Ich habe an meiner rechten Schulter drei kleine, mondförmige Narben. Die entstanden an diesem Tag, als alles aus dem Ruder lief...
Es war eine stürmische Oktobernacht. Regen peitschte an die schmutzigen Fenster des Gaswerkes und kalter Wind liess mich frösteln. Die Hände tief in den Jackentaschen gesteckt, lief ich vor der ratternden Maschine auf und ab. Mein kleines ich zuckte zusammen, als ein Blitz den Raum erhellte. Kai, mein bester Freund, klopfte mir auf die Schulter und meinte: "Komm schon, Will, mach nicht so ein missmutiges Gesicht. Na ja, die Maschinen laufen doch. Denk einfach positiv!" Zur Antwort zuckte ich jedoch nur mit den Achseln. Angestellten tuschelten leise und der Regen prasselte an die Fenster wie an jenem Tag, an dem ich hier angefangen hatte. Keine andere Wahl hatte ich, als das zu tun und so meiner Familie aus der finanziellen Notlage heraus zu helfen und ihr frisches Gemüse nach Hause zu bringen. Mit vier Kindern schafften es meine Frau und ich gerade noch. Kai ging es da nicht anders. So mussten wir uns beide für den Job, im Gaswerk zu arbeiten, entscheiden. Er war nicht
sonderlich gefragt, jedoch ziemlich gefährlich. Ausserdem war es hier nicht besonders schön: Der Boden war steinern und unebenen, die Maschinen waren alt und hatten viele Schäden. Die Blümchentapete an den Wänden blätterte ab und es gab kein Licht. Auf jeden Fall standen wir nun einfach da und schwiegen. Um uns herum waren leise Stimmen der anderen Arbeiter zu hören. Als gerade ein, zwei Regentropfen von der Decke rannen, rief jemand von nebenan: "Eine Maschine ist aus!" "Ich bringe sie wieder in Ordnung!", antwortete ich. Rasch hatte ich den alten Brummer durch jahrelange Übung wieder unter Kontrolle gebracht. Schon wieder war ein lauter Donner zu hören. Es regnete immer noch in Kübeln. Gerade wollte ich das Fenster schliessen, als ganz unerwartet ein Blitz mit einem heftigen: "Krach!", in die Fabrik einschlug. Laute Schreie der Arbeiter waren zu hören. Die Fabrik fing Feuer!
Heute war es das erste Mal nicht wie immer.
Alle Angestellten der Fabrik wollten nur noch raus. Nur ich war einer der wenigen, die keine Hoffnung mehr hatten. Denn ich hatte grosse Angst vor Feuer. Ich glaubte, dass die letzte Stunde meines Lebens geschlagen hatte.
"Komm schon!", schrie Kai mich an und zerrte an meinem Ärmel. Dann endlich kam ich in Bewegung. Zusammen rannten wir durch die vielen Gänge und Winkel des Gaswerkes. Auf einer Treppe blieben wir dann stehen um durchzuatmen. Hechelnd sagte ich zu Kai: "Gas ist sehr brennbar und explodiert schnell. Wir müssen also so schnell wie möglich hinaus. Am besten gehen wir in den Lift dort vorne." Wir flogen schon fast die Treppe runter, bis wir endlich vor der kleinen Kabine stehen blieben. Kai drückte den Knopf. Mit lautem Geratter ging die blecherne Schiebetür auf. Als der kleine Lift anfing zu ruckeln, entspannten sich meine Schultern und ich wurde ruhiger. Meinen besten Freund sah ich dankbar an. Ohne ihn wäre ich dort oben stehen geblieben und ums Leben gekommen. Plötzlich blieb der Lift stehen. Ich fragte: "Sind wir schon unten?" "Will, wir sind stecken geblieben!" Ich starrte verzweifelt in die Ecke. Doch was sah ich da? "Ach du grosse Kacke. Da oben kommt Rauch herein! Wir werden ersticken!", schrie ich entsetzt. Mein allerbester Freund und Retter in der Not hatte immer grandiose Ideen. Doch heute half ich uns auch mal aus der Patsche. Mit einer Wasserflasche, die ich in meinem Rucksack hatte, und zwei Halstüchern bastelte ich Atmungshilfen, indem ich die Tücher im kalten Wasser eintauchte und uns vor Mund und Nase band. "Wir müssen hier raus. Irgendwelche Vorschläge?", fragte Kai. "Wir könnten durch die Decke steigen!", meinte ich. Immer mehr Rauch zog in den Lift. Wir standen enorm unter Zeitdruck. Wir mussten es schaffen, die Decke einzuschlagen, bevor wir in dieser kleinen Kabine erstickten. Ein brennender Schmerz in meiner Lunge verriet mir, dass ich nicht mehr lange durchhalten würde.
"Geschafft", keuchte Kai. Es fühlte sich wie eine Ewigkeit an, obwohl nur etwa drei Minuten seit dem Einschlag des Blitzes vergangen waren. Mühsam kroch Kai und ich durch die Liftdecke. Dann hatten wir es geschafft. Mein bester Freund zog sich als erstes durch den Liftschacht. Erschöpft standen wir nun vor einer kleinen, schmalen Treppe. Russbedeckt und erschöpft. Keiner von uns beiden konnte noch sprechen. Doch jetzt mussten wir einfach überleben. Flammen leckten am Kragen meines T-Shirt. Der einzige Ausweg war die schmale Treppe nach unten. Wir nickten uns kurz zu und dann ging das rasante Abenteuer weiter. Ich und mein bester Freund hinter mir rannten die schmale Treppe nach unten. Kai zeigte auf ein kleines Fenster in einer Ecke. Was er damit meinte, wusste ich sofort. Er wollte springen. Kopfschüttelnd wollte ich gerade weiterrennen, als ich sah, dass wir von Feuer umzingelt waren. Also war der einzige Ausweg der Sprung aus dem Fenster. Jetzt waren schon vier Minuten um. Wir wussten, es konnte nicht mehr lange gehen, bis die Fabrik in die Luft flog. Die Flammen rückten immer näher und näher und ich bekam immer und immer weniger Luft. Verzweifelt schauten wir uns an. Entschlossen näherte ich mich dem Fenster und öffnete es. Kai nahm meine Hand und zusammen sprangen wir.
Wenige Augenblicke später kam mein allerbester Freund, Kai tragisch ums Leben. Beim Sturz aus dem Fenster zog er sich tödliche Kopfverletzungen zu. Aufgrund meiner Ohnmacht, erfuhr ich erst in der Zeitung, dass wir knapp der Explosion entkommen waren. Noch heute will ich mich ungern an den Tag erinnern, an dem alles aus dem Ruder lief
DU LIEST GERADE
Der Tag an dem alles aus dem Ruder lief
AdventureIch habe für euch eine Kurzgeschichte geschrieben... Ich hoffe sie gefällt euch!!! Schreibt doch gerne in die Kommentare wie ihr die Geschichte findet. Ich wünsche euch viel spass beim lesen und hoffe euch gefällt meine Geschichte. :)