Forum Boarium

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Als Jonathan jedoch an jener gewaltigen Baustelle vorbei kam, wo Pompeius gerade das neue Theater erbauen ließ, konnte er nicht umhin, doch einen Moment stehen zu bleiben und das imposante, zur Gänze aus Stein gefertigte Bauwerk zu betrachten, das einmal fünfundzwanzigtausend Menschen aufnehmen sollte. Die Außenfassade der halbkreisförmigen Zuschauertribüne war beinahe fertig gestellt. Anmutig und mächtig zugleich hoben sich die drei aus unterschiedlichen Säulen gefertigten Arkaden von ihrem Hintergrund ab. Jonathan versuchte zu erkennen, wo die Basilika entstehen würde, in der künftig auch Senatssitzungen abgehalten werden sollten. Ein schöner Ort für einen Auftragsmord, dachte Jonathan zynisch, denn einer der Gründe, warum Pompeius das Theater außerhalb der Stadtmauern errichten ließ, war der Umstand, dass es nur innerhalb des Pomeriums verboten war, eine Waffe zu tragen. Auf diese Weise wird es leichter sein, unliebsame Senatoren aus dem Weg zu schaffen, sagte sich Jonathan. Die offizielle Erklärung lautete freilich anders. Man wolle es den Herrschern fremder Länder, denen das Betreten des römischen Bodens untersagt war, ermöglichen, den Senatssitzungen beizuwohnen. Jonathan schüttelte missbilligend den Kopf. Irgendwie schaffen sie es immer, ihre Verbrechen so aussehen zu lassen, als hätte alles seine Ordnung, dachte er.

Dann ging er weiter, bog auf der linken Seite in eine breite Straße ein und stieg, weil er den Weg abkürzen wollte, über die hohen Stufen des Apollon Tempels hinauf. Dabei nahm er aus den Augenwinkeln eine Gestalt wahr, die ihm zu folgen schien. Als Jonathan sich nach ihr umdrehte, verschwand sie hinter einer Säule. Ein ungutes Gefühl beschlich ihn. Er blieb kurz stehen und wartete, ob sich der Mann noch einmal zeigen würde, dann beschloss er kurzerhand, seine Route zu ändern und wieder zurück in Richtung Forum zu gehen. Er passierte also den Eingang des Tempels und folgte dem breiten Bogengang, der unmittelbar anschloss und bis zu den Grenzen des Pomeriums führte. Dabei ärgerte er sich, den längeren und wenig frequentierten Weg gewählt zu haben. Doch hatte ihn die seltsame Gestalt zu sehr verunsichert, als dass er, wie es seinem ursprünglichen Plan entsprochen hätte, den schmalen und undurchsichtigen Gassen der Vorstadt hätte folgen wollen.

Jonathan sah sich noch einmal um. Weit und breit war kein Mensch zu entdecken und auch der alte, längst aufgelassene Tempel bot keinen Schutz. Die große bronzene Tür der Cella war geschlossen, keine Priester oder Auguren, nur ein paar Möwen zogen ihre einsamen Kreise über den Himmel. Er beschleunigte seinen Schritt und bog schließlich in eine breitere Straße ein, wo er endlich nicht mehr allein war. Sogar Händler mit Karren waren unterwegs. Er konnte sein Herz klopfen hören, das eilige Gehen hatte auch seine Atmung beschleunigt. Um schneller voran zu kommen, achtete Jonathan darauf, am Rand der Straße zu bleiben. Dort gab es kaum Gegenverkehr. Jedoch hatte er nun Mühe, dem Abfall auszuweichen, den die Menschen in der Nacht aus den Fenstern geworfen hatten.

Immer wieder blickte Jonathan über die Schultern zurück, konnte aber nichts Verdächtiges erkennen. Je näher er dem Stadttor kam, desto mehr Menschen waren in den Straßen unterwegs. Ich sehe Gespenster, sagte er sich missmutig. Er hatte beinahe schon die Straße erreicht, die zur Schule führte, da versperrte ihm eine Herde von Kühen den Weg. Sie sollten vermutlich zum Viehmarkt im nahe gelegenen Forum Boarium gebracht werden. Jonathan musste stehen bleiben und wurde von den Menschen, die vor ihm standen und der Herde aus dem Weg gehen wollten, nach hinten gedrängt. Da spürte er plötzlich etwas Spitzes, das in der Nierengegend durch den Stoff seiner Tunika drückte.

„Ganz ruhig, ich will nur reden", hörte er einen Mann in gebrochenem Latein sagen. Jonathan brauchte sich nicht umzudrehen, um zu wissen, dass es sich bei ihm um den rätselhaften Verfolger vom Apollon Tempel handeln musste. Auch ließ die harte Betonung der „c" und „q" keinen Zweifel über die Muttersprache des Fremden zu.

„Mi atta, mereachi?" fragte er halblaut auf Hebräisch zurück, wobei ihm die in Judäa übliche Anrede Freund selbst einigermaßen übertrieben erschien.

"Lo merecheka ani!" antwortete der Fremde prompt und fügte in schlechtem Latein hinzu: „Ein Mann, der mit Herodes verkehrt, kann nicht mein Freund sein."

Der Name Herodes ließ Jonathan innerlich zusammenzucken. Er wusste weder, wer der andere war, noch was er von ihm wollte. Doch der Umstand, dass er über seinen Pakt mit Herodes informiert war, schien ihm Grund genug, so schnell als möglich das Weite zu suchen. Die Kühe drängten die Menge weiter nach hinten, wodurch Jonathan noch näher an den Fremden heranrückte. Schnell dreht er sich nach rechts um die eigene Achse und traf den Mann dabei mit dem Ellenbogen ins Gesicht. Der Stoß war nicht hart genug gewesen, um seinen Gegner zu Fall zu bringen, doch er verschaffte Jonathan zumindest etwas Zeit. Während der andere nicht sofort reagieren konnte, zwängte er sich zwischen zwei Rindern durch und drängte sich, ohne auf das laute Schimpfen der Händler und Hirten zu achten, weiter nach vorne.

Er hatte gerade eine Kuh umrundet, als ihm eine andere mit einer abrupten Kopfbewegung beinahe ein Horn in den Bauch gerammt hätte. Jonathan sah sich nach dem Fremden um, konnte ihn aber nirgends entdecken. Die Herde bewegte sich in Richtung Tiber und schob Jonathan kontinuierlich vorwärts. Gerade als er sich dachte, dass er sich auf diese Weise eigentlich bis zum Forum Boarium eskortieren lassen könnte, wurde er zwischen zwei Kühen eingeklemmt. Der plötzliche Druck auf seinen Brustkorb verschlug ihm für einen Augenblick den Atem. Jonathan wusste, dass er sich so schnell wie möglich befreien musste. Er griff nach den Hörnern der einen Kuh und drückte ihren Kopf mit aller Kraft nach unten. Dadurch war er für einen kurzen Moment frei. Doch von hinten drängte bereits ein anderes Rind in die soeben entstandene Lücke. Das ist nicht die Art, wie ich sterben werde, sagte sich Jonathan mit einer Mischung aus Trotz und Panik. Es wäre einfach zu lächerlich. Er hörte das Rufen der Treiber, die die Tiere mit ihren ständigen Stockschlägen eng beisammen hielten.

Er hielt die Hörner noch fester und stieß sich mit dem linken Bein vom Boden ab. Mit dem rechten schwang er sich auf den Rücken der Kuh. Das Rind machte einen störrischen Bocksprung, doch Jonathan hatte sich bereits auf den Rücken der nächsten Kuh gerettet. Dann glitt er wieder auf den Boden, kämpfte sich die Hände bald an den Hörnern, bald am Rücken der Tiere abstützend von Kuh zu Kuh weiter. Die Händler fluchten und erhoben ihre Fäuste. Doch Jonathan hatte bereits die andere Seite erreicht. Er zog sich die Kapuze tief über die Stirn und mischte sich unter die Menge.

Jonathan wusste, dass der Tempel des Hafengottes Portunus nur wenige Meter entfernt war. Außerhalb der Vorhalle herrschte um diese Zeit reges Treiben, denn die Priester waren mit dem Gottesdienst beschäftigt. Wenn ich mich bis dorthin durchschlage, bin ich vorerst in Sicherheit, sagte er sich, doch im selben Augenblick brachte ihn ein kräftiger Stoß von der Seite aus dem Gleichgewicht. Er stürzte, glaubte an ein Versehen und wollte sich wieder aufrichten. Doch da entdeckte er zwei breitschultrige Männer, die drohend über ihm standen. Einer vom ihnen trat Jonathan mit dem Fuß. Jonathan krümmte sich zusammen und wich ein wenig nach hinten aus. Er hielt die Arme schützend über den Kopf und nahm sich vor, noch den einen oder anderen Fußtritt einzustecken, dann aber unerwartet aufzustehen und sich gegen die Angreifer zur Wehr zu setzen. Doch der Schmerz kam nicht. Stattdessen packten ihn die Männer an seiner Tunika und zogen ihn wieder hoch. Sie fixierten seine Arme hinter dem Rücken und zwangen ihn mitzugehen.

„Wenn du Schwierigkeiten machst, wirst du es bereuen", zischte ihm einer von ihnen ins Ohr.

Jonathan wehrte sich nicht, versuchte aber, eine klarere Vorstellung von seiner Lage zu gewinnen. Die Männer steuerten offensichtlich auf ein kleines Waldstück hinter dem Herkules-Tempel zu. Obwohl das Forum Boarium nicht weit entfernt war, konnte Jonathan niemanden sehen, der ihm irgendwie eine Hilfe hätte sein können. Er war wütend, dass er sich von den beiden Schlägern überwältigen hatte lassen, und die schmutzige fleischige Hand, die ihm den Mund zuhielt, reizte ihn zuzubeißen. Doch er wusste, dass es nicht der richtige Moment war.

Er wollte sich schwach stellen und dabei auf einen geeigneten Augenblick warten, in dem er die Männer angreifen und in der Folge fliehen würde können. Immerhin habe ich noch den kleinen Zierdolch von Lucius, dachte er. Gemeinsam stapften sie durch das Wäldchen und näherten sich von hinten der Tempelanlage. Einer seiner Begleiter trat mit dem Fuß gegen eine unscheinbare Holztür, die sofort aufsprang. Sie stießen Jonathan unsanft in eine kleine Zelle, bei der es sich offensichtlich um eine Art Lager für Kultgeräte handelte. Es war dunkel, die Luft roch muffig. Am Boden lagen zusammengerollte Teppiche, entlang der Wände standen Holzregale, in der Mitte des Raumes aber ein Mann, der Jonathan bekannt vorkam.


Priester und KönigeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt