Kapitel 29

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FRANK

Es war nicht unbedingt das Bild, was Frank ihr von sich vermitteln wollte, aber irgendwie konnte er Alba auch nicht widerstehen. Es fühlte sich zur gleichen Zeit falsch und richtig an. Falsch, weil sie so voller Schmerz und Trauer war und richtig, weil sie ihm schlichtweg den Atem raubte und etwas in ihm auslöste, vom dem er nicht geglaubt hätte, es je wieder zu fühlen.

Obwohl es unpassend war, musste er an Karen denken, wie sie damals versuchte, ihn wieder etwas fühlen zu lassen. In gewisser Weise schaffte sie es, doch mehr in dem Sinne, dass er sich um sie sorgte und sie beschützen wollte, aus einem Pflichtbewusstsein heraus, weil sie ihm so oft geholfen hatte. Ihr verzweifeltes Gesicht erschien vor seinen Augen, als sie ihm vorwarf, er könne nicht sein Leben lang die Leute lieben, die nicht mehr da sind, sondern müsse diejenigen erkennen, die ihn im Hier und Jetzt lieben. Damit meinte sie hauptsächlich sich, das war klar.

In all den Jahren, seit ihm seine Familie genommen wurde, war Frank nicht wirklich bereit, nach vorn zu sehen. Er lebte im Moment, brachte seinen Hass durch Gewalt zum Ausdruck und rechtfertigte sich damit, dass er Gutes tat, indem er Böses vernichtete. Das war alles, was Frank interessierte. Und dann stolperte Alba in sein Leben und verschob seinen Fokus komplett.

Schlafend lag sie neben ihm, den nackten Körper verknotet mit der Bettdecke, und sah dabei völlig friedlich aus. Frank mochte die Grazie, die sie ausstrahlte, ihren zierlichen Körper und das wunderschöne Gesicht, von dem er glaubte, dass es vor lauter Temperament nur so strahlen würde, wenn ihr Leben ein leichteres wäre. Sein Blick wanderte weiter zu den vollen Lippen, deren Berührungen er noch auf seinem Gesicht, Hals und Mund nachfühlte.

Er erlaubte sich den stillen Wunsch, dass er gern jemand anderes wäre, dass sie jemand anderes hätte sein sollen und dass die beiden sich unter ganz normalen Bedingungen kennengelernt hätten. Vielleicht wäre dann etwas Gutes aus ihnen geworden, womöglich ein Paar, dass sich nichts mehr vorstellen konnte, als ein gemeinsames Leben zu führen.

Stattdessen führte er einen Rachefeldzug fort, der längst vorbei war, mit dem er aber nicht aufhören konnte, und Alba ein Leben unter einem falschen Namen, aus Gründen, die ihm immer noch nicht ganz bekannt waren. Dass sie vorhatte über Vargas Informationen zu erhalten, machte Sinn. Auf der einen Seite bereute Frank, ihr diese Möglichkeit unwissentlich genommen zu haben, auf der anderen Seite war er jedoch erleichtert darüber, weil Kriminelle wie Vargas gefährlich waren. Nicht für Frank, aber für jemanden wie Alba.

Dass sie es überhaupt in Erwägung zog, sich auf eigene Faust auf so eine Selbstmordmission zu begeben, machte Frank sprachlos. Sie hatte weder eine Waffe, noch wirkte sie besonders kampferfahren. Was hatte sie geglaubt, wie das ausgehen würde?

Plötzlich begann es irgendwo im Raum dumpf zu vibrieren. Frank drehte sich zum Nachtisch neben ihm um, wo sein Smartphone lag, doch das Display war dunkel. Es konnte nur Albas Gerät sein, dass irgendwo in ihren Sachen auf dem Boden am Ende des Bettes lag. Prompt regte sie sich und blinzelte ein paar Mal verschlafen.

"Was ist das?", brabbelte sie und sah sich irritiert um. Als ihr klar wurde, wo sie sich befand, setzte sie sich ruckartig auf. "Verdammt!", fluchte sie leise. Kommentarlos deutete Frank mit dem Zeigefinger ans Bettende, um ihr einen Hinweise zu geben, woher die Vibrationen möglicherweise kamen.

Etwas unbeholfen bemühte Alba sich, die Decke um ihren Körper zu wickeln, auch wenn es nicht unbedingt viel brachte und eigentlich unnötig war, da Frank sie ja ohnehin schon ein paar Augenblicke nackt gesehen hatte, seit die beiden sich kannten.

"Bist du eigentlich von allen guten Geistern verlassen worden?", schallte es aus dem Lautsprecher des Smartphones, nachdem sie dieses endlich hervorgeholt und den Anruf entgegen genommen hatte. "Du sagtest, du musst kurz etwas klären, Alba, k-u-r-z! Weißt du eigentlich, wie spät es ist? Vermutlich nicht! Es ist drei Uhr nachts!"

Auch wenn Frank diesem Jay, oder wie auch immer er hieß, nur flüchtig in Albas Wohnung begegnet war, bestand kein Zweifel, dass er da so freundlich ins Telefon brüllte. Das hätte Frank diesem Typen gar nicht zugetraut, so nerdig, wie er rüberkam. Solche Leute waren in der Regel eher verschlossene Charaktere, die sich bedeckt hielten.

"Jayden ... ich ... ja, ich ... hab nicht auf die Uhr geschaut", stammelte Alba und rieb sich dabei mit einer Hand über die Stirn. "In 20 Minuten bin ich zurück." Die Antwort ihres Freundes konnte Frank dann nicht mehr verstehen, weil dieser seinen Pegel offensichtlich etwas runter geregelt hatte. Schließlich murmelte Alba noch ein "Sorry, ehrlich!" und legte auf.

Frank sagte nichts, denn er wusste nicht, was. Alba sah ihn mit einem leidvollem Gesichtsausdruck an und steckte sich verlegen eine lose, schwarze Haarsträhne hinters Ohr, bevor sie begann, sich wieder anzuziehen.

Selbstverständlich brachte Frank sie anschließend zur Tür, obwohl die nur 6 Schritte vom Bett entfernt war. "Lass mich dir helfen", bot er ihr an, nachdem sie sich im Türrahmen noch einen Moment gegenüber standen.

"Ich weiß nicht, Frank. Ich muss meinen Optionen jetzt erst mal neu abwägen."

soulache | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt