thyra sah ihn überrascht, beinahe bestürzt an. Ihre Augen waren unruhig und schienen außer auf Jonathan noch auf ein anderes Ziel gerichtet zu sein. Auch Jonathan sah sich um. Erst jetzt bemerkte er einen großen, klobigen Mann, der an einer Säule lehnte und mit strengem Blick das Tun der Mädchen beobachtete.

„Ach Herr", flüsterte Thyra bittend, „könnt ihr denn gar nichts mit mir anfangen?" Und als er nicht gleich antwortete, fügte sie hinzu: „Ich mache alles, was ihr wollt. Auch die Dinge, die Frauen nicht gefallen." Jonathan wich noch einen Schritt zurück. Er sah, wie Thyra angsterfüllt zu dem Mann schielte, der die jungen Frauen mit seiner bloßen Anwesenheit unter Kontrolle zu halten schien. Sie griff nach seiner Hand und hielt sie fest. Wie ein Kind, das Schutz sucht, schoss es ihm durch den Kopf, nicht wie eine Hure, die einen Mann verführen will. „Bitte, Herr, schickt mich nicht fort", flehte sie ihn an. „Mein Meister ist sehr streng. Er wird denken, ich hätte mir keine Mühe gegeben."

Er wird sie bestrafen, sagte sich Jonathan und konnte das Mitgefühl, das er schon zuvor für das Mädchen empfunden hatte, mit einem Mal nicht mehr verdrängen. „Also gut", erwiderte er und zog sie etwas näher zu sich heran. „Aber nur zum Schein." 

Thyra fügte sich leicht in seine Geste und ihr stark geschminktes Gesicht strahlte vor Erleichterung. Gemeinsam hockten sie sich auf den Rand des Tricliniums, auf dem sie auch zuvor schon gesessen waren. Jonathan nahm sich ein paar Pölster und stapelte sie so, dass er den Oberkörper bequem nach hinten lehnen konnte. Während er noch überlegte, was genau er Thyra erlauben würde, war sie schon auf seinen Schoß geklettert und bewegte ihr Becken in sanften kreisenden Bewegungen über seinem Geschlecht. Jonathan wusste nicht, was er mit seinen Händen anfangen sollte. Also legte er sie Thyra auf die Hüften, denn das schien ihm immer noch am unverfänglichsten.

Im Unterschied zu den meisten jungen Männern aus dem Jerusalemer Adel war er noch nie mit einer Frau zusammen gewesen und das obwohl Schlomo immer wieder die eine oder andere besonders hübsche Sklavin zu seinem Sohn ins Zimmer geschickt hatte. Natürlich wäre Jonathan neugierig gewesen und natürlich quälte ihn der Gedanke, kein richtiger Mann zu sein, wenn er lediglich die Zeit verstreichen ließ und den Mädchen von der Geschichte Gottes mit seinem geliebten Volk erzählte. Doch egal von welcher Seite er die Sache betrachtete, er konnte nichts Rechtes daran finden. Wie konnte er erwarten, dass sich Tabitha eines Tages als Jungfrau zu ihm legen würde, wenn er selbst seinen Lüsten keinen Wunsch vorenthalten hätte. Und was war mit den Sklavinnen, die keiner gefragt hatte, ob es ihnen gefiel, sich ihrem Herrn hinzugeben? Es war keine einzige dabei, der Jonathan die Angst nicht angesehen hätte, geschweige denn die Erleichterung, wenn sie begriffen, dass er sie unbehelligt wieder gehen lassen würde.

Priester und KönigeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt