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Schritt für Schritt durch das Stimmengewirr.
Überall um mich lachen Menschen und haben Spaß, sie reden, trinken und tanzen. Ich bin eine einzelne Person in dieser Masse, deren Energie einfach alles mitreißt. Ich komme vorbei an tanzenden Jugendlichen mit Bechern in den Händen und an knutschenden Pärchen die sich irgendwo an eine Wand lehnen.
„Hey Leo“, höre ich eine Stimme hinter mir. Als ich mich zu ihr drehe scheint es als würde die Welt verschwimmen. Alles verzerrt sich für einen Moment.
„Alles okay Leo?“
Während ich versuche Fin's Gesicht zu fokussieren kommt er bereits zwei weitere Schritte auf mich zu. Er ist nüchtern - wie immer. Ob Fin nicht trinkt, weil er nicht will, oder um auf unsere Gruppe aufzupassen weiß wahrscheinlich nur er. Er ist der Verantwortungsvolle, der zu dem man geht, wenn man scheiße gebaut hat.
„Hab dich schon gesucht“, antworte ich ihm, als ich es schaffe sein Gesicht zumindest halbwegs in dem schummrigen Licht zu erkennen. Ich lächle etwas, versuche ihm klar zu machen, dass alles okay ist. Er verbringt immer so viel Zeit damit auf mich aufzupassen. Zumindest hin und wieder soll er einfach mal Spaß haben. Aber es bringt nichts. Fin kennt mich, wie kein zweiter. Wahrscheinlich kennt er mich sogar besser, als ich mich kenne. Er muss es nichtmal aussprechen. Die Frage was los ist liegt deutlich spürbar in der Luft; sogar die Partystimmung kommt gegen diese Frage nicht an.
Und gleichzeitig schwebt die Antwort über mir, wie eine schwere graue Gewitterwolke. Mein Problem ist die Einsamkeit. Das Problem ist die Leere. An sich ist mein ganzes Problem ein Gefühl, dass sich wie ein Parasit an mir festgebissen hat, ein Parasit der mir Tag für Tag ins Ohr flüstert, dass ich mein Leben vergeude. Manchmal fühlt es sich an, als würde ich Tag für Tag alleine und verlassen in der Dunkelheit sitzen. Es ist ein erdrückendes Gefühl, dass nichts mehr existiert, außer der Zeit.
Manchmal glaube ich, dass mein Leben mit jeder Sekunde die vergeht durch meine Finger rinnt und ich sitze nur im nichts und warte, dass es endet, ohne zu wissen, warum es überhaupt noch weitergeht.
Es fühlt sich nicht an, als müsse es enden. Es tut nicht weh. Es ist eher, als würde man still und leise ertrinken.
Ich hasse mein Leben nicht, mir fehlen nur zunehmend die Gründe es zu mögen. Also betäube ich dieses Gefühl. Ob Alkohol, ob ein Treffen mit Freunden, oder ein kräftiger Adrenalinrausch, alles taugt, um sich abzulenken. Aber schweigen ist einsam, alleine sein der Tod, also bleibe ich unter Menschen, renne von Beschäftigung zu Beschäftigung und freue mich auf die Nacht, in der mir Schlaf die Betäubung versetzt, die ich brauche.
Ich habe keine Schmerzen, ich habe Langeweile - Langeweile und eine stille Angst alleine zu sein.
Doch all das sage ich Fin nicht, generell sage ich nichts, zumindest bis das Schweigen vom Ausdruck des Denkens zur Belastung wird und ich nach Worten suche die Stille zu füllen.
„Willst du mitkommen? Ich schnapp nen bisschen frische Luft“, sage ich ihm und natürlich ist er dafür. Auch wenn ich nichts sage kennt er meine Stimmung, denn manchmal werden die Phase öfter und manchmal werden sie länger und irgendwann hat er gelernt mich zu kennen. Er kann das wie kein anderer. Er kennt meine Tiefs, er kennt meine Hochs. Aber seit er meine Tiefs kennt, kenne ich nur noch seine Sorge. Und seine Sorge diktiert ihn.
Wenn ich etwas vorschlage, ist er dabei, nur um auf mich aufzupassen. Ich hasse es bewacht zu werden wie ein Kleinkind. Ich hasse die Sorge. Aber ein Teil von mir ist dankbar. Ich bin dankbar, weil er mir immer wieder zeigt, dass ich nicht alleine bin.
Also gehe ich mit ihm nach draußen, mit ihm, dem Einzigen mit dem ich nicht alleine bin. Neben ihm fühle ich mich schwach, doch gleichzeitig fühle ich mich auch beschützt. Wie ich neben ihm herschwanke, mit ner Schnapsfahne bis nach Kanada, während er noch immer sicher und gerade einen Fuß vor den anderen setzt ist erbärmlich. Doch seine Blicke in meine Richtung geben mir eine angenehme Wärme, fast schon ein Stück Glück.
Mein Blick schweift über die Welt. Im Schein der Sterne sieht selbst die hässliche Landstraße aus, als wären wir zusammen aif den Straßen von Paris. Und mit ihm an meiner Seite ist selbst der billige Vodka wie ein edler Wein.
„Ich liebe dich“, flüstere ich. Als er zu mir herüber sieht und fragt, was ich gesagt habe, schüttle ich nur den Kopf.
„Nicht der Rede wert“
Ich will dich nicht auch noch verlieren, denke ich mir still und sehe zu Boden. Ohne ihn wäre ich alleine; zwar nicht ohne Menschen, aber ohne Vertraute.
Als ich meinen Blick wieder hebe, sehe ich die massiven Stahlgeländer der kleinen Brücke. In knappen 20 Metern Höhe führt sie über eine einsame Straße, die zu so später Stunde kaum noch befahren wird. Ich kenne die Brücke. So oft habe ich auf dem Geländer gesessen und mit vergangenen Freunden geredet und gelacht. So oft habe ich unter dieser Brücke gesessen und mit ihnen getrunken. So oft war ich mit verflossenen Partnern an der Hand über das Geländer balanciert.
Mein Blick wandert zu Fin hinüber und langsam strecke ich ihm die Hand entgegen.
„Hälst du mich?“, frage ich lächelnd. Er wirkt etwas verunsichert, während er nach meiner Hand greift.
„Sicher, dass das ne gute Idee ist?“
Ich nicke zuversichtlich. Also ringt er sich dazu durch auch kurz zu nicken. Und so steige ich auf das Geländer. Erst lege ich eine Hand an das Metall - es fühlt sich kalt an. Bei den aktuellen Wetterschwankungen wundert mich das kaum. Dann folgt ein Fuß und wenig später auch der zweite. Langsam richte ich mich auf, bis ich sicher mit Fin an der Hand auf beiden Beinen stehe.
Vorsichtig setzen wir uns in Bewegung. Seine Hand zu halten ist aufregend. Irgendwann hat das Hände halten mehr Spannung gebracht, als das balancieren. Für einen Moment fühle ich mich lebendig und schließe die Augen. Ich fühle die Nacht um mich und rieche den vergangenen Regen in der Nase. Jedoch realisiere ich etwas grundlegendes nicht.
Mein Herz bleibt kurz stehen, als ich spüre, was Regen und Kälte auf dem Geländer hinterlassen haben. Das Eis ist rutschig und ich fühle, wie ich das Gleichgewicht verliere. Ich falle, unsicher in welche Richtung. Für eine Sekunde rast mein Herz, das Adrenalin pumpt und ich hänge in der Schwerelosigkeit. Kurz weiß ich, dass ich jetzt fliege.
Ich fliege, bin frei und erhebe mich in die Lüfte.
Dann schneidet ein kurzer Aufschrei wie eine Rasierklinge durch die Nacht und ein Knirschen wie von einer Wallnuss unter einem Hammer, hüllt die Welt in Stille.

FliegenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt