Ein aramäischer Gruß

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Während sich Jonathan von seinen Gedanken treiben ließ, wurden die Bewegungen der jungen Frau immer fordernder. Die leichte Berührung hatte sich in einen sanften Druck gewandelt und allmählich konnte Jonathan nicht mehr leugnen, dass das, was er empfand, Lust und Erregung war. Er ließ seine Hände etwas weiter nach unten gleiten und musste für einen Augenblick die Luft anhalten, so unerträglich stark war der Wunsch, Thyra noch näher zu sein, sich ganz mit ihr zu verbinden.

„Nein", stieß er leise und hilflos hervor. „Bitte nicht."

„Habe ich etwas falsch gemacht?" fragte Thyra besorgt und hielt kurz in der Bewegung inne. Nur der Stoff seines Subligaculums trennte seinen Körper von dem ihren. Ihre gespreizten Oberschenkel waren weich und einladend. Jonathan ließ seinen Kopf nach hinten in die Kissen sinken und schloss für einen Augenblick die Augen.

„Nein", meinte er. „Du machst es sogar zu gut."

„Wie kann das sein, Herr?", erwiderte Thyra, merklich verwirrt. Jonathan musste schmunzeln und stellte zugleich zufrieden fest, dass seine Erregung jetzt, wo sie miteinander sprachen, allmählich nachließ.

„Du sollst mir kein Vergnügen verschaffen", gab er beinahe zärtlich zurück und ergänzte wie zur Erklärung: „Wir wollen verhindern, dass dein Herr dich bestraft. Nicht mehr und nicht weniger."

In dem Moment hörte Jonathan eine tiefe männliche Stimme und erschrak: „Di chochmeta ugeboreta di leh haante, Jonathan ben Schlomo." Es war die typische aramäische Grußformel, die Weisheit und Gerechtigkeit wünschen sollte, und der Mann, der ihn angesprochen hatte, kannte offensichtlich seinen Namen. Jonathan setzte sich ruckartig auf. Auch Thyra rutschte sofort von seinem Schoß und strich das kurze Stück Stoff glatt, das ihre Hüften bedeckte.

„Min qeschet anah Jonathan ben Schlomo?", gab Jonathan hart zurück. Wer sagt euch, dass ich Jonathan ben Schlomo bin? Der andere lehnte unmittelbar vor ihm an einer Marmorsäule und spielte selbstgefällig mit dem Weinkelch in seiner linken Hand. „Umi ante, Mare?" Wer seid ihr, Herr?

Anstatt zu antworten nahm der Mann einen kräftigen Schluck Wein. Jonathan versuchte seine Aussprache einer Region zuzuordnen, doch es wollte ihm nicht recht gelingen. In Judäa konnte der Fremde sein Aramäisch nicht gelernt haben, denn dann hätte er die Zischlaute stärker betonen müssen. Und gegen eine galiläische Herkunft sprach die weiche Satzmelodie. 

„Ich hoffe, ihr amüsiert euch gut bei uns", setzte der Fremde da in beinahe akzentfreiem Griechisch zu sprechen fort und mit einem abschätzigen Blick auf Thyra meinte er: „Wie ich sehe, habt ihr Gesellschaft gefunden?"

Jonathan musterte den Mann, der vor ihm stand. Er hatte ungefähr seine Größe, breite Schultern und einen muskulösen Oberkörper. Seine schwarzen Locken waren kurz geschnitten und wurden von einem goldenen Haarreifen nach hinten gehalten. Er hatte feine Gesichtszüge und kluge Augen, doch in seinem Gehabe lag so viel Selbstgefälligkeit und Überheblichkeit, dass es Jonathan leicht fiel, ein klares Urteil zu treffen. Auch trug er übertrieben viele goldene Ringe. Die Edelsteine, die sie zierten, waren deutlich zu groß und offensichtlich ohne jedes Gespür für Formen oder Farben ausgewählt worden. Jonathan stand auf und wollte sich zum Gehen wenden.

„Aber nein, bleibt sitzen, Jonathan ben Schlomo", säuselte der Fremde mit einer affektierten Freundlichkeit. „Ich werde mich zu euch gesellen." Er machte einen Schritt auf Jonathan zu, packte Thyra grob an den hochgesteckten Haaren, zerrte sie hoch und stieß sie unfreundlich zur Seite. „Na los, verschwinde, du Drecksstück!", fuhr er sie an. „Wir können dich nicht brauchen."

„Das sehe ich anders", widersprach Jonathan scharf und der dankbare Blick, den Thyra ihm zuwarf, berührte ihn.

„Gewiss", erwiderte der andere schmeichelnd und wandte sich nun deutlich freundlicher an die junge Frau: „Warte, bis wir dich rufen. Du kannst dich später noch nützlich machen." Thyra verbeugte sich tief und ging dann zu einer Gruppe von Gästen, die in der Nähe der Tür beisammen saßen.

„Ich bin euch dankbar, dass ihr gekommen seid, Jonathan ben Schlomo. Der alte Josephus hat mir viel von euch erzählt." Bei seinen letzten Worten hatte sich der Mann auf einer Kline niedergelassen und Jonathan gedeutet, seinem Beispiel zu folgen. Jetzt, wo sie einander gegenüber saßen, fiel mehr Licht auf das Gesicht des Fremden und Jonathan konnte erkennen, dass sie nicht nur die gleiche Statur, sondern in etwa auch das gleiche Alter haben mussten. Beides war ihm in dem Moment reichlich gleichgültig. Der andere kannte seinen Namen und mehr noch, er hatte mit Josephus über ihn gesprochen. War die erste Tatsache für Jonathan schon irritierend genug, fand er die zweite jedenfalls mehr als beunruhigend.

Im Lauf des letzten Jahres war ihm immer wieder bewusst geworden, dass das Leben in Rom für einen ehemaligen Rebellen durchaus nicht ungefährlich war. Zwar hatte Schlomo die zuständigen Behörden in Jerusalem bestochen, doch Rom war eine Schlangengrube und es gab genug Menschen, die mit oder ohne Geld jederzeit bereit waren, einem Feind des Volkes die Kehle durchzuschneiden. Jonathan hatte sich deshalb äußerst vorsichtig verhalten. Er hatte seit seiner Ankunft weder Hebräisch noch Aramäisch gesprochen, gebrauchte nur selten seinen Namen und noch seltener kam es vor, dass er sich mit fremden Menschen unterhielt. Nur mit den Sklaven, die in der kleinen Bibliothek beim Jupiter-Tempel arbeiteten, und mit Lucius hatte er gelegentlich ein paar Worte gewechselt. Der Gedanke, dass es in Rom jemanden gab, der von ihm wusste, störte ihn, umso mehr, als dessen Informant anscheinend sein eigener Onkel war. Der, der mich hätte beschützen sollen, dachte Jonathan bitter und fragte sich insgeheim, wie viele Denare sich Josephus für den Verrat seines Neffen hatte zustecken lassen.

„Aber, aber, warum so misstrauisch, mein Freund", schmeichelte der Mann.

„Ich bin nicht euer Freund", gab Jonathan grob zurück. Er nahm einen Schluck Süßwein und ertappte sich dabei, dass er das erste Mal die Möglichkeit in Betracht zog, er könnte vergiftet sein.

„Ach, Jonathan", erwiderte sein Gesprächspartner mit einer affektierten Freundlichkeit, die Jonathan anwiderte, „ich kann euch gut verstehen. An eurer Stelle würde ich auch vorsichtig sein." Er neigte sich zu ihm und fuhr mit leiser Stimme zu sprechen fort. „Als einziger Überlebender von diesem bestialischen, ganz und gar hinterhältigen Angriff auf das römische Lager von Para."

Jonathan meinte, sein Herz würde zu schlagen aufhören. Ein Gefühl von Panik ergriff ihn. Er sah sich noch einmal im Raum um, nur diesmal mit anderen Augen. Konnte es nicht sein, dass all die Männer, die er für arglose Gäste gehalten hatte, in Wahrheit Handlanger des Fremden waren.

„Ihr braucht keine Angst zu haben, euer kleines Geheimnis ist bei uns sicher." Er sagt uns, aber wen genau meint er damit?, überlegte Jonathan fieberhaft. „Euer Vater hat seine Arbeit ordentlich gemacht. Er hat die richtigen Leute geschmiert. Der Bericht, in dem euer Name so unrühmlich vorkommt, ist nicht vervielfältigt worden." Er hielt einen Augenblick inne und wartete Jonathans Reaktion ab. Der aber zeigte sich nach außen ungerührt. „Und das grenzt bei der römischen Bürokratie schon an ein kleines Wunder." Der Mann lachte selbstgefällig. „Aber was noch viel wichtiger ist: Auch das Original haben nur wenige Männer gesehen." Er warf Jonathan einen verschwörerischen Blick zu. Jonathan richtete sich auf, er hatte zu schwitzen begonnen und die Worte des Fremden dröhnten unangenehm in seinem Schädel. Das penetrante Grinsen ihm gegenüber war kaum zu ertragen, doch gelang es ihm genauso wenig, den Blick abzuwenden.

„Was wollt ihr?" fragte er schroff. Der Umstand, dass er es geschafft hatte, seiner Stimme einen selbstsicheren Klang zu verleihen, machte ihm ein wenig Mut. 

Priester und KönigeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt