Kapitel 7: Wir müssen reden, Alice Weidel!

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<<Allwissend bin ich nicht, doch viel ist mir bewusst.>> (Faust 1, Vers 1582)

Lilles Büro – Ex-Büro – sah ganz anders aus, als ich es mir vorgestellt hatte. Es besaß ein großes Fenster mit einem schönen Ausblick auf Berlin, moderne Bilder zierten die Wände und in der Ecke stand eine große Pflanze. In der Mitte des Raumes mit Blick zum Fenster befand sich ihr Schreibtisch, der ziemlich chaotisch aussah, und auf der rechten Seite des Fensters, an der Wand, war eine kleine Couch mit einem Tisch davor, auf dem zwei Tassen Kaffee standen. Glücklicherweise hatte ich auf dem Weg zu ihrem Büro niemanden angetroffen, was mir sehr wichtig gewesen war, damit keine Gerüchte entstanden.

Obwohl wir uns zum Reden treffen wollten, sprachen wir gerade nicht viel. Es ist ja auch schwer, zu sprechen, wenn man gerade jemanden küsst. Lille saß auf dem Sofa, ich auf ihrem Schoß und ihre Hände bahnten sich gerade einen Weg unter mein Jackett. Nach Luft schnappend löste ich mich etwas von ihr. „Lille, nicht jetzt!", ermahnte ich sie gespielt böse und setzte mich neben sie auf die Couch. „Okay, okay", lachte sie und bot mir daraufhin eine Tasse Kaffee an.

Einen Moment lang sagten wir beide gar nichts, sondern tranken nur den Kaffee und sahen uns über die Ränder der Tassen hinweg verschmitzt an. Verdammt, sie war so süß.

„Also, was möchtest du gerne wissen?", eröffnete Alice schließlich das Gespräch. „Einfach alles über dich!", dachte ich, doch sprach es nicht laut aus. „Seit wann weißt du, dass du austreten möchtest?", fragte ich stattdessen. Lille überlegte kurz: „Seit drei Monaten ungefähr, aber ich habe es erst vor einem Monat in der AfD angesprochen. Tino und Trixi sind sowas von ausgerastet, das muss man sich mal vorstellen!"

Beim Gedanken an eine wutentbrannte Beatrix von Storch musste ich lachen. „Und wer wird jetzt dein Nachfolger?" „Höchstwahrscheinlich Trixi, aber das ist noch nicht hundertprozentig festgelegt." Ich überlegte kurz. „Sei mir nicht böse, wenn ich das jetzt frage, aber warum warst du gestern bei Anne Will, wenn dein Austritt schon beschlossen war?" „Ich habe mir schon gedacht, dass du das fragen wirst...", lächelte Alice, „...die Antwort ist eigentlich ganz einfach: Wir als AfD mussten nach außen so tun, als wäre nichts, damit eben keine Medien Bescheid wissen, bevor es offiziell ist. Die Anfrage von Anne Will konnte ich dann auch nicht einfach so ablehnen, also bin ich hingegangen und ich muss sagen, dass ich sehr froh darüber bin!" Sie zwinkerte mir zu, woraufhin ich ein bisschen verlegen lächelte.

„Außerdem bin ich laut Tino die einzige, die die AfD authentisch vertreten kann, äh ja, das hat er mir zumindest mal gesagt.", fuhr Lille fort, „und ich weiß, dass ich gestern die AfD nicht besonders gut vertreten habe. Aber ich konnte das einfach nicht mehr. Ich bin damals ja eingetreten, da ich die euro- und währungspolitische Kritik gut fand, aber was aus der AfD mittlerweile geworden ist, kann ich einfach nicht mehr verteidigen." Dies klang einleuchtend, fand ich. „Hast du vor, weiterhin politisch aktiv zu bleiben?" „Ich glaube nicht, ehrlich gesagt. Ich möchte mir erstmal viel Zeit für meine Kinder nehmen und dann schauen wir mal..." Ich nickte. „Wenn wir schon über deine Kinder reden...wie geht es mit uns weiter? Ich meine, wir haben beide unsere Partner hintergangen und...ich weiß nicht, so schön es auch ist mit dir, weiß ich nicht, ob ich das Oskar, äh, länger antun kann."

Alice zog eine Augenbraue hoch und sagte nur: „Also Sarah, meine Ex-Frau, und ich sind zwar offiziell noch in einer eingetragenen Partnerschaft, aber wir leben seit zwei Jahren getrennt. So gesehen...bin ich in keiner Beziehung." Ich wollte mich darüber freuen, aber dennoch fühlte sich dieses Geständnis wie ein Schlag in die Magengrube an. Ich hatte immer gedacht, dass wir beide in einem Boot saßen, doch nun stellte sich heraus, dass Alice nicht mehr mit ihrer Partnerin zusammen war. Ich wusste nicht, was mich mehr schockte, die Tatsache, dass sie mir nichts erzählt hatte oder der Fakt, dass ich als einzige von uns beiden meinen Mann betrogen hatte, obwohl mir Treue eigentlich so wichtig war.

„Du wusstest ganz genau, dass ich verheiratet bin, und hast mir NICHTS über deinen Beziehungsstatus erzählt!", warf ich ihr also an den Kopf. Alice fühlte sich wahrscheinlich getroffen, denn sie sprang von der Couch auf und ihre Stimme wurde etwas lauter und crackte leicht: „Das ist ein hartes Geschütz! Ich dachte, es wäre eine einmalige Sache, dass vielleicht mehr daraus werden könnte habe ich erst am Morgen danach realisiert...und überhaupt, du hast unseren ersten Kuss doch initiiert! Du hast mir immer wieder gesagt und gezeigt, dass du es auch willst! Also hör auf, dich in diese Opferrolle zu drängen, Sahra! Ja, es ist richtig, dass wir möglicherweise einen Fehler gemacht haben, aber du steckst da genauso drin wie ich!"

Erschüttert starrte ich sie an. Wie konnte sie nur derartiges von sich geben? Die Frau war vollkommen realitätsfern. Es konnte doch nicht sein, dass ich mich so sehr in ihr getäuscht hatte, oder? „Unser Gespräch ist hiermit beendet.", erwiderte ich kühl und hoffte, dass sie nicht merkte, wie gerne ich jetzt in Tränen ausbrechen würde. „Toll, Sahra, einfach davonlaufen, super, ganz toll!", spottete Alice und ich knallte die Tür hinter mir zu.

In meinem Büro angekommen konnte ich einige Momente lang nichts tun, außer auf die Tür zu starren, während mir lautlos Tränen die Wangen hinunterflossen. Tief in mir drin verstand ich ihren Standpunkt leider, doch das würde ich nie offen zugeben. Wir waren Geschichte, es gab kein „uns" mehr.

Nach etwa einer dreiviertel Stunde hatte ich mich beruhigt. Meine Tränen waren versiegt und ich hatte über alles nachgedacht und über unsere „Beziehung" reflektiert. Ich war mir bewusst, dass ich mich bei ihr entschuldigen musste, wenn ich mehr von ihr wollte, und ich war mir sehr sicher, dass ich das wollte. Dennoch hielt ich es für besser, dies erst am nächsten Tag zu tun, damit wir beide eine Nacht darüber schlafen konnten. Ich konnte nur vage erahnen, was wohl in diesem Moment in ihr vorgehen mochte. Bereute sie den Streit? Plante auch sie, sich zu entschuldigen? Oder war ihr einfach alles egal? Nein, das glaubte ich nicht, das wollte ich einfach nicht glauben.

Mit einem Blick auf mein Handy stellte ich fest, dass ich in der Zwischenzeit 3 Anrufe und 10 Nachrichten von Oskar erhalten hatte. Verkackt, Sahra.


Ja hallo! Ich habe hier versucht, mir vorzustellen, wie Sahra und Alice wohl in Konflikten reagieren (Alice fühlt sich persönlich angegriffen und Sahra ist konfliktscheu und zieht sich zurück) und hoffe, dass es halbwegs realistisch rüberkommt haha :)
Vielen Dank übrigens für eure lieben Kommentare und votes, ihr glaubt nicht, wie sehr ich mich darüber freue!🥰

nur wir zwei // weidelknechtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt