Begegnungen

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Tabitha stellte sich schräg hinter Kaleb. Sie wusste weder, wie weit sie ausholen musste, noch wie hart der Schlag sein sollte. Sie hatte noch nie in ihrem Leben jemanden geschlagen, nicht einmal einer Magd eine Ohrfeige gegeben. Doch es war ihr bewusst, dass sie nicht ewig warten durfte, nicht zuletzt würde sie Kaleb, der schon die ganze Zeit vor ihnen knien musste, damit keinen Gefallen tun. Also setzte sie zum ersten Schlag an. Der Rohrstock zischte leise in der Luft, der Aufprall war überraschend dumpf. Tabithas Unsicherheit war noch größer geworden, aber da sie das Eleazar gegenüber nicht zeigen wollte, vermied sie es, ihn anzusehen.

„Aber, aber, mein Täubchen", hörte sie ihn mit einem mitleidigen Unterton sagen. „Ihr sollt den Mann doch nicht streicheln."

Tabitha ärgerte sich über seine Selbstgefälligkeit, war zugleich aber froh, nun zumindest einen ungefähren Anhaltspunkt zu haben. Zugleich fiel ihr auf, dass sie sich über das Ausmaß der Strafe keine Gedanken gemacht hatte. Sie überlegte kurz und beschloss dann, nach sechs Hieben aufzuhören, denn sie wusste, dass das die Zahl war, welche die religiösen Autoritäten für leichte bis mittelschwere Vergehen vorsahen. Noch fünf kräftige Schläge, nahm sie sich vor und hob den Rohrstock hoch. Diesmal holte sie weiter aus und ließ den Stock mit größerer Kraft auf dem Gesäß des Mannes aufprallen. Sie sah, wie das Fleisch unter dem dünnen Stoff zuckte und Kaleb seine Schultern leicht zusammenzog.

„Fester", forderte sie Eleazar freundlich aber bestimmt auf.

Tabitha antwortete nicht. Sie war bestimmt nicht bereit, jeden Befehl auszuführen, den Eleazar ihr geben würde. Aber zumindest eine Spur würde sie die Intensität der Prügel noch steigern. Beim dritten Schlag stöhnte der Mann vor Schmerz auf und Tabitha spürte, wie ein kaltes Kribbeln ihren Rücken hinablief. Gänsehaut bedeckte ihre Arme und es war ihr, als wäre sie mit Kaleb, der unterwürfig auf die Fortsetzung der Strafe wartete, auf eine seltsame Art und Weise verbunden. Die nächsten drei Schläge ließ sie in kleineren Abständen folgen. Das Zischen in der Luft war jetzt lauter und auch die Reaktionen des Mannes, der sich sichtlich schwer tat, weiterhin still zu halten, wurden stärker. Nach dem sechsten Schlag wandte sich Tabitha Eleazar zu und gab ihm den Rohrstock zurück. Sie wusste, dass sie in dem, was sie jetzt tat, überzeugend sein musste.

„Das genügt", stellte sie fest und sah Eleazar dabei entschlossen in die Augen.

Der lächelte, sein Blick erschien ihr boshaft und zärtlich zu gleich. Tabitha spürte, dass sie innerlich zitterte. Sie hatte Schwierigkeiten, ihre Atmung zu kontrollieren und konnte es zugleich nicht vermeiden sich zu fragen, was sie tun sollte, wenn sich Eleazar nicht mit sechs Hieben zufrieden geben würden. 

„Wenn ihr es sagt", erwiderte ihr Ehemann in dem Moment sanft und an Kaleb gerichtet fügte er in strengem Ton hinzu: „Du kannst aufstehen."

Der junge Mann folgte der Aufforderung. Vom langen Knien mussten seine Beine steif sein und er wankte ein wenig, als er sich wieder ganz aufrichtete. Er hielt den Kopf deutlich nach unten geneigt und wartete, was sein Herr als nächstes mit ihm vorhatte. Auch wenn er von Eleazar Schlimmeres gewohnt sein musste, stand ihm die Scham deutlich ins Gesicht geschrieben. Eleazar kam ein wenig auf ihn zu und Tabitha meinte für einen Augenblick, die Furcht des anderen am eigenen Leib spüren zu können.

„Hast du verstanden, was du tun sollst?", fragte Eleazar ihn drohend und Kaleb nickte eifrig.

„Ja, Herr", antwortete er eilig und etwas zu laut. Eleazars Lippen zuckten zufrieden und es war nicht klar, ob es sich dabei um ein Lächeln handelte.

„Gut so", erwiderte er gönnerhaft. „Dann kannst du jetzt gehen."

Der Mann verbeugte sich tief vor Eleazar und dankte ihm. Dann kam er zu Tabitha und verbeugte sich ebenfalls.

„Ich danke euch, Herrin, dass ihr euch für mich Zeit genommen habt." Es war dieselbe Floskel, die er bereits Eleazar gegenüber gestammelt hatte.

Vermutlich ist es das, was Eleazar hören will, überlegte Tabitha und in dem Moment war ihr Mitleid für Kaleb noch größer als zuvor, als sie ihn geschlagen hatte. Liegt nicht in diesen Worten die ganze Grausamkeit, sagte sie sich, die Grausamkeit, in der wir Menschen den Tieren um so vieles überlegen sind. Kurz dachte sie an Jonathan. Sie war zum Glück nie dabei gewesen, wenn er von seinem Vater gezüchtigt wurde, doch allein die Art und Weise, wie Schlomo seinem Sohn gegenüber ankündigte, was am Abend geschehen würde, hatte ihr jedes Mal beinahe das Herz gebrochen. Jetzt endlich verließ Kaleb den Raum.

Eleazar nahm Tabitha an der Hand und führte sie zu der westlichen Seite des Raumes, wo sich von einem Wandteppich getarnt eine Seitentür befand. Er öffnete sie selbstverständlich und ging mit seiner Frau in den Nebenraum, bei dem es sich um sein Schlafgemach handelte. Tabitha war noch nie hier gewesen, hatte sich das Zimmer aber von Kyron beschreiben lassen und fand sich deshalb sofort zurecht. Sie befreite ihre Hand aus der seinen und steuerte zielsicher auf ein schlankes, hinter dem Bett verborgenes Tischchen zu, denn sie wusste, dass dort für gewöhnlich eine Karaffe mit verdünntem Süßwein stand. Sie schenkte sich ein und trank mehrere kräftige Schlucke. Eleazar beobachtete sie überrascht.

„Ist es zu viel verlangt, wenn ich meine Frau bitte, diesen hässlichen braunen Fetzen auszuziehen?", erkundigte er sich gespielt harmlos.

Er hat endlich vor, für seine Nachkommenschaft zu sorgen, schoss es Tabitha durch den Kopf. Doch obwohl sie wochenlang gehofft hatte, dass Eleazar endlich die Unfruchtbarkeit ihrer Ehe beenden würde, war sie in dem Moment so wütend, dass sich alles in ihr gegen ihn verhärtete.

„Denkt ihr nie darüber nach, ob es für einen Herrn nicht vielleicht besser sein könnte, von seinen Knechten geliebt zu werden als gehasst?", fragte sie ihn scharf.

„Ich habe es getan, das gebe ich zu", antwortete Eleazar ruhig. „Und ich bin zum Schluss gekommen, dass der Hass jedenfalls vorzuziehen ist." Sie sahen einander in die Augen. Eleazar abwartend und mit jener feinen Note von Amüsement, das er ihr gegenüber so gerne zeigte. Tabitha zornig wie eine angriffslustige Raubkatze. „Aber das lässt sich leicht überprüfen", fuhr Eleazar fort. „Nehmen wir zum Beispiel Kyron. Er liebt euch von ganzem Herzen. Mich dagegen hasst und fürchtet er mit jeder Faser seiner Seele." Er wartete kurz. „Wenn ich ihn jetzt holen lasse und auf die Probe stelle, was meint ihr, für wen wird er sich entscheiden?"

Tabitha war entsetzt. In ihrer Vorstellung sah sie Eleazar, wie er Kyron quälen und erniedrigen würde. „Nein", stieß sie bestürzt aus und gab dabei ihre Distanz ebenso auf wie ihre Selbstsicherheit. „Bitte, lasst Kyron aus dem Spiel."

Eleazar lächelte. „Also gebt ihr mir Recht?" meinte er mit gespielter Unschuld.

„Wenn ihr darauf Wert legt", sagte sie und bemühte sich um einen versöhnlichen Ton.

Eleazar war inzwischen zu ihr gekommen und hatte ebenfalls von dem Wein getrunken. Er hob seine rechte Hand und einen Moment lang dachte sie, er wolle sie schlagen. Doch er strich mit dem Rücken seiner Finger sanft über ihren Nasenflügel, unter den Augen die Wangenknochen entlang. Die andere Hand hatte er auf ihr Gesäß gelegt und zog sie nun näher an sich heran. „Ich dachte, es würde euch gefallen?" flüsterte er und wirkte dabei zum ersten Mal offen.

„Hat es aber nicht", entgegnete Tabitha und bemühte sich, keinen allzu bockigen Eindruck zu vermitteln, denn sie hatte noch immer Angst, Eleazar könnte Kyron kommen lassen. Eleazar schwieg. Er ließ seinen Daumen über ihre Lippen gleiten, wie er es schon einmal getan hatte. Seine Haut war weich wie die von einem, der nicht arbeitet. Dann beugte er sich zu ihr und küsste sie. Er berührte ihre Lippen zunächst wie zufällig, kaum merklich, ähnlich einem jungen Kätzchen, das sich in einem neuen Spiel versucht. Dann wurden seine Küsse entschlossener, fordernd. Tabitha schloss die Augen, denn sie wollte sein Gesicht nicht sehen. Sie dachte an Jonathan und wie oft sie sich gewünscht hatte, dass er sie küssen würde. Aber er hatte es nie getan. Dabei waren seine Augen voll von Liebe, wenn er sie ansah. Und auch daran, dass er keinen Gefallen an ihr fand, konnte es nicht liegen. Schließlich hatte ihr Silas das Gegenteil bestätigt.



Priester und KönigeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt