Kapitel 9

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FRANK

Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis David zurückkam. Wie ein Tier, gefangen in einem Käfig, lief er den immer gleichen Kreis, rundum die Couch in der Mitte des Apartments. Die Stirn gezeichnet von tiefen Falten, rieb er sich nahezu unablässig das vom Zweitagebart stoppelige Kinn.

Unerklärlicherweise, war er voller Sorge um diese Frau, die ihm gänzlich fremd war. Wenn sie in Zukunft im Rollstuhl sitzen müsste, nur weil er sie nicht sofort ins Krankenhaus gebracht hatte, würde er sich das nie verzeihen. Es war eine Sache, wildfremde Scheißkerle aufzuspüren und sie zur Rechenschaft zu ziehen, aber eine unschuldige Frau zu verletzen wäre unverzeihlich.

Es gab nicht viele Regeln in Franks Leben, doch seinen Sinn für Gerechtigkeit hatte er sich immer bewahrt. Und irgendwie war er auch ein wenig stolz auf sich selbst, seinen eigens auferlegten Kodex bisher nie gebrochen zu haben. Damit wollte er jetzt nicht erst anfangen.

Ein Teil der aufgebauten Anspannung fiel von ihm ab, als es an der Tür klingelte. Ohne anzuzweifeln, dass es David war, dem er öffnete, betätigte er den elektrischen Türöffner. Dass sich spontan ein anderer Kumpel einlud, stand außer Frage.

Neben David gab es nur noch Curtis in seinem Leben, dem es nicht im Traum einfallen würde, im Apartment aufzukreuzen. Die beiden bevorzugten es, sich nur noch auf neutralem Terrain zu treffen, um ihrer beider Wohnorte zu schützen. Die Vergangenheit war zu voll gespickt von unschönen Ereignissen. Vor allem, weil die meisten in Curtis Wohnung stattfanden.

"Geht es ihr gut?", wollte er wissen, sobald er den zerzausten Lockenkopf seines alten Freundes erblickte, und konnte die Ungeduld nur schwer verbergen.

David war ein wenig außer Atem, weil er sich mit dem Aufstieg beeilte. "Ja, Frank, es geht ihr gut und sie ist in guten Händen. Obwohl der Doktor nicht erfreut war, dass du sie nicht direkt ins Krankenhaus gebracht hast."

"Kann ich mir vorstellen", grummelte Frank und fuhr sich mit einer Hand durchs Haar. "Er steckt auch nicht in meiner Haut und muss sich keine Sorgen machen, im Knast zu landen." Er machte eine einladende Geste nach drinnen.

"Wir müssen nicht darüber diskutieren, dass du hättest aufhören können, um nicht weiter in dieser Lage zu sein", entgegnete David streng. Mit einem Rumms ließ er sich auf die ausgesessene Couch fallen und warf den Kopf nach hinten. "Eine hübsche Frau hast du dir da angelacht."

War das sein verdammter Ernst? Jeder Muskel in Frank spannte sich an. "Spinnst du jetzt?"

David lachte. Seine Augen verengten sich dabei zu kleinen Schlitzen und Lachfalten traten hervor. "Also ich habe die Faszination direkt gespürt. Du nicht?"

Jetzt hat er komplett den Verstand verloren, dachte Frank und spürte, wie sich Verärgerung als Druck in der Brust manifestierte. Ein Grunzen entwich seiner Kehle. "Alles was ich gespürt habe, war ihr Blut, das mir ins Genick lief, während ich sie hier her trug."

"Ihr habt nicht viele Worte gewechselt, oder?"

Manchmal konnte dieser verkappte Nerd einem wirklich auf die Nerven gehen. Seine ständigen Fragen und diese ganze Menschlichkeit, mit der er Dinge betrachtete, hatten Frank von Anfang an genervt. "Nein, David, wir haben nicht viele Worte gewechselt. Tatsächlich war ich damit beschäftigt, dass sie nicht verblutet."

Doch David ließ sich nicht so leicht beirren. Er kannte Frank gut genug und ignorierte seine bissigen Kommentare geflissentlich. "Also, ich habe mit ihr gesprochen. Während der Autofahrt."

"Klingst wirklich schwer beeindruckt von ihr."

"Sie scheint nett zu sein."

"Nett?", wiederholte Frank mit hochgezogener Braue und musterte seinen Freund misstrauisch.

"Ja, nett. Na gut, und neugierig."

Erschrocken lehnte sich Frank vor und funkelte mit zusammengekniffenen Augen böse David an. "Wenn du ihr irgendetwas erzählt hast, dann schwöre ich dir..."

"Ja, ja. Schon gut, Frank. Beruhige dich. Ich habe ihr nichts gesagt. Es ist dein Leben und es sind deine Entscheidungen!"

Im Grunde wusste er, dass er sich auf David verlassen konnte und dieser niemandem etwas erzählen würde. Er war ein loyaler Freund. Nicht zuletzt, weil er Frank ziemlich viel verdankte. Ohne dessen Hilfe und Zusammenarbeit hätte er seine Familie vermutlich nie wieder gesehen. Aber auch Frank verdankte viele glimpfliche Wendungen in seinem Leben Davids Hilfe.

Eine Weile nippten beide, in eigenen Gedanken verloren, an ihren Bieren. Bis David plötzlich fragte: "Denkst du, sie war zur falschen Zeit am falschen Ort? Dass es Zufall war?"

"Ich glaube nicht an Zufälle."

"Aber sie war doch joggen, richtig?"

"War sie, aber in dieser Stadt kann man nie mit Sicherheit sagen, wer Dreck am stecken hat." Frank wusste, dass David so eine Antwort nicht gern hörte. Im Gegensatz zu ihm, glaubte David an das Gute im Menschen. Frank sah jedoch immer nur das Schlechte. Die Korruption, Lügen und Intrigen, Gewalt und Missgunst.

Er erinnerte sich an den Ausweis, den er bei Elenas Kleidung gefunden hatte. Das kleine Plastikkärtchen lag auf dem Couchtisch vor ihnen. Frank beugte sich leicht nach vorn, um es aufzunehmen und David zu reichen, der daraufhin laut vorlas: "Elena Parker ... Washington, D.C.?"

"Durchleuchte sie." Es war keine Bitte, viel mehr ein Befehl. Er hatte die ganze Zeit darüber nachgedacht, ob er es ihm auftragen sollte. Sein Leben war wie ein Magnet für Schlechtes und die Intuition, dass etwas an dieser Sache merkwürdig war, nahm er ernst.

Anhand von Davids Gesichtsausdruck, wusste Frank, dass er verstanden hatte. Trotzdem fragte ihr, um sich zu versichern: "Willst du das wirklich?"

"Ja."

Eigentlich wollte er es nicht, zumindest nicht der Frank, der er dachte mittlerweile zu sein. Er hatte sich damals bei Amy eingemischt, was eine riesige Lawine Scheiße über alle brachte. Das sollte nicht wieder geschehen. Doch ein anderer Teil seiner Persönlichkeit schien Gründe dafür zu haben, sich über Elena Parker vergewissern zu wollen. Auch wenn er diese Gründe nicht benennen konnte.

soulache | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt