Das Münztelefon

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Erst zwei Wochen war er her, der Tod von seiner Freundin, doch für ihn fühlte es sich bereits an wie eine Ewigkeit, wie ein halbes Leben ohne sie. Es war ein Autounfall, er hatte mal wieder zu viel getrunken, so wie immer, wenn er abends irgendwo war und doch fuhr er heim, auf dem Beifahrersitz seine Freundin. Sie stritten. Der Mann musste nicht einmal mehr über was. Wahrscheinlich war es etwas unbedeutsames, eine Kleinigkeit, welche normal und ruhig hätte ausgeredet werden können, doch anstatt dies zu tun, schrien sie sich an und warfen sich Beleidigungen und Vorwürfe an den Kopf. Sie hatten sich so in Rage geredet, dass der Mann, den auf sie zu rasenden LKW zu spät bemerkte. Scheinwerfer blendeten, Reifen quietschen, Autos kollidierten. Er überlebte. Sie war auf der Stelle tot.

Seit diesem Tag an, war nichts mehr dasselbe, alles schien aus den Fugen zu geraten und sein Leben lief den Bach hinunter. Der Mann wurde nonstop von Schuldgefühlen geplagt. Hätte ich doch nicht so viel getrunken. Hätte ich doch das eine Bier weggelassen. Hätte ich doch meine Freundin fahren lassen. Hätte ich doch auf die Straße geschaut. Hätten wir doch nicht gestritten. Hätte ich doch einmal nicht das Falsche gemacht, dann wäre sie heute vielleicht noch bei mir. Er konnte nichts mehr essen, denn er verspürte keinen Hunger mehr. Er konnte nicht schlafen, obwohl er ständig müde war. Nichts war ihm mehr wichtig, denn alles erschien ihm so klein und unbedeutsam nach diesem Ereignis. Was ist denn schon eine Kündigung, wenn man den Menschen verliert, den man liebt? Jeden Abend war der Mann weg, um seine Sorgen und Schuldgefühle in Alkohol zu ertränken. Zu Hause hielt er es nicht mehr aus, seine vier Wände engten ihn ein und sie schienen immer näher zu kommen. Er bemerkte, dass er dem Alkohol verfiel, doch er unternahm nichts dagegen. Es war ihm egal. Könnte ich noch einmal mit ihr reden, dann würde ich ihr sagen, wie viel sie mir bedeutet. Gedanken die mit jedem Schluck Ordnung verloren. Alles was er sagte, klang irgendwie nach ihr. Der Kellner kam zu ihm und fragte den Mann, ob er nicht langsam mal bezahlten möchte. Erst nahm er die Stimme gar nicht wahr, erst beim Zweiten Mal bemerkte er ihn. Der Mann bestellte das letzte Bier und verließ dann das Lokal. Hinter ihm sperrte der Kellner zu. Er war der letzte darin gewesen.

Draußen war es kalt, der Nieselregen tröstete den Mann. Er wollte sich ein Taxi rufen, doch sein Handy war aus, der Akku war leer. Da sah er das alte Münztelefon neben dem Lokal stehen. Es stand hier schon seit Ewigkeiten und noch nie hatte er jemanden darin gesehen. Erinnerungen kamen in ihm hoch. Wie oft er dieses Münztelefon schon passiert hatte, noch nie hatte er es dabei beachtet, als Kind, als Jugendlicher und jetzt als Erwachsener. Er sah die kaputte Scheibe und die beschmierten Wände. Alles in dieser Stadt war neu, nur dieses alter Münztelefon stand da, wo es schon vor 40 Jahren schon stand. Vielleicht hat nie jemand das Geld aus dieser Kiste geholt? Millionenschweres Münztelefon. Der Mann ging in die Zelle. Es stank. Überall sah er etwas herumgekritzeltes. Was diese Menschen heute wohl machen? Er konnte noch genau eine Nummer, eines Taxiunternehmens auswendig und haute diese mit aller Kraft in die klemmenden Metalltasten. Die paar Menschen, die zu dieser Uhrzeit noch wach waren und draußen an ihm vorbei gingen, schauten ihn an wie einen Zeitreisenden. Er hielt den dreckigen Hörer möglichst weit weg von seinem Gesicht und wollte schon auflegen, als plötzlich eine Stimme am anderen Ende auftauchte. Der Mann meinte die Stimme seiner verstorbenen Freundin zu hören. Er ließ die halbleere Bierflasche aus seiner Hand fallen, die am Boden zu Scherben zersprang. Seine paar Zerquetschten reichten auf den Cent genau aus, um zu ihr sagen Ich komme endlich nach Hause. Zurück zu dir. 

Das MünztelefonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt