Kleopatra

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Da legte jemand eine Hand auf seine rechte Schulter. Jonathan drehte sich um und blickte in das ungewöhnlich aufgeregte Gesicht von Distenes. „Jonathan, hast du die letzten Nachrichten vernommen?", erkundigte er sich atemlos und Jonathan wunderte sich, wie all die korrekte und glatte Fassade so plötzlich von ihm weichen hatte können. „In Rom hat ein Blitz die Statue des Jupiters getroffen." Jonathan sah ihn fragend an und zuckte gleichgültig mit den Achseln. Distenes rang theatralisch nach Luft. Er konnte nicht fassen, dass Jonathan die Bedeutung der Botschaft offensichtlich nicht begriffen hatte.

„Weißt du denn nicht, was das bedeutet? Die Römer sind fürchterlich abergläubisch. Wenn Jupiter selbst Blitze gegen seine eigene Statue schickt, muss das einen gewichtigen Grund haben." Distenes fixierte Jonathan mit einem eindringlichen Blick, und als der immer noch nicht die angemessene Reaktion zeigte, fuhr er mit verschwörerischem Unterton fort: „Gaius Porcius Cato hat daraufhin in einer Senatssitzung gefordert, dass die Quindicemviri die Heiligen Bücher lesen sollen."

Die Heiligen Bücher, wiederhole Jonathan innerlich und begriff allmählich, was Distenes so aus der Fassung brachte. Als er noch in Rom gewesen war, hatten immer wieder Volkstribune im Senat den Antrag eingebracht, dass die Sybillinischen Bücher konsultiert werden sollten. Die Römer glaubten, dass in diesen Büchern die gesamte vergangene und vor allem die zukünftige Geschichte Roms verzeichnet war. Allerdings in einer verschlüsselten symbolischen Sprache, welche nur fünfzehn ausgewählte Priester lesen und interpretieren durften, die Quindicemviri Sacris Faciundi. Was die Sache noch zusätzlich verkomplizierte, war der Umstand, dass von den ursprünglich sechs Büchern nur noch drei erhalten waren.

„Und natürlich haben die sybillinischen Bücher Auskunft über Ptolomäus gegeben, oder?" fragte Jonathan sarkastisch.

Doch Distenes ging weder auf den Inhalt seiner Aussage ein, noch schenkte er dem zynischen Unterton Beachtung. Stattdessen verabschiedete er sich knapp und ging zu seinem Platz. Der Raum war inzwischen fast voll, nur der König und sein Stab fehlten. Neben dem Thron hatten drei Römer Platz genommen, deren weiße, mit purpurroten Streifen bestickte Togen sie deutlich als Senatoren auswiesen. Einer von ihnen konnte sich nur mit Mühe auf seinem Stuhl halten und drohte ständig, nach vorne zu kippen. Er hat wahrscheinlich nicht nur die Gladiatorenspiele genossen, sondern auch den schweren Wein von Grumentum, sagte sich Jonathan und beobachtete mit einer Mischung aus Abscheu und Belustigung die armseligen Bemühungen des Senators sich aufrecht zu halten.

Unterdessen hatte die Prozession, die den Einzug des Königs begleitete, begonnen. Ganz vorne schritten vier Reihen von großgewachsenen, muskulösen, dunkelhäutigen Sklaven, die jeder einen Jaguar an einer Kette führten, dann kam eine Gruppe von Tänzerinnen, gefolgt von den königlichen Beamten, deren Oberkörper nackt waren und die alle die gleiche Kopfbedeckung trugen. Unmittelbar vor dem König ging Ammonius, von dem Jonathan sowohl Josephus als auch Distenes bereits hatte reden hören. Er war der Vertreter des Ptolomäus in Rom, und wenn er die Hauptstadt verließ, musste das schon triftige Gründe haben. Schließlich betrat Ptolomäus selbst den Saal. Er war schlicht gekleidet und ging mit langsamen, selbstbewussten Schritten auf den Thron zu.

An seiner Seite war ein junges Mädchen, das auf einem breiten Stuhl unterhalb des Podestes Platz nahm. Jonathan saß ihr schräg gegenüber und betrachtete sie, wenngleich zunächst ohne besonderes Interesse. Das Mädchen war vielleicht zwölf oder dreizehn Jahre alt. Sie hatte hohe Wangenknochen und eine spitze Nase, die für ihr Gesicht eigentlich zu groß war, ihr aber umso mehr eine interessante Aura verlieh. Ihre Augen sahen klug und unerschrocken in die Menge. Und obwohl sie nicht besonders schön war, gelang es Jonathan doch nicht, seinen Blick von ihr zu lösen.

Inzwischen war Ammonius an das Rednerpult getreten, hatte das Wort ergriffen und mit seiner Ansprache begonnen. Er begrüßte die anwesenden Senatoren und die Delegationsmitglieder überschwänglich und gab voller Innbrunst und Ehrfurcht die schier unendliche Liste an Titeln wieder, die Ptolomäus führte. Jonathan ließ sich zu einem kleinen boshaften Grinsen hinreißen, denn wie nicht anders zu erwarten, fanden sich weder Flötenspieler noch Kichererbse darunter, jene Spottnamen also, die der König im gemeinen Volk führte.

Priester und KönigeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt