Ein jüdischer Offizier

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Nachdem Harendotes ihn die ersten Wochen noch überwachen hatte lassen, hatte er Silas bald gestattet, den täglichen Weg zur Anlegestelle allein zurückzulegen. Allerdings war es ihm nicht erlaubt, in der Stadt herumzugehen oder irgendwelche Umwege zu nehmen. Silas wusste von Charilaos, dass es neben der Rhakotis, dem Wohnbezirk der Ägypter, auch einen griechischen Stadtteil gab, die Neapolis, und darüber hinaus sogar ein jüdisches Viertel. Wäre er also nicht durch Naylas Verhalten verunsichert gewesen, hätte er den nächtlichen Ausflug dazu genützt, Eindrücke zu sammeln und die Stadt, in der er zu leben gezwungen war, besser kennen zu lernen.

So aber schenkte er weder der Straße, noch den Häusern, die sie flankierten, große Beachtung. Vielmehr beobachtete er die ganze Zeit über Naylas verhärtete Gesichtszüge und hoffte dabei, dass sie sich ihm irgendwann wieder freundlich zuwenden würde. Doch dem war nicht so. Vielmehr übertrug sich die Spannung, die von der jungen Herrin ausging, mehr und mehr auf ihre Knechte, die in einer unterkühlten Stimmung nebeneinander herschritten. Nayla befahl ihnen mehrere Male schneller zu gehen und jedes Mal wurde das Tempo erhöht.

Allmählich musste sich Silas eingestehen, dass es wohl nicht viel Sinn hatte, auf eine Geste des Wohlwollens zu warten. So wandte er sich von Nayla ab und ließ seinen Blick im Vorübergehen über die Hausfassaden streifen. Er wunderte sich, als er feststellte, dass sich nunmehr Wohnhaus an Wohnhaus reihte und weder Tempel noch Götterstatuen zu sehen waren. Vor einer breiten Eingangstür hielten sie an. 

Davor standen zwei Wachen, die wie Soldaten angezogen waren. Jüdische Kämpfer, dachte Silas und wunderte sich, warum diese Männer vor einem ägyptischen Haus Wache halten sollten. Er sah genauer hin und stellte dabei fest, dass am Türrahmen eine kleine, bescheidene, aber gut erkennbare Mesusah hing. Das hebräische Viertel, ging es ihm durch den Kopf, doch er hatte keine Zeit, weiter nachzudenken, denn Nayla war bereits aus der Sänfte gestiegen und einer ihrer Leibwachen schob Silas hinter ihr her auf den Eingang zu.

„Es tut mir leid, aber der Herr wünscht heute Abend keine Gäste mehr zu empfangen", hörte Silas einen Mann sagen, bei dem es sich um den Vorsteher handeln musste. Der Mann verbeugte sich tief vor Nayla, machte aber einen abweisenden Eindruck. 

Er weiß, wer Nayla ist und zu wem sie will, sagte sich Silas und drängte sich, um besser sehen zu können, zwischen die beiden Leibwächter, die Nayla in das Haus hinein begleitet hatten. „Er bricht noch in dieser Nacht zu seinem Stützpunkt in Pelusium auf", fuhr der Vorsteher fort und wiederholte noch einmal: „Wie gesagt, er wird niemanden mehr empfangen."

„Ich warte", erwiderte Nayla kühl, als hätte sie nicht verstanden, was der andere gerade gesagt hatte. „Richte deinem Herrn aus, dass es wichtig ist."

Der Diener verbeugte sich noch einmal und sie wurden von einem anderen anscheinend niedriger gestellten Mann in einen kleinen Raum gebracht, in dem es nur eine einzige Sitzgelegenheit gab. Auch sonst war das Zimmer, das wohl in erster Linie dazu diente, den zentral gelegenen Wohnraum vor der Hitze der Außenmauern zu schützen, karg, die Einrichtung dürftig.

Die Gastfreundschaft des jüdischen Hausherrn lässt zu wünschen übrig, dachte Silas und beobachtete, wie sich Nayla verhalten würde. Die blieb wie in Stein gemeißelt stehen und würdigte die schmale Sitzbank keines Blickes. Ihre Mine war stolz und unnahbar. Als ob sie nicht bemerkt hätte, mit wie wenig Respekt man ihr in diesem Haus begegnet, überlegte er und fragte sich, was Nayla dazu bewegen mochte, sich zu einer Bittstellerin herabwürdigen zu lassen.

In dem Moment ging die Tür auf. Ein großer Mann mit selbstbewusstem Auftreten kam herein. Er trug die Uniform eines Offiziers. Mehr konnte Silas nicht erkennen, denn er hatte mittlerweile gelernt, wie sich Sklaven in der Öffentlichkeit zu benehmen hatten, und hielt seinen Blick unterwürfig auf den Boden gerichtet.

„Ihr wollt mich sprechen", sagte der Offizier, ohne seine Gäste zuvor begrüßt zu haben.

„Ich danke euch", erwiderte Nayla. Dann zeigte sie auf Silas. „Das ist der Mann, von dem ich euch erzählt habe." Sie hielt kurz inne. „Er ist jung, mutig, aufrichtig und klug. Außerdem hat er Erfahrung im Kampf." Der Fremde kam etwas näher auf Silas zu.

„Ein ägyptischer Sklave", sagte er mit einem Seufzer und griff prüfend nach Silas Oberarmen. Der spannte unwillkürlich die Muskeln an und bemühte sich, strammer zu stehen und dabei doch demütig zu erscheinen.

„Er ist Grieche", widersprach Nayla schnell. Jude, genau genommen, dachte Silas, aber er wollte seine Herrin nicht korrigieren. Der Offizier seufzte wieder. „Meine Armee besteht aus freien jüdischen Männern, die aus tiefster Überzeugung für ihren wahren König kämpfen. So leid es mir tut, aber ich suche keine Sklaven." Er machte eine Handbewegung, die wohl bedeutete, dass seine Diener Nayla nun zur Tür begleiten sollten. Doch Nayla dachte nicht daran, sich so einfach abspeisen zu lassen.

„Er wurde nicht als Sklave geboren", entgegnete sie und ihre Stimme klang fordernd. „Er kam als Kriegsgefangener in unser Haus. Und wie ich euch sagte: Er hat bereits gegen das römische Heer gekämpft."

„Du hast gegen die Römer gekämpft?", fragte der Offizier, doch es war unklar, ob er an der Antwort interessiert war oder ob er lediglich gegenüber Nayla ein Zeichen der Höflichkeit setzten wollte.

„Ja, Herr", antwortete Silas, „aber wir sind vernichtend geschlagen worden. Die Römer haben alle niedergemetzelt, sogar die, die flüchten wollten oder sich schon ergeben hatten." Für einen Augenblick war es still. Silas war unsicher, ob er zu viel gesagt hatte, und er ärgerte sich darüber, dass er gezwungen war, den Kopf gesenkt zu halten, und daher die Mimik seines Gegenübers nicht deuten konnte.

„Das ist ihre Art", sagte der Mann bitter und klopfte Silas dabei auf die Schultern. Dann wandte er sich von ihm ab und ging auf Nayla zu.

„Wenn er so viele Vorzüge hat, euer Sklave", meinte er forschend, „warum wollt ihr ihn dann loswerden?"

Nayla lachte kurz auf. „Keiner will ihn loswerden, ganz im Gegenteil", stellte sie fest. „Es ist nur so, dass er bei uns nicht glücklich wird."

„Seit wann ist das Glück eines Sklaven von Interesse?", gab der Offizier voll Hohn zurück. Die beiden waren noch näher aneinander herangetreten. Rede und Gegenrede wechselten rasch und mit einem aggressiven Unterton, so als wäre es ein Kampf, den der jüdische Feldherr und die ägyptische Aristokratin miteinander ausfochten.

„Ich will, dass er einmal frei ist", erwiderte sie unbeirrt. „Es ist doch so, dass ihr eure Soldaten für sechs Jahre verpflichtet und sie danach tun und lassen können, was sie wollen?"

„Dieser Sklave scheint euch besonders am Herzen zu liegen", entgegnete der Fremde scharf. Da die beiden ganz aufeinander konzentriert waren, wagte Silas, dem Mann von der Seite ins Gesicht zu sehen. Seine Haut war von der Sonne dunkel verfärbt, seine Züge wirkten fein und in gewisser Weise vornehm. Gerade zog er die Augenbrauen hoch und warf Nayla einen zweideutigen Blick zu. Dann drehte er sich zu Silas um und sah ihm in die Augen. Silas blickte sofort wieder auf den Boden.

„Verzeiht mir, Herr", bat er. Der Offizier kam auf ihn zu. Er wirkte ungeduldig.

Priester und KönigeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt