Spiel der Schlangen

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Während Tabitha ihren Gedanken nachhing, hatten sie das Anwesen des Eleazar erreicht. Die Fassade des Hauses ähnelte einem griechischen Tempel. Das Vordach wurde von zwei Säulenreihen gestützt, das zweiflügelige Holztor war mit Blumenmotiven verziert. Unmittelbar vor dem Eingang verriet ein kunstvolles Mosaik den Reichtum des Hausherren und auch sonst waren nur erlesene Materialien verarbeitet worden. Vor der Tür wartete Meschach, der erleichtert wirkte, als er Tabitha sah.

„Herrin", sagte er ehrfurchtsvoll und verbeugte sich dabei. „Eleazar wünscht euch zu sprechen."

Tabitha nickte Meschach freundlich zu. „Bring mich zu ihm." Einen Moment lang überlegte sie, ob sie sich zuerst umziehen sollte. Doch sie wusste, wie ungeduldig Eleazar sein konnte, und entschied daher, sofort zu ihm zu gehen. Wie sich eine tropfnasse Frau wohl auf die Liebeslust ihres Gatten auswirkt, fragte sie sich und dachte dabei voll Spott an die gut gemeinten Ratschläge ihrer Mutter.

Meschach führte Tabitha in den Empfangssaal. Eleazar lag auf einer Kline, stand jedoch sofort auf, als Tabitha eintrat. Er war festlich gekleidet, sein Haar war gepflegt, er roch sauber, ein Hauch von Myrte und Granatapfel umgab ihn.

„Wie ich sehe, habt ihr das gute Wetter in vollen Zügen genossen", bemerkte Eleazar anstelle eines Grußes und betrachtete sie amüsiert.

„Ich nehme an, ihr wolltet nicht über das Wetter sprechen", erwiderte Tabitha, die sich insgeheim darüber ärgerte, dass sie in ihrem Mann offensichtlich nichts als wohlwollende Belustigung auslöste.

„Nein", entgegnete er sachlich. „Ich möchte euch ein Geschenk machen." Er klatschte in die Hände und unmittelbar darauf erschien ein mit bunten Stoffen gekleideter Mann, den Tabitha noch nie zuvor gesehen hatte. In den Armen trug er einen großen, nach oben hin zulaufenden Weidenkorb.

„Tatsächlich?" gab Tabitha überrascht zurück.

„In den langen Monaten unserer Ehe", begann Eleazar. Das feine Grinsen, das auf seinen Lippen lag, verunsicherte sie. Ebenso der lauernde Blick, mit dem er jede ihrer Regungen wahrzunehmen und einzuordnen schien. „Bin ich zum Schluss gekommen, dass man euch weder mit teuren Kleidern noch mit Schmuck oder sonstigem Weiberkram eine rechte Freude machen kann." Er kam etwas näher an sie heran. „Aber vielleicht gefällt euch das hier."

Er gab dem Mann ein Zeichen, woraufhin der den Korb behutsam auf den Boden stellte, den Deckel öffnete und seine Hand vorsichtig in die Nähe der Öffnung hielt. Einen Moment lang geschah nichts, doch dann tauchte der kräftig gemusterte Kopf einer Schlange aus dem Dunkeln auf. 

„Eine Pfeilnatter", sagte Tabitha wie zu sich selbst. 

Eleazar reagierte überrascht. Er konnte nicht wissen, dass Tabitha Jonathan früher Stunden um Stunden die verschiedenen in Judäa heimischen Tierarten abgefragt hatte. Denn Schlomo hatte stets großen Wert darauf gelegt, dass sein Sohn die Reinheitsvorschriften der Torah in und auswendig kannte. Und dazu gehörten eben auch die nicht enden wollenden Kataloge der reinen und unreinen Tiere.

„Sie sind zahm", ergänzte Eleazar schnell, als wollte er sich entschuldigen oder mindestens etwas erklären.

Er schnippte ungeduldig mit den Fingern. Der Mann bot der Schlange nun seinen Arm dar und das Tier wand sich langsam und majestätisch daran empor. Jetzt erst bemerkte Tabitha, dass sich noch eine zweite zartere Schlange im Korb befand, die ihren Kopf nur kurz dem Licht entgegen streckte.

„Ich danke euch", erwiderte Tabitha. Ihre Züge wirkten entspannt, ihre Stimme klang leicht und unbeschwert. „Sie sind wunderschön."

„Seid ihr zufrieden?" erkundigte sich Eleazar und eine ungewohnte Unsicherheit lag in seinen Worten.

„Sehr zufrieden", antwortete Tabitha ehrlich und ihre Augen strahlten. Für einen Moment fühlte sie sich wie das kleine Mädchen, das sie einmal gewesen war, und das nichts lieber getan hatte, als Tiere zu beobachten und wenn möglich zu dressieren. Sie vergaß, dass sie die Gattin des Eleazar ben Alon war und beinahe täglich Zeugin von Brutalität und Verbrechen wurde. Sie vergaß, dass sie den Mann, den sie liebte, für immer verloren hatte und dass es ihr endlich gelingen musste, ein gesundes Kind zur Welt zu bringen.

Eleazar lächelte und auch er wirkte dabei aufrichtig. „Ich habe nicht viel Erfahrung, wenn es darum geht, einem Menschen eine Freude zu machen", stellte er zynisch fest. „Daher war ich unsicher. Ich wusste nicht, ob Frauen an Schlangen Gefallen finden."

Tabitha musste lachen. „Das kann ich euch leider auch nicht sagen", erwiderte sie, „aber mich jedenfalls habt ihr mit eurem Geschenk sehr glücklich gemacht."

Eleazar klatschte wieder und der Mann schob die Natter daraufhin in den Korb zurück, verneigte sich tief und verließ mit dem Korb in den Händen den Raum. Die beiden Eheleute waren jetzt allein.

„Ich weiß, dass ihr mich nicht liebt." Der Satz, mit dem Eleazar das Gespräch fortsetzte, ließ Tabitha unwillkürlich zusammenzucken.

„Das wäre für eine arrangierte Ehe sehr ungewöhnlich", entgegnete sie schnell, war selbst mit ihrer Antwort aber alles andere als zufrieden. Eleazar kam näher an sie heran. Sein Blick war sanft und er schmunzelte. 

„Kein Angst, meine Täubchen", hauchte er und es war nicht klar, ob er ernst war oder sie verspottete. „Ich will nicht, dass ihr mich liebt."

Tabitha sah ihn überrascht an. „Die Liebe", fügte Eleazar langsam hinzu, „ist eine große Last". Er wartete und Tabitha spürte, wie ihr die Tränen in die Augen schossen. Es war die Erinnerung an Jonathan, die sie in ihrem Herzen trug, die auf einmal wieder wach war und schmerzvoll. „Wer geliebt wird", sagte Eleazar mit einer bewusst gewählten Ruhe, die ihm eine Art Überlegenheit verlieh, „ist nicht mehr frei."

Tabitha nickte stumm. Sie hatte Mühe, ihre Gefühle unter Kontrolle zu bringen. Außerdem wusste sie nicht recht, was sie mit einem Ehemann anfangen sollte, der sich ganz entgegen seiner Gewohnheit nicht herzlos und roh, sondern geradezu philosophisch gab.

„Was ich will", hörte sie da Eleazar sagen. Seine Stimme war jetzt eindringlich und fordernd. „Ist, dass ihr mich begehrt."

Tabitha sah ihn ungläubig an, doch Eleazar erwiderte ihren Blick nicht. Er hatte seine Hände auf ihre Hüften gelegt und hielt sie auf eine Art und Weise fest, die keinen Widerspruch duldete. Dennoch war nichts Grobes oder Abwertendes in seiner Berührung. Den Kopf hielt er gesenkt. Er führte seine Lippen ihren Hals entlang nach unten, ohne dabei jedoch ihre Haut zu berühren. Sie spürte die Bewegung lediglich an seinem Atem. Ihr Herz klopfte laut. Unter der nassen Kleidung, welche die Rundungen ihres Körpers zusätzlich betonte, fühlte sie sich nackt.

„Ich werde mich umziehen", bemerkte sie schroff, blieb aber unbeweglich stehen. Zugleich ärgerte sie sich über sich selbst und musste daran denken, was ihre Mutter sagen würde. Das erste Mal, dass er Interesse für mich zeigt, schalt sie sich innerlich, und ich weise ihn ab. „Wenn ihr es erlaubt, mein Herr", fügte sie deutlich weicher, beinahe unterwürfig zurück.

Eleazar reagierte nicht, doch sie ging davon aus, dass er über ihre plötzliche Sanftheit belustigt sein musste. Langsam lockerte er den Griff und ließ seine Hände in zarten, dabei aber doch bestimmten Bewegungen über ihrem Becken kreisen. Allmählich wanderten seine Hände weiter in Richtung ihrer Oberschenkel. Tabithas atmete unregelmäßig. Sie wusste nicht, wie sie das, was sie empfand, nennen sollte. Es war bestimmt keine Liebe, aber es war auch keine Abscheu und keine Angst. Sie hatte das Gefühl, dass sich in ihrem Kopf ein Kreisel drehen würde, immer schneller und schneller. Da hielt Eleazar plötzlich in seinem Tun inne. Er richtete sich auf, küsste sie wie zufällig auf die Wange und sah ihr schelmisch in die Augen.

„Nur zu, mein Täubchen", antwortete er mit gespielter Gleichgültigkeit. Er ging ein paar Schritte nach hinten, wendete den Blick aber nicht von ihr ab. „Darf ich darauf hoffen, dass ihr mir am Abend Gesellschaft leisten werdet?", erkundigte er sich sachlich und Tabitha nickte sofort. Dann verbeugte sie sich und ging eilig in ihr Schlafgemach.

Priester und KönigeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt