Kapitel 8

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ALBA

Im Foyer des Lennox Hill Krankenhauses herrschte geschäftiges Treiben. Permanentes Telefonklingeln mischte sich unter das Stimmengewirr von dutzenden Menschen, die an der Anmeldung standen oder auf Stühlen im ersten Wartebereich saßen und Patientenbögen ausfüllten.

"Können Sie Doktor Lewis holen?", fragte David eine Krankenschwester, die im Begriff war an ihnen vorbeizulaufen, und hielt diese am Arm fest. "Doktor Lewis, sofort", wiederholte er mit Nachdruck. Die Frau mit den müden Augen nickte so eifrig, dass der graue Dutt auf ihrem Kopf wankte, und eilte davon.

Eine halbe Minute später kam die in die Jahre gekommene Dame zurück, gefolgt von einem Arzt im weißen Kittel. Der Mann war hoch gewachsen, schätzungsweise kaum älter als David und Frank. Er sah aus wie aus einer dieser TV Serien, in denen jeder Schauspieler auch als vielgebuchtes Topmodel durchging. Die Haare zu einer modernen Gelfrisur nach hinten gekämmt, und mit einem strahlend weißen Zahnpastalächeln unnatürlich gerader Zähne, kam er auf David und Alba zu.

"Hallo, ich bin Doktor Franklin Lew...", begann der Mann sich vorzustellen, doch David unterbrach ihn direkt.

"Sie sind Dr. Lewis, das wissen wir. Haha. Sonst wären wir ja nicht hier. Hören Sie, Frank hat uns geschickt." Er rieb sich nervös mit der Hand den Nacken und presste die Lippen aufeinander.

"Frank Ca..." Der Mediziner stoppte abrupt und legte den Kopf leicht schief.

Das hält man doch nicht aus, dachte Alba. Was für ein Kerl war dieser Frank, dass die Leute nicht einmal seinen vollen Namen aussprachen? Sie verstand es nicht.

"Genau der", bestätigte David und versuchte das Gespräch schneller voranzubringen. "Stichverletzung im Abdominalbereich."

Doktor Lewis runzelte die Stirn. "Na wenn das so ist." Er winkte dem Pfleger und der Krankenschwester zu, die ein paar Meter entfernt standen, wie bestellt und nicht abgeholt. "Ich kümmere mich darum. Sie können gehen."

Nachdem sich das Personal abgewandt hatte und wieder anderen Aufgaben widmete, bemächtigte er sich des Rollstuhls und führt die beiden in ein leeres Behandlungszimmer. Die alten Halogenlampen an der Decke surrten, nachdem der Lichtschalter betätigt wurde. Durfte man solche Leuchtmittel überhaupt noch verbauen?

Das männliche Teilzeitmodel im Arztkostüm seufzte, ließ sich auf einen Bürostuhl sinken und rollte damit vor Alba. "Lass mal sehen", forderte er auf und hob ohne jegliche Vorwarnung die Bluse über ihren Bauch. David, der irgendwo im Hintergrund stand, hüstelte verlegen. Der Arzt ignorierte ihn, betrachtete die geflickte Wunde, wobei er den Kopf mehrfach hin und her neigte.

"Das hat er wirklich gut gemacht", bemerkte er schließlich. "Aber Frank hat ja auch genug Erfahrung." Es war eine weitere Aussage, deren Bedeutung Alba nicht verstand. Allerdings zweifelte sie daran, dass einer der beiden im Raum anwesenden Männer ihr eine Erklärung abgeben würden. Neugier ist jetzt Fehl am Platz. Du hast etwas zu erledigen, rügte sie sich.

"Da brauche ich kein Messgerät, um zu erkennen, dass dein Kreislauf nicht mehr von selbst auf Kurs kommt", diagnostizierte Doktor Lewis, der Albas Puls am Handgelenk kontrollierte und dabei prüfend auf den Sekundenzeiger seiner Uhr schaute.

"Frank meinte, die Wunde könnte septisch sein", ergänzt David mit dem Zeigefinger an der Lippe. Der Arzt nickte zustimmend.

"Sehr wahrscheinlich, bei dem Fieber." Mit einer kleinen Diagnostikleuchte, welche bis dahin noch in seiner Brusttasche steckte, kontrollierte er anschließend die Reflexe ihrer Pupillen. Leuchtete langsam von links nach rechts und wieder zurück.

"Ich würde dich gern hierbehalten", stellte er klar und sah Alba mit ernstem Gesichtsausdruck an. Dann drehte er sich zu David um. "Sie hätte sofort hierher gehört. Zum Glück ist es noch nicht lebensbedrohlich. Wir bekommen die Patientin bald wieder auf die Beine. Ich bringe sie jetzt auf ein Zimmer und werde die nötige Medikamentation einleiten. Soll ich Frank anrufen, dass er sie abholt, wenn sie entlassen werden kann?"

David warf Alba einen merkwürdigen Blick zu. "Nein. Ich hole sie ab. Also, wenn sie das möchte?" Alba nickte.

"Etwas anderes war irgendwie nicht zu erwarten, hm? Hinterlassen Sie Ihre Nummer an der Rezeption." Doktor Lewis Tonfall war scharf, irgendwie verärgert. Doch er kümmerte sich nicht weiter um David, sondern holte bereits einen vorgefertigten Patientenbogen aus der Schublade des Schreibtische, von wo er zuvor schon den Stuhl hervorgezogen hatte, auf dem er saß.

Verlegen hob David die Hand und winkte Alba zum Abschied, bevor er das Behandlungszimmer verließ. Sie schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln, weil sie das Gefühl hatte, es ihm schuldig zu sein.

soulache | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt