Kapitel 2

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Fotografie gehörte eigentlich zu den Fächern, die mir Spaß machten, doch heute zog sich die Stunde hin, wie Kaugummi. Mr Davis hielt einen nicht enden wollenden Vortrag über Lichtverhältnisse, dabei hatte er uns all das bereits in den vergangenen Wochen erklärt und gezeigt. Eigentlich war er kein Mann der vielen Worte, normalerweise bevorzugte er es, uns das ganze an praktischen Beispielen zu veranschaulichen, da wir es dann, wie er so gerne sagte, viel besser lernen und verinnerlichen konnten.
Ganz anders, als sonst, seufzte ich erleichtert, als die Pausenglocke das Ende der Stunde verkündete. Eilig packte ich meine Sachen zusammen und verließ dann als eine der ersten den Raum. Mit zügigen Schritten lief ich durch das Schulgebäude und trat schließlich durch den Haupteingang hinaus ins Freie.
Die Sonne stand noch immer hoch oben am Himmel und der Wind blies mir eine warme Brise entgegen, die mir ein paar Haarsträhnen ins Gesicht pustete. Sofort stahl sich ein kleines Lächeln auf mein Gesicht. Gleich viel besser gelaunt ging ich hinüber zu meinem Fahrrad und öffnete das Schloss.
Auf dem gesamten Weg nach hause summte ich vor mich hin, so gute Laune bereitete mir das schöne Wetter.
Als ich Zuhause ankam, stellte ich mein Fahrrad in der Einfahrt ab und schloss die Haustür auf. Ich streifte mir die Turnschuhe von den Füßen, machte dann einen kurzen Umweg über die Küche, wo ich mir eine Packung Schokoladenkekse aus dem Schrank nahm, und stapfte dann mit geschultertem Rucksack die Treppe hoch.
Am liebsten würde ich mich einfach in die Hängematte, die in unserem kleinen Garten hing, legen und ein wenig lesen, bevor ich zu Charlie fahren würde, doch das Geschichts-Referat würde sich wohl kaum von alleine machen.
Ich warf die Kekspackung auf mein Bett und holte dann meinen Laptop und mein Geschichtsbuch. Ich lehnte mich ans Kopfende meines Bettes und stopfte mir ein Kissen in den Rücken, dann begann ich zu arbeiten. Während ich mir die verschiedensten Artikel über den Beginn des ersten Weltkriegs durch las, schob ich mir einen Keks nach dem anderen in den Mund.
Erst fast eine Stunde später schreckte ich hoch, da mein Handy-Timer zu klingeln begonnen hatte. Erleichtert klappte ich meinen Laptop zu und griff nach dem Handy um es zum verstummen zu bringen.
Als ich das Display anschaltete, blinkten mir einige neue Benachrichtigungen entgegen. Mom schrieb, dass es heute bei ihr wohl etwas später werden würde, Granny erkundigte sich, was die Schule machte und Alicia fragte, ob wir morgen früh zusammen zur Schule fahren wollten. Nachdem ich all ihre Nachrichten beantwortet hatte, klickte ich auf das Bild, das Charlie geschickt hatte. Es zeigte die strahlende Sonne und darunter stand ‘Lust auf ne Runde Strand?‘ Schnell tippte ich ‘Klar, bin in einer Viertelstunde bei dir‘ und wühlte mich dann auf der Suche nach einem Bikini durch meinen Kleiderschrank. Ich sollte das Chaos, das darin herrschte dringend beseitigen, bevor Mom Wind davon bekam, sonst würde ich mir eine ihrer berüchtigten Ordnungspredigten anhören müssen und darauf konnte ich wirklich verzichten!
Als ich schließlich einen schlichten blau weiß gestreiften Bikini gefunden hatte, schlüpfte ich rasch hinein und zog ein luftiges Sommerkleid darüber. Auf dem Weg zur Haustür warf ich noch schnell ein Handtuch, mein Handy, eine Flasche Wasser und mein Portemonnaie in den Rucksack, dann schwang ich mich auf mein Fahrrad und radelte einmal quer durch Hampton.
Es dauerte nicht lange die Stadt einmal ganz zu durchqueren.
Das kleine Häuschen in dem Mom und ich lebten, lag fast unmittelbar am Fuße der Bergkette, die Hampton vom restlichen Land trennte, Charlie und ihre Familie hingegen wohnten nur einen kurzen Fußmarsch vom Meer entfernt. Dennoch brauchte ich mit dem Rad nur um die zehn Minuten bis zu ihr.
Bereits von weitem entdeckte ich Charlie. Mit einem neonorangenen Kleid bekleidet stand sie vor ihrem Haus und winkte mir entgegen. Ich hätte darin vermutlich unfassbar lächerlich ausgesehen, doch sie strahlte mit der Sonne um die Wette.
„Heeey“, rief sie, als ich schlitternd vor ihr zum stehen kam, „Lassen wir die Räder hier, oder willst du lieber fahren?“
„Lass uns laufen.“, entschied ich und kettete mein Fahrrad an ihren Gartenzaun.
Wir bogen in den schmalen Weg ein, der direkt am Grundstück der Harrison´s vorbei führte. Er verlief zwischen ein paar Häusern hindurch und mündete dann in einem kleinen Park, der eigentlich nur aus einem Spielplatz und einer großen Wiese bestand. Als Kinder hatten wir hier oft gemeinsam gespielt, während Mom und Amylee auf einer der Parkbanken gesessen hatten und Stunden lang quatschten. Damals hatte Mom noch nicht so viel arbeiten müssen.
Nachdem Dad gestorben war, war ich oft mit Charlie und Amylee alleine her gekommen, weil Mom anfangs Zeit für sich gebraucht hatte, bevor sie sich voll und ganz in ihre Arbeit gestürzt hatte um mir ein Leben mit allem, was ich brauchte zu ermöglichen.
„Hast du dein Geschichts-Referat schon fertig?“, fragte Charlie. „So gut wie.“, antwortete ich, „Ich wünschte, ich hätte das alles auch schon hinter mir!“
Sie hatte ihren Vortrag bereits letzte Woche gehalten.
Mrs Johns hatte es für eine tolle Idee gehalten, dass jede zweite Woche ein Schüler, in Form eines Referates, den Unterricht fortführte.
„Glaub ich dir!“, sagte sie mit einem Lachen, „Das war so ein Stress! Ich wünschte, ich hätte so rechtzeitig angefangen, wie du!“
Charlie fing immer zu spät an zu lernen. Ich hingegen war so etwas, wie ein Organisationstalent. Manchmal fragte ich mich, wie es mir gelang und woher ich die Motivation nahm, aber es war verdammt praktisch! Vermutlich würde ich an Stress und Übermüdung sterben, wenn ich das ganze so handhaben würde, wie meine beste Freundin.
Wir durchquerten den Park und bereits wenige Minuten später spürte ich den ersten Sand in meinen Turnschuhen. Schnell zog ich sie aus, bei diesem Wetter waren sie eigentlich eh viel zu warm. Charlie tat es mir gleich und so liefen wir barfuß in Richtung Wasser. Kaum, dass wir an unserem Lieblingsplatz angekommen waren, ließ Charlie ihre Sachen in den Sand plumpsen. „Wer zuerst im Wasser ist!“, rief sie und zog sich das Kleid über den Kopf. Empört ließ auch ich meinen Rucksack fallen, „Eyy, das ist nicht fair!“
Achtlos schmiss ich das Kleid neben unsere restlichen Sachen und sprintete über den Sand. Fast gleichzeitig, wie Charlie warf ich mich in die Wellen. „Na siehst du, hast es doch geschafft!“, rief sie lachend und kreischte dann auf, als ich ihr einen Schwall Wasser ins Gesicht spritzte. „Miiiiia!“, rief sie empört.
Eine Weile planschten wir in den Wellen, doch dann kehrten wir an den Strand zurück um ein wenig Volleyball zu spielen. Es war vielleicht nicht die beste Idee, da keine von uns sonderlich gut darin war, aber wir hatten unseren Spaß.

Am Abend saß ich in meinem Zimmer auf dem Fensterbrett und las ein Buch. Wir waren noch eine Weile am Strand geblieben, dann hatte ich Charlie nach Hause gebracht. Eigentlich hatte ich geplant danach gleich nach hause zu fahren, doch Amylee hatte mich, als sie erfahren hatte, dass Mom heute besonders lange auf Arbeit sein würde, kurzerhand zum Abendessen eingeladen.
Ich genoss jede Minute, die ich bei den Harrison´s verbrachte. Die Familie schien so… perfekt. Mom und ich liebten uns, aber es war einfach etwas ganz anderes als bei Charlie und ihrer Familie. Während ich oft alleine war, war bei ihr immer was los. Selbst, wenn ihre Eltern nicht da waren, war fast immer einer ihrer drei Brüder zuhause.
Charlie beschwerte sich oft darüber, dass sie das Haus so gut wie nie für sich hatte, doch obwohl ich sie auch ein wenig verstand, konnte ich es nicht wirklich nachvollziehen.
Zum Abschied hatte Amylee mich einmal fest gedrückt und mir aufgetragen Mom auszurichten, dass sie sie vermisse.
Mittlerweile war es schon fast um neun, doch noch immer war Mom nicht da. Es dürfte nicht mehr lange dauern, bis sie kam, doch langsam machte ich mir ein wenig Sorgen um sie. In den letzten Wochen kam es immer häufiger vor, dass sie erst so spät nach Hause kam, doch sie beteuerte mir, dass es ihr gut ginge und dass diese Phase bald wieder vorbei sein würde.
Ich hoffte wirklich, dass es stimmte, denn was sie momentan tat, war nicht gesund. Manchmal fühlte es sich ein wenig so an, als sei ich die Mutter und sie das Kind, dem man sagen musste was gut für es war und was nicht.
Während meine Augen über die Zeilen flogen, spürte ich, wie sich die Müdigkeit langsam in mir breit machte. Nach ein paar Minuten schlug ich das Buch zu und legte es neben mich. Kurz sah ich der Sonne dabei zu, wie sie hinter den Bergen verschwand, dann ging ich ins Bad um mir die Zähne zu putzen.
Als ich gerade ins Bett kletterte und mir die Decke bis zum Kinn hochzog, hörte ich, wie unten die Tür aufgeschlossen wurde. Einige Minuten lauschte ich, wie Mom erst ihre Schlüssel und dann ihre Tasche ablegte. Ich konnte hören, wie sie unten umher lief, vermutlich holte sie sich etwas zu essen, dann kamen Schritte die Treppe hoch. Ihr Kleiderschrank quietschte, wie immer, wenn sie ihn öffnete. Mom zog sich immer gleich um, wenn sie nach Hause kam. Sie hatte mir einmal erklärt, dass es ihr helfe ihre Gedanken von ihren Forschungen los zu bekommen.
Kurz darauf klopfte es an meiner Tür und nach einem „Mhm“, meinerseits öffnete sie sich und Mom steckte ihren Kopf durch den Türrahmen. „Hallo, Mäuschen.“, sagte sie und kam hinüber zu meinem Bett. „Hi, Mom.“, sagte ich. „Wie war dein Tag?“, fragte sie und gab mir einen Kuss auf die Stirn.“
Kurz dachte ich nach, „Alles in allem ganz schön.“, sagte ich schließlich, „Schule war langweilig, aber Charlie und ich waren am Meer.“
„Das klingt doch schön, wie gehts ihr?“, erkundigte sie sich. Es klang so, als hätten Charlie und ich uns eine halbe Ewigkeit nicht mehr gesehen, dabei sahen wir uns jeden Tag in der Schule.
„Super.“, antwortete ich, „Weißt du… Amylee vermisst dich… Sie sagt, sie würde gerne wieder mehr Zeit mit dir verbringen.“
Ein kleiner Schatten huschte über Moms Gesicht. „Ja. Ja, ich vermisse sie auch…“, sagte murmelte sie.
„Mom, geht es dir gut?“, fragte ich. „Natürlich, Schatz!“, sagte sie und ein Lächeln trat auf ihr Gesicht, doch ich war mir nicht ganz sicher, ob es echt war. „Sicher?“, flüsterte ich. „Ja!“, es klang etwas zu bestimmt.
Dennoch sagte ich: „Dann ist ja gut...“
„Weißt du was?“, fragte Mom, „Ich glaube, ich schreibe Amylee gleich mal. Ja, das mache ich! Das ist eine gute Idee!“
„Sie wird sich freuen von dir zu hören!“, versicherte ich. „Schlaf gut, Mia!“, erneut gab sie mir einen Kuss und stand dann auf. „Gute Nacht Mom.“, wünschte ich mit einem kleinen Lächeln.
Sie wollte gerade die Tür schließen, doch ich stoppte sie: „Mom?“ „Ja, Liebling?“, fragte sie. „Ich hab dich lieb!“, sagte ich. „Ich dich auch!“
Sie lächelte mich noch einmal an und schloss dann die Tür.
Die Müdigkeit, die eben noch an meinen Augenlidern gezogen hatte, war mit dem Gespräch plötzlich wieder verschwunden, also knipste ich meine Lichterkette an und griff nach meinem Handy. Einen Moment überlegte ich einen Podcast zu hören, doch dann entschied ich mich stattdessen lieber Charlie zu schreiben, sie war mit Sicherheit noch wach.
Und tatsächlich, bereits wenige Sekunden nachdem ich die Nachricht abgeschickt hatte, erschien ihre Antwort auf dem Display. Sie schrieb, dass sie es sich gerade in ihrem Bett gemütlich gemacht hatte, nachdem ihr jüngster Bruder, River, sie ewig belagert hatte. Zu ihrer Erleichterung hatte ihr Dad ihn jetzt aber ins Bett geschickt und las ihm noch eine Geschichte vor.
Ehe ich es mir versah, waren wir auch schon in eine Unterhaltung über unseren geplanten Ausflug ins Stream vertieft.
Als ich das nächste mal auf die Uhr sah, war es schon kurz nach zehn und so entschied ich, dass es nun Zeit zum schlafen war.
Rasch verabschiedete ich mich, legte mein Handy auf das Nachttischchen neben meinem Bett und knipste dann das Licht aus.
Eine Weile lauschte ich noch den Geräuschen des Fernsehers unten und den gelegentlichen Kommentaren, die Mom zur Sendung abgab, dann drehte ich mich auf die Seite und schloss die Augen.
Nur wenige Minuten später war ich eingeschlafen.

The Secrets Hidden In Your ShadowsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt