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Ein weiteres Ziehen an ihrer linken Seite signalisierte ihr die Richtung. Sie waren in einer kleinen Stadt angelangt und gleich wieder raus gefahren. Ab diesem Punkt hatte er sie immer wieder links gelotst, so dass sie um das Städtchen herum fuhr.
Ein rechts ziehen. Jule setzte den Blinker und bog in eine gepflasterte Straße ein. Sie hatte sich erstaunlich gut an das Gefährt gewöhnt.
Nach einer ruckeligen Fahrt kamen sie vor einem sonnengelb gestrichen Gebäude an. Als Kian auf beiden Seiten zog blieb sie stehen und stellte den Motor aus.
"Wo sind wir hier?", fragte sie und starte auf das gelbe Gebäude.
"Bei Cousin Jaron und dessen Freund", antwortete Kian und setzte seinen Helm ab.
"Sein Freund?", fragte Jule interessiert.
"Jaron ist schwul", seufzte Kian. Er konnte es nicht leiden, fragen dazu gestellt zu bekommen. Immerhin war Jaron homosexuell und nicht er. Außerdem ging es niemandem etwas an, wen man liebte. Hätte er erzählt, dass Jaron eine Freundin hatte, hätte Jule wahrscheinlich nicht nachgefragt.
"Oh wow!" Jule schien richtig begeistert über die Diversität seines Cousin.
"Seit ihr da unten fest gewachsen oder so?", rief da jemand und die angesprochenen schauten in Richtung der Stimme. Ein Mann mit braunen Haaren schaute missbiligend aus einem riesigen Fenster.
"Dein Cousin?", fragte Jule.
"Mein Cousin", bestätigte Kian seufzend und lief auf den Hauseingang zu.
Etwas langsamer folgte Jule, samt Motorrad. Das Haus erinnerte sie an einen längst vergangenen Urlaub in Italien. Die Fenster hatten eine rote Fassung, aber keine Rolläden sondern braune Fensterläden. Auch die Backsteinmauer, die das Gebäude mitsamt Garten umgab erinnerte an Italien. Von den betörenden Düften der umsteheneden Blumen musste man erst gar nicht anfangen.
"Oh, Hallo! Besuch?", fragte da jemand und Jule fuhr erschrocken herum. Ein Blonder Lockenkopf war zwischen zwei Rosenbeeten aufgetaucht. Aus den Locken entwickelte sich ein junger Mann, der zu Jules erstaunen ziemlich klein war. Sein Lächeln war freundlich und seine Hände von brauner Gartenerde verschmutzt.
"Ach Kian! Du bist das", meinte er und seine Augen funkelten erfreut.
"Und wer ist die hübsche Dame neben dir?", fragte er dann und schaute sie neugierig an.
"Das ist Jule", stellte Kian sie vor.
"Schön dich kennen zu lernen! Mein Name ist Gabriele", stellte auch der Lockenkopf sich vor und zwinkerte ihr verschwörerisch zu.
"Die Freude ist ganz Meinerseits", erwiederte Jule und lächelte ihn an. Gabriele schien, trotz seines ungewöhnlichen Namens, ein recht sympathischer Typ zu sein.
"Gehen wir rein?", schlug Gabriele vor ließ ihnen den Vortritt. Jule stellte das Motorrad ab und steckte sich den Zündschlüssel ein, dann folgte sie Kian zum Hauseingang.
"Ah, nicht da lang", erklang da Gabrieles sanfte Stimme. "Die Tür ist leider kaputt, wir müssen durch den Hintereingang". Sie folgten dem Mann um die linke Seite des Hauses und stießen auf eine kleine Treppe die in einer roten Tür endete. Eben in diesem Moment öffnete sich die Tür und der Mann von vorhin schaute grimmig zu ihnen hinunter. Er wartete bis sie im Haus waren dann grunzte er missbiligend und schloss die Tür wieder. Besitzergreifend stellte er sich neben Gabriele und zog ihn an der Hüfte zu sich.
"Ich hab alle Blumen gegossen", teilte Gabriele ihm mit und schaute zu ihm hoch. Fasziniert beobachtete Jule wie Jarons Züge augenblicklich weich wurden.
"Warum bist du hier?", fragte er dann Kian und von Weichheit konnte keine Rede mehr sein. Jaron starte unentwegt zu Kian und schien sie gar nicht zu beachten. Augenblicklich wurde er ihr unsympathisch. Das war der selbe Typ, der einen Katzenohrenhelm besaß?
"Komm mit Schätzchen, wir holen uns ein paar Kekse", meinte Gabriele da und löste sich von Jaron um sich bei ihr unterzuhaken.
Jetzt schaute Jaron doch zu ihr. Sein Blick war einer der unfreundlichsten der ihr je untergekommen war, er schaute schon fast angewidert. Jules Sympathie zu ihm sank auf Null.
Bereitwillig ließ sie sich von Gabriele mitziehen, ließ es sich aber nicht nehmen, Jaron ein gewinendes Lächeln zuzuwerfen. Augenblicklich verfinsterte sich sein Blick und Jule war sich sicher, er hätte sie von Gabriele weggeschubst, hätte Kian da nicht angefangen zu sprechen. Zu ihrem Leitwesen fiel genau in diesem Moment die Tür hinter ihnen ins Schloss und die Unterhaltung wurde für sie lautlos.
"Lass dich nicht von Jaron abschrecken, eigentlich ist er nett", meinte Gabriele aufmunternd und stubste in ihre Seite. Jule lachte unsicher und folgte ihm durchs Wohnzimmer in die Küche.
"Tee?", fragte Gabriele und Jule nickte dankbar. Schon auf der Fahrt hatte sie ihr Durst fast verrückt gemacht. Gabriele setzte den Wasserkocher auf und nahm sich eine Packung Kekse.
"Also erzähl mal, was läuft zwischen dir und Kian?", meinte er und zwinkerte ihr verschwörerisch zu.
"Nichts", lachte Jule verlegen und begann mit dem Ring an ihrem Finger zu spielen.
"Und der da?", fragte Gabriele wissend, als er ihrer Bewegung gefolgt war.
Nachdenklich starte Jule auf das Schmuckstück.
"Er hat es mir gegeben", sagte sie schlicht.
"Das ist ein großer Vertrauensbeweis", meinte Gabriele ernst und suchte den Augen Kontakt mit ihr.
"Ich weiß-".
"Nein weißt du nicht. Kian hat diesen Ring seit dem Ableben seiner Mutter nie mehr ausgezogen. Und weißt du warum?" Eingeschüchtert schüttelte Jule den Kopf.
"Kurz bevor sie starb hat sie ihm den Ring gegeben. Danach ist einer der Diamanten verloren gegangen". Er griff nach ihrer Hand und drehte den Ring etwas. Mit einer schnellen Bewegung hatte er einen der Steine gelockert und in seiner Hand.
"Er hat einen neuen hinein setzen lassen, aber er hält nicht. Kian ist der festen Überzeugung, dass sie nur gestorben ist, weil sie den Ring ausgezogen hat".
"Und er hatte Angst auch zu sterben", nahm Jule ihm die Worte aus dem Mund.
"Ganz genau. Ich vermute, er denkt, dass der 'Fluch' nur bei Familienmitgliedern wirkt", meinte Gabriele uns schüttete das fertig gekochte Wasser über einen Teebeutel.
"Kann schon sein", stimmte Jule zu und folgte ihm zurück ins Wohnzimmer. Zu ihrer Überraschung saßen Jaron und Kian dort auf dem Sofa.
"Da muss ich wohl noch mehr Tee aufsetzen", seufzte Gabriele geschlagen und verschwand wieder in der Küche. Jule schaute zu Kian, der sie anlächelte.
"Kann ich dich kurz sprechen?", fragte sie ernst und sein Lächeln sackte ab.

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Neues Kapitel und Cover!

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