Kapitel 14

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ALBA

Seit sie Jayden das letzte Mal gesprochen hatte, waren bereits zehn Tage vergangen. Es wunderte Alba, dass ihr bester Freund es fertig brachte, sich nach diesem emotional stark geladenen Telefonat nicht wieder zu melden. Er rief nicht an und er schrieb nicht zurück, nachdem sie ihm am nächsten Morgen gleich eine Entschuldigungsnachricht im Messenger sendete.

Die ganze Sache tat ihr furchtbar Leid, denn sie wusste, dass er es nur gut meinte und sie aufbauen wollte, so wie er es die letzten drei Jahre schon getan hatte. Jayden war alles, was ihr noch geblieben war, das letzte Bisschen Halt in dieser grausamen Welt, für die sie nur noch wenig übrig hatte.

Ein letztes Mal überprüfte Alba, ob es irgendeine Rückmeldung von Jayden gab, doch das Display präsentierte ihr nur die Uhrzeit vor irgendeinem zufälligen Hintergrundbild. Zehn Minuten nach zehn Uhr abends, mittlerweile war es dunkel und sie furchtbar nervös.

Allein schon der Ablenkung wegen, aber auch, weil sie endlich etwas unternehmen wollte, hatte sie die letzten Tage genutzt, um die Gewohnheiten von Vargas zu studieren. Was gar nicht so leicht war, da dieser Typ quasi von der Hand in den Mund lebte und die verschiedensten Aufträge annahm. Dabei eine zuverlässige Routine zu finden, schien wie eine Sisyphusarbeit.

Letztendlich gab es allerdings doch einen Hinweis, auf eine recht beständige Verhaltensweise von Vargas. Er machte jeden Abend, bis auf einen, in den vergangenen Tagen, einen kurzen Zwischenstopp bei einem alten Lagerhaus. Vermutlich, um sich für seine jeweiligen Jobs auszustatten.

Das Alba nicht wusste, was sie dort erwarten würde, schnürte ihr die Kehle zu. Es wäre ihr wesentlich lieber gewesen, eine etwas weniger unnormale Routine zu finden, um Vargas in die Finger zu bekommen. Doch was für normale Routinen konnte ein Scheißkerl wie er schon haben, Toilettengänge? Es half nichts, seine Zwischenstopps bei diesem Lagerhaus waren ihre beste Chance.

Obwohl sie den Weg in den letzten Tagen wieder und wieder gefahren war, und es sich eigentlich nur um eine Strecke von 20 Minuten mit dem Auto handelte, kam es ihr an diesem Tag vor, als wäre sie keine 5 Minuten unterwegs gewesen. Sicherheitshalber parkte sie den Wagen ein paar Straßen entfernt und legte die restlichen Meter zu Fuß zurück. Als das heruntergekommene Gebäude in Sicht kam, schluckte sie. Wenn ihr hier etwas zustoßen würde, bekäme es niemand mit.

Auf der gegenüberliegenden Seite stand ein großer Müllcontainer, vor einem nicht weniger heruntergekommenen Haus, hinter dem Alba sich in Deckung hockte. Diese Nebenstraße war so abgelegen und totenstill, dass man die Lampe vor dem Lagerhaus klicken hörte, weil sie in unregelmäßigen Abständen Aussetzer hatte, die das Licht für einige Sekunden unterbrachen.

Vargas war pünktlich und fuhr kurz vor elf Uhr vor. Die Art und Weise, wie unbekümmert er aus dem Fahrzeug stieg, verdeutlichte, dass er sich in dieser Gegend sicher fühlte, ganz im Gegensatz zu Alba. Er pfiff sogar leise vor sich hin, während er den Wagen abschloss und die fünf brüchigen Stufen hinauf zum Vordereingang des Hauses nahm. Das war ziemlich irritierend, denn sonst hatte er den Lagerraum immer durch ein eingedelltes Rolltor, um die Ecke des Gebäudes, betreten.

Prüfend blickte Alba noch mal in alle Richtungen, bevor sie über die Straße huschte und den gleichen Weg über die Treppen zum Vordereingang nahm. Um so wenig wie möglich Lärm zu verursachen, drückte sie die Türklinke ganz vorsichtig nach unten. Erleichtert von der Tatsache, dass sich die Tür mühelos öffnen ließ, seufzte sie. Es bedeutete, dass Alba keinen Gebrauch von dem elektrischen Türöffner machen musste, den sie extra besorgt hatte und der sie im schlimmsten Fall aufgrund seiner Geräusche hätte entlarven können.

Der Eingangsbereich drinnen war nicht beleuchtet, was zum einen vorteilhafte Deckung bot, aber zum anderen heikel war, denn dadurch hatte sie Mühe, sich zurecht zu finden, und musste sich vorsichtig an der Wand entlangtasten. Als plötzlich mehrere Stimmen von weiter weg zu hören waren, blieb Alba wie versteinert stehen. Fuck!

Es waren mehr Leute anwesend als nur Vargas. Es klang, als befänden sie sich in den unteren Kellerräumen, deren Treppenabgang sich, durch die Beleuchtung darin, wie ein weit geöffneter Schlund in der Dunkelheit des Flures abzeichnete.

Für einen Moment rutschte ihr das Herz in die Hose und ihr Magen meldete ein flaues Gefühl. Das hätte sie sich doch denken können, dass sich hier noch anderes Pack herumtreibt. Wütend über sich selbst ballte Alba die Faust und hielt sie vor den Mund. Das war eine ganz dumme Idee!, fluchte sie still.

Gerade, als sie sich zurückziehen und das Gebäude verlassen wollte, gab es einen lauten Rumms von draußen. Es klang, es hätte jemand das Rolltor mit einem gewaltigen Schwung aufgestoßen. Alba rührte sich keinen Millimeter. Mit angehaltenem Atem stand sie zitternd in dem dunklen Flur und lauschte, während in den Kellerräumen mit einem Mal die Hölle loszubrechen schien.

Mehrere Männerstimmen, es ließ sich gar nicht ausmachen, wie viele, brüllten wild und wütend durcheinander. Irgendetwas krachte laut zu Boden, doch Alba hatte keine Ahnung, was es war. Entgegen allen gesunden Menschenverstands bewegten sich ihre Beine plötzlich, wie von selbst, immer weiter auf die Treppe zu, die nach unten führte. Eigentlich hätte ihr Überlebensinstinkt sie schnellstens nach draußen befördern sollen, doch stattdessen lief sie immer weiter hinein in das Chaos, das im Inneren der Lagerräume tobte.

Vier Männer, von denen keiner Notiz von Alba nahm, knieten hinter einem umgestürzten, großen Tisch und waren damit beschäftigt die Magazine ihrer Waffen in Richtung des Rolltores zu entleeren, was einen ohrenbetäubenden Lärm veranstaltete. Geduckt stieg sie langsam eine Treppenstufe nach der anderen weiter runter, bis sie auf einem Absatz hinter einer großen Blechtonne Schutz fand, hinter der sie den Kopf ein Stück hervor steckte, um sehen zu können, was geschah.


soulache | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt